Antwort auf: blindfoldtest #23 – gypsy tail wind

#10206439  | PERMALINK

vorgarten

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na dann…

schluss mit lustig ;-) unerwarteterweise alles aktuelle sachen, wenn ich richtig vermute. ein paar sachen habe ich erkannt, bei anderen eine vermutung.

**hauptteil**

#1
sehr interessanter einstieg. ganz einfache klavierfigur, darüber schieben sich langsam streichquartettakkorde, die sich im aufbau in einen anderen akkord drehen. bei den entwicklungen ab der hälfte weiß ich nicht, ob sie mir gefallen. das material wandert zwischen den streichern, dem klavier und zwei saxofonen hin- und her, der gestus ist plötzlich sehr expressiv, der flow wird unterbrochen, das ding endet als fragezeichen. ich würde das gerne mal maschineller, kälter gespielt hören. habe natürlich nicht den hauch einer ahnung, wer für spiel und komposition verantwortlich ist, auch nicht, aus welcher ecke das kommt. ob ich das mag, weiß ich auch nicht. könnte auch schon aus den 80ern sein (fred frith oder so).

#2
klavierdrahtfolter. daraus entwickelt sich so etwas wie ein groove. die angeschlagenen tiefen tasten sind perkussion und ton zugleich. dann kommt eine freiere geräuschebene, die aber auch auf etwas maschinelles anspielt. überhaupt, „anspielungen“. über die poppigen latin-figuren mit stotterrhythmus bin ich dann einigermaßen überrascht – ziemlich toll, wie unvorbereitet die kommen. am ende wird es wieder zugestrichen, aber es gibt nochmal eine klaviercoda, die ins offene führt. ein schöner sketch, ein bisschen arg clever, aber interessant. ich habe eine vermutung, wer das sein könnte, aber da muss ich noch mehr hören.

#3
ausgesprochen schöne aufnahme. alles ist ganz nah, man wird angeblasen und gestreichelt. an dem ding ist ziemlich viel auskomponiert (der ganze bass-teil am anfang, oder?). gute musiker. schön, wie drängend die das spielen, obwohl es ja quasi eine ballade ist. mit den sticks klingt der drummer nochmal so gut. das altsaxofon macht alles richtig, ohne irgendwie besonders oder auratisch zu sein. die struktur geht auch auf, mit dem rummeligen mittelteil und dem wieder eingefalteten schluss. und es swingt die ganz zeit. das scheinen mir jüngere leute zu sein, die viel gelernt haben, aber auch nicht die welt verändern wollen. aber ein schönes stück, keine frage.

#4
oh, quecksilberorgel. die programmierung ist dem altsaxofon in #3 gegenüber ein bisschen gemein, hier ist nämlich sofort eine stimme zu hören, nicht nur ein gut gespieltes instrument. bisschen kitschig hier das thema, vor allem, wenn das tenor dazukommt. vielleicht meine ich aber auch nicht kitschig, sondern zu glücklich in der abgezirkelten form, die hier noch nicht mal gedehnt wird. schöne sounds der orgel im sax-solo, das seinen guten eindruck beibehält. das orgelsolo finde ich weniger geschmacksicher, für mich bleibt das alt der star. und ich habe keine ahnung, wer das sein könnte.

#5
schwer atmender bass. ein schönes solo, ich könnte jetzt aber nicht richtig begründen, warum. wenn sich bass und drums auf einen groove einigen, weiß ich, was das ist. schön, es wäre genau das stück gewesen, dass ich auch ausgewählt hätte.
das thema ist in seiner einfachheit total schön, auch mit diesem angedeuteten b-teil. die ausgedehnte klavierimprovisation verzahnt sich mit bass und schlagzeug, letztere verzahnen sich oft auch nur miteinander. das klavier behält die ganze zeit etwas suchendes, trumpft nicht auf. in den intervallsprüngen liegt spannung, viele figuren gehen aber auch ins leere. ich kann ihren stil nicht richtig zuordnen, es kommt jedenfalls nicht von bill evans her. im swingteil klingt es auch ab und zu nach monk, aber es klingt sowieso ab und zu nach allem möglichen. ganz toll, wie sie zu dritt wieder in das thema finden. ein schimmerndes stück.

#6
das ist ein klavier, das auftrumpft. es gefällt mir aber auch sehr gut. ich kann ihm gut folgen, nachempfinden, wann eine entwicklung zuende ist, wann es an den ideen erstmal dran bleibt. alles scheint mir frei zu sein, aber suchend ist das nicht, eher ein zusammensetzen von unzähligen draufgeschafften dingen, die ziemlich ungehemmt durch die birne rauschen, aber die finger ordnen es. ziemlich beeindruckend. könnte jetzt natürlich alexander hawkins sein… ach nein, ich hab’s, alles klar! nicht mein lieblingsalbum, trotzdem beruhigend, dass es mir auch blindfolded gefällt. die abgrenzungen zu #5 sind aber quatsch – das klavier dort kann auch auftrumpfen und das hier entwickelt manchmal auch eher was im suchen. aber energetisch sind da schon große unterschiede. das hier hat schon viel mehr biss.

#7
ein epos. erstmal schön arrangierte bläserwolken, ein bisschen erinnert es an „silence“ von haden. dann kommt ein vordergründig unsicheres altsax, das sich sehr eigen in die struktur bohrt. langsam baut sich ein puls auf, der immer rockiger wird und das altsax herausfordert. mir kommt das bekannt vor, haben wir das zusammen live gesehen? dann wäre das der einzige große auftritt dieses ziemlich gut und sehr jung aussehenden saxofonisten in diesem pianistisch angeführten großensemble. nachdem er seinen vorgeschriebenen höhepunkt gefunden hat, geht er etwas ein, das war live auch so. (vielleicht bin ich hier aber auch auf dem holzweg.)
die steigerungslogik des stücks lässt bei mir ein paar wünsche offen, auch der gitarrist hat etwas damit zu kämpfen, die sau rauslassen zu müssen. aber das ende ist schön, vor allem schön arrangiert.

#8
das beginnt jetzt erstmal ganz frei. dann baut das klavier spannung auf und haut dann das sax weg. das stück nervt mich latent, es ist frei, aber darin total konventionell. ich höre eher abrufbereite spielweisen, die auf unbedingte abstimmung aus sind: es darf dann mal ein paar takte wild sein, dann finden sie gemeinsam sofort in ruhige geräuschpassagen, oft imitieren sie einander, das klavier hat am meisten klangfarben zu bieten, aber wirklich überraschen können sie einander nicht. plötzlich spielt der bass haden-hafte melodielinien. und plötzlich sind wir in einer ballade. aber auch das nervt mich, so schön das klingt. was sollte das vorspiel? wie abgesichert sie alle vier in etwas landen, das lange vorher feststand. extraminuspunkte für die schnarchgeräusche des saxofons.

#9
oh, konzeptioneller latin. lebensfreude mit einem twist. da freut sich der klavierlehrer. hier erinnert sich jemand an seine „kulturellen wurzeln“ und macht dann etwas hochschultaugliches daraus, oder? bass und schlagzeug klingen aber super und der pianist findet auch langsam in etwas eigenes. das konventionellste stück bisher, es geht keinen eigenen weg im aktuellen klaviertriojazz. tolles bass-solo, das wieder in den latinrhythmus hineinführt. aber mit dem pianisten kann ich nichts anfangen, mit solch einer komposition auch nicht, mich langweilt sowas. vermutung: der leader kommt aus cuba, die beiden anderen waren auch schon mal in einem trio mit der dame aus #6 unterwegs?

#10
es folgt ein abstrakter blues. wieder ein toller bass. schöner tenorsaxton. hier stimmt für mich sofort alles, obwohl es auch sehr konventionell ist. vom stil her ist das sax nah an lovano, aber ich weiß nicht, ob ich den herrn (?) schon mal gehört habe. was die hier machen, können sicherlich auch viele andere aus dem ärmel schütteln, aber für das, was es will, ist es perfekt, es hat gefühl, es klingt gut, es twistet die ideen, vertraut aber auch auf die einfache geste, die das material bietet. schön.

#11
altsax solo, das sich wendig, engagiert und kenntnisreich in ein standard-thema hineinspielt, das ich nicht auf anhieb erkenne. macht auch alles richtig. weiß viel, kann sich aber auch freispielen. mehr fällt mir dazu aber nicht ein. wenn man jazz mag, mag man sowas. aber ganz genau hinhören muss man nicht.

#12
klavier & trompete im duo. das thema gefällt mir gut, es hat durch die aufwärtsbewegung etwas drängendes, durch das aber ordentlich melancholie durchschimmert. klavier ist toll, die begleitung ist total ambivalent, täuscht sicherheiten vor, die gar keine sind. dann der tolle einstieg der trompete, mit luft und einer großen klangschönheit. was die beiden machen, ist unmittelbar ergreifend und im höheren maße kommunikativ als z.b. das, was die leute in #8 glauben zu tun. ist sicherlich geschmackssache, aber ich mag auch die passage mit den etwas kunstgewerblichen arpeggi hier. und in den ton des trompeters bin ich entschieden verliebt, ist genau mein ding. ich habe eine vermutung, aber die wage ich noch nicht auszusprechen. ganz tolles stück, mein höhepunkt bisher.

#13
aus der intimität in die konzerthalle. orchester und ein filmsoundtracksax. schöner bogen zurück zu #1 irgendwie. die streicher sind außerordentlich schön arrangiert und das sax schmiegt sich natürlich an. ist überhaupt nicht kitschig, will aber unbedingt berühren. gefällt mir gut, auch hier am ende.

sehr schöner & vor allem interessanter mix. ich höre ja nicht wenig aktuellen jazz, aber es gibt wenig, was mir so richtig gefällt, vor allem im fortschreiben der klassischen formen, besetzungen, der zunehmend akademischen stillstellung des genres. hier haben aber alle gut nachgedacht darüber, was sie mit der freiheit und der tradition anfangen können, und im mix sind eher entspannte positionen ausgewählt. im einzelnen würde ich zwischen guten musiker_innen und eigenwilligeren stimmen unterscheiden, aber vieles ist auch einfach sehr schön arrangiert und macht unmittelbar sinn. vielen dank! auf einige auflösungen bin ich sehr gespannt (#4, #10, #11, #13 und vor allem #12).

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