Antwort auf: 2017: Jazzgigs, -konzerte & -festivals

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gypsy-tail-wind
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Ein paar vorhin schnell geschriebenen Zeilen zu den zwei Konzerten mit Louis Moholo (sowie einem dritten, das ich nicht wirklich auf dem Schirm hatte) beim Novara Jazz Festival. Bin gerade aus Italien zurück, wo ich in Novara zweimal Moholo gehört habe. Danach gab ich mir noch die volle touristische Dröhnung: vier Tage in Florenz … gegessen wie ein Gott (in Novara das eine Mal, als ich dazukam, auch) und massenhaft Kunst gesehen, war mal wieder nötig, war seit fast 20 Jahren nicht mehr dort. Die Konzerte waren sehr gut, auch wenn das Umfeld mitten in Novara mit rein- und rumlatschenden Leuten etwas nervig war (kostet keinen Eintritt) und der Sound gelinde gesagt problematisch war – mehr noch bei der ersten Band, einem Trio mit Fender Rhodes, Posaune und Drums – der Sound waberte da nur so durch den „broletto“, die mittelalterliche Platzanlage, eine Art Hof, die auf allen vier Seiten vor irgendwelchen einstigen Amtsgebäuden/Rathäusern flankiert wird und zu beiden Seiten auf Gassen rausgeht.

Am Abend des 1. Juni spielte Louis Moholo im Duo mit Enrico Rava, der – nur als „Rava“ angesagt, der Mann ist ja längst eine Art Volksheld. Er wird in ein paar Monaten 78 Jahre alt und spielte das Flügelhorn mit einer beeindruckenden Leichtigkeit. Wie Kenny Wheeler hat er vielleicht eine Entwicklung hin zum Mainstream durchgemacht, oder auch nicht – denn auch er passt in alle möglichen Settings. Moholo spielte seine typischen zickigen Grooves, die immer wieder an marschmusikartige Rhythmen erinnern, während Rava frei darüber hinwegflog, sehr melodisch und mit wunderbarem Ton. Es gab Don Cherry-Momente, Ornette-Momente, in der zweiten Hälfte auch einen Standard, an dessen Titel ich mich aber schon nicht mehr erinnere. Nach einer halben Stunde stand Moholo auf, kam nach vorn zu Rava, die beiden verneigten sich und gingen ab der Bühne … dann sagte wohl jemand zu Louis, er solle gefälligst nochmal etwas spielen. Es folgte dann nicht etwa Zugabe sondern gleich nochmal 20 oder 25 Minuten, ein zweites Set eigentlich, und danach noch eine Zugabe, nachdem der dafür Zuständige schon wieder den üblichen Muzak-Sound eingeschaltet hatte, der sonst lief. Alexander Hawkins meinte später im Gespräch, Moholo hätte wirklich überhaupt kein Zeitgefühl … und kümmert er sich – er ist nur etwa halbes Jahr jünger als Rava – um seine Medikation vor dem Konzert (heisst er raucht irgendwas … und Red Bull braucht er obendrein auch noch). Rava und Moholo reichen weit zurück, sie waren auf der irren Tour nach Argentinien mit Steve Lacy – und Johnny Dyani als viertem Mann. Hawkins erzählte ein paar Stories, die er dazu aufgeschnappt hatte, dass man in Argentinien damals noch kaum Schwarze gesehen hätten und Dyani und Moholo sich einen Spass daraus gemacht hätten, die Leute zu erschrecken … nachhören kann man das auf der ESP-Disk‘-Scheibe The Forest and the Zoo von Steve Lacy. Das Konzert war also ziemlich speziell, doch leider fiel es mir wegen der Bedingungen etwas schwer, mich richtig zu konzentrieren (ich war auch völlig hinüber, die Geschichte dazu habe ich ja bereits im BFT-Thread angetönt, die Flucht – war ja nicht als solche geplant – nach Italien tat unglaublich gut).

Am zweiten Abend gab es zum Auftakt eine sehr schöne Überraschung – im Innenhof des Domes spielte ein Trio: Thomas Stronen (d, elec), Marco Colonna (clars, as), Alessandro Giachero (rhodes, synth, samples) – das war ziemlich magisch, auch dank der tollen Location (danach hatte ich ca. 20 Mückenstiche … hätte ich mir ja denken können, wenn man in der Po-Ebene hockt und es 30 Grad warm ist, aber bis ich auf die Idee kam, was zu kaufen, war es auch egal). Die ersten paar Minuten hatte ich verpasst (da ich beim dritten Besuch endlich mal Paniscia novarese essen musste, das traditionelle ortsübliche Risotto-Rezept – man kocht den Reis in einer Gemüsesuppe, die schon wenigstens den ganzen Tag auf dem Herd stand, dazu kommt u.a. – ebenfalls typische – Salami rein … beim vierten Besuch möchte ich dann gerne endlich mal das Baptisterium sehen, das leider nicht öffentlich zugänglich zu sein scheint, aber es ist dort, ich habe es auch diesmal wieder gesehen). Aber gut, Stronen, Colonna und Giachero spielten ein grossartiges freies Set, das sich zwischen ganz leisen Passagen und Tänzen (ich musste an die Bergamasca denken, wie ich sie von Trovesi kenne), zwischen Zirpen und Grooves, zwischen flächigen Samples, durch mundstücklose Klarinetten geblasene Luft und feinsten Rhythmen bewegte. Den dreien gelangen immer wieder faszinierende Bögen und sie waren auch selbst sichtlich erfreut über das Ergebnis.

Danach ging es wieder rüber in den „broletto“, wo Louis Moholo mit einer Gruppe auftrat, die es so noch nicht gab, im Programm nannte man sie das Magmatic Quartet. Neben dem Meister am Schlagzeug (er trug den Juve-Schal nicht mehr, den ihm Riccardo Bergerone am Vorabend schenkte – war das prophetisch?) standen zwei Flügel auf der Bühne, am rechten nahm Alexander Hawkins Platz, hinter dem linken sass Giovanni Guidi, in der Mitte war ein Mikro für den Posaunisten Gianluca Petrella aufgestellt. Ich hatte schon am Vortag mit Hawkins geredet (der am 31. Mai schon einen Auftritt in Locarno im Tessin hatte, der auch von Novara Jazz organisiert wurde, er spielte dort im Duo mit dem Trompeter Gabriele Mittelli, das konnte ich leider nicht auch noch einrichten). Hawkins meinte, er hätte keine Ahnung, wie das rauskommen würde. Die Klaviere waren leider schrecklich, kein „bottom“, zudem war auch wieder alles sehr laut verstärkt, aber alles in allem halbwegs okay vom Sound her. Riccardo (der ja immer da ist, wenn Moholo spielt, er tauchte auch für den einen Abend beim Intakt in London-Festival auf, ein echter Groupie) meinte am Vortag, Alex solle den anderen doch ein paar der einfacheren Moholo/Blue Notes/Brotherhood-Klassiker beibringen, aber von einem kurzen Soundcheck abgesehen (bei dem Hawkins was von Chopin aus dem Gedächtnis zu spielen versuchte und Guidi ihm dann noch ein wenig half) gab es natürlich keine Probe und das Quartett ging gänzlich unvorbereitet auf die Bühne. Das war aber die beste Idee, denn das Konzert gelang. Hawkins kitzelte aus Moholo all das heraus, was Irène Schweizer neulich in London nicht schaffte (und wozu Moholo auch bei Rava keine Lust hatte, aber das war in dem Duo einfach egal, denn Rava nahm, was da war und es passte bestens). Hawkins spielte immer wieder massige Grooves und lockte Moholo so richtig aus der Reserve. Guidi ging daneben ab und zu etwas unter, weil Hawkins halt wirklich auf den Flügel hämmerte, wobei auch schon mal die Ellbogen zum Einsatz kamen – was aber in zweierlei Hinsicht angebracht war: eben weil es das ist, womit man Moholo aktivieren kann, und auch weil es den lausigen Klang des Instruments etwas vergessen machte … Guidi hat einen viel feineren Anschlag, spielt überhaupt feiner und weniger voluminös. Das Konzept war dann eben, dass Hawkins Moholo die Bälle zuspielte, während Guidi das alles frei kommentierte und Petrella je nach Lust und Laune dazustiess oder auch darüber abhob … am Ende ein sehr tolles Set, gar keine Frage!

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"Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #158 – Piano Jazz 2024 (Teil 1) - 19.12.2024 – 20:00; #159: Martial Solal (1927–2024) – 21.1., 22:00; #160: 11.2., 22:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tba