Antwort auf: Blindfold Test #22 – Friedrich

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friedrich

Registriert seit: 28.06.2008

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Hallo @wahr und vielen Dank für Deine wie immer geistreichen Kommentare!

wahrTrack#1
Das merkwürdigste Stück der Konkurrenz. Afrikanischer Touch. Verspielt. Kinderlied? Könnte aber auch in Richtung Nana Vasconcelos gehen. Ich würde auch Roland Kirk sowas zutrauen. Ein Stück mit Schalk im Nacken. Das Klaviersolo ist ebenfalls blendend. Seltsam klasse. Ich sehr gespannt, wer sich dahinter verbirgt.

Nicht Roland Kirk, nicht Pharoah Sanders auch wenn das zwei naheliegende und interessante Assoziation sind. Sun Ra wurde auch schon verdächtigt. Nana Vasconcelos kenne ich nicht. Ich habe das Stück noch nie bewusst unter dem humoristischen Aspekt gehört – aber ja – natürlich! Wir hören eine chinesische Tonflöte, der leader war Mulitinstrumentalist, glatzköpfig, bärtig und trug einen arabischen Namen.

Track#2
Schön bedächtiger Aufbau, die Melodie wird vom Sax mit aller Bedachtsamkeit gespielt, damit auch niemand nur eine Note verpasst. Trotzdem klingt das nicht angestrengt. Da scheint mir ein Virtuose am Werk. Toller Klavierpart dann ab Minute 2. Ich mag auch die Schelle, die aus weiter Ferne kaum wahrnehmbar eine kleine Prise Drama einstreut. Klasse Stück.

Die Bedachtsamkeit ist hier sicher Programm. Auch hier ist die Inspiration fernöstlich. Sax und Piano waren eine Kombi von der West Coast, die gerne auch mal mit ungewöhnlichen Taktarten, nicht-Jazz- und nicht-westlichen Einflüssen experimentierte.

Track#3
Die Melodie kenne ich. Das Sax ab 2:20 min ist sehr samtig. Stan Getz? Für mich ist diese Art des Saxofonspiels immer Stan Getz, einfach weil ich so wenige andere Saxofonisten kenne. Schön dann im weiteren Verlauf, wie sich Trompete und Sax umspielen. Gefällt mir sehr gut alles.

Offen gesagt ist das die einzige Aufnahme, dieses Stückes, die ich kenne, daher war/ist mir die Melodie bis dato unbekannt. Der Verdacht Stan Getz liegt hier nahe, der Leader ist aber der Trompeter, einer der meistfotografierten Jazzmusiker überhaupt. Ja, das gegenseitige Umspielen von Trompete und Sax ist toll und auch der ansonsten minimalistische, klare Aufbau des Stücks. Auch dies ist – eigentlich – von der West Coast, aber in Paris aufgenommen.

Track#4
Easy Listening-Anfang, wie von Martin Denny, dann kommt aber ein für Denny zu dominant nach vorne gemischtes, ultrasanftes Anbagger-Saxofon. Der achtjährige Sohn einer Bekannten ist bei vielen Mädchen sehr beliebt, weil er ihnen z.B. Sachen sagt wie „Wenn ich groß bin, habe ich einen Bauernhof, und Du darfst die Tiere aussuchen!“ Das kommt super an bei den Mädchen. Dies ist ein „Du darfst die Tiere aussuchen“-Sax. Der Hintergrund des Tracks ist auch sehr gut, eben eine Denny-Stimmung, aber ich hätte ihn mir wirklich lauter gewünscht.

Der leader – der Vibraphonist – changierte zwichten Jazz und Latin und streifte manchmal easy listening. Das Sax stammt aus Kuba, das erklärt wohl den gefühlvollen, verführerisch schmusigen Klang. Super ausgedrückt, wahr, genau das wollen viele Mädchen hören, aber am Ende will der Verführer von den schönen Versprechungen nichts mehr gewusst haben. Latin lover halt … Doch in der Musik ist das gut so! Auch West Coast.

Track#5
Das kommt mir vom Song her wieder bekannt vor. Gekonnt, aber beim ersten Hören auch ein bisschen gewöhnlich. Das Sax dreht dann nochmal auf und wird richtig gut, denn die Töne werden nicht so sanft abgerundet, sondern dürfen schön angeschärft bleiben. Das Bass-Thema, das zum Ende nochmal glänzen darf, gefällt mir auch. Klasse Track!

Der Song ist ein „popular song“, den es wohl in unzähligen Aufnahmen gibt, gelegentlich auch im Jazz. Das Stück ist vielleicht eins der konventionellsten im Mix, der Saxophonist und Leader war aber auch ein alter Hase. Sein Vater war Boogie Woogie Pianist.

Track#6
Wir sind in Brasilien. Schmoove wird ein Sax übergeblasen. Stan Getz? Ange-bossanova-t. Man hört aber auch schön, wie in der Ferne der Samba noch durchkommt, aus dem das hier unter anderem geschichtlich herausgewachsen ist. Schönes Gitarrensolo dann auch. Schmuffelt gut dahin. Das Sax ist mir aber zu klischeehaft sanft, oder eben im Nachhinein dazu geworden. Zusätzliches Lob gilt der Gitarre, die gleich zu Anfang ein kleines Lick spielt, das unscheinbar tut, aber wahrscheinlich benötigt man ein halbes Musikerleben, um das so spielen zu können. Na ja, ich bin kein Gitarrist.

Wir sind eigentlich noch nicht ganz in Brasilien sondern noch in New York und der Saxophonist mit dem Kanadischen Namen kommt eigentlich auch mehr vom bluesigen und swingigen her, mimt hier aber den latin lover. Der Drummer hingegen ist Latino, Kubaner glaube ich. Auch ich mag hier den Gitarristen sehr. Das ist aus einer Zeit, in der viele sich mehr oder weniger erfolgreich an Bossa Nova versuchten.

Track#7
Wieder Brasilien. Fauna-Geräusche. Das müsste ich eigentlich kennen. Älteres Soundtrack-Feeling. Ich ahne da was. Jetzt so eine typische brasilianische, spartanische Singer/Songwriter-Begleitfigur auf der gezupften akustischen Gitarre. Die hat ihre Wurzeln nicht im Bossanova, glaube ich, sie wurde dort nur übernommen, eingebettet und scheint mir älter, eher aus der brasilianischen bzw. portugiesischen Folk-Tradition gespeist. Aber wer ist es? Für Joao Gilberto ist die Gitarre nicht verwischt und zurückgenommen genug, sie akzentuiert klarer. Das könnte Luiz Bonfa sein, weil äh, mir kein anderer Name einfällt. Außerdem singt das garantiert nicht Joao Gilberto. Keine Ahnung, wer das singt. Bonfa selbst? Ich könnte das nicht sagen, so gut kenne ich ihn nicht. Vermute es eher nach dem Ausschlussprinzip: Gilberto nicht? Dann eben Bonfa. Super Track übrigens.
Track#8
Vom Stil her eine Fortsetzung von #7. Ist auch das gleiche Stück, nur etwas anders dargeboten. Auch schön. Sehr schön sogar.
Track#9
Gleiche Songvorlage wie irgendwann davor auch schon mal, glaube ich. Also Tracks 7-9 haben den gleichen Song als Grundlage. Keine Ahnung, wer das singt, aber das müsste aus einem berühmten brasilianischen Film sein, den ich mal vor Ewigkeiten im Kino sah. Soundtrack gibt es als Platte, aber so genau kenne ich es nicht. Vielleicht ist das auch nur eine Adaption davon oder ich bin total auf dem Holzweg. „Manha de Carnaval“ ist es.

Ja, „Manha de Carnaval und es stammt aus dem original Soundtrack. So ein Mann <-> Frau-Ding. Kommt hier offenbar gut an, dabei eigentlich keine Jazz sondern sicher mehr Folklore.

Track#10
Wieder weiter im Stil eines Folk-Bossa. Ich mag es total gerne, wie hier der Aufnahmeort in den Sound mit eingeht, das hat eine tolle Atmosphäre, wie aus dem Leben gegriffen. Transportiert ein down-to-earth-Gefühl, was jetzt im Mix genau zur rechten Zeit kommt, denn den letzten Tracks davor war doch recht viel Bedeutung ans Bein gebunden worden. Sängerin und Sänger sind beide auch super. Ganz toller Track.

Das ist gut 25 Jahre später entstanden als „Manha de Carnaval“ aber eigentlich ganz ähnlich, oder? Ein home recording, glaube ich und die erste Aufnahme dieses Stücks, das wohl später in einer anderen Version ein Hit wurde – den ich aber nicht kenne. Die Sängerin ist die Tochter eines sehr bekannten MPB-Stars, der Sänger – auch eine MPB-Star – starb zu früh in den 90er Jahren.

Track#11
Schon wieder die gleiche Songvorlage wie weiter oben? Nein, aber das kommt mir von der Melodie her total bekannt vor. Ich komme aber nicht drauf. Diesmal wieder klasse umgesetzt an der Gitarre. Gefällt mir sehr.

Ich glaube es gibt keine andere Version dieses Stücks. Ein Original. Der Gitarrist ist eine feste Größe im Modern Jazz, hat auch viel als sideman gearbeitet, mit Stanley Turrentine, Jimmy Smith, ich glaube sogar mit Gil Evans und auch als Partner von Colttrane. Dieses Stück ist die einzige unbegleitete Aufnahme auf dem Album, von dem es stammt. Dieses Album ist wohl sein großer Klassiker. Eigentlich eine bluesige Sache, aber auch mit einem Latin touch. Den Zusamenhang zwischen Bossa Nova und Blues müsste man mal untersuchen, zwischen „saudade“ und „blue“. Das Album trägt das Wort „blue“ im Titel – ich denke aber, das das ein wenig sachdienlicher Hinweis ist.

Track#12
Hat Sinatra auch mal gesungen, wie ich gerade eben anhand von Textbausteinen über Google erfuhr. Die Dame, die hier singt, ist mir unbekannt. Schönes, seelenvolles Ende für den bft.

Ja, am Ende noch mal ein bisschen Drama von einer Dame, die ansonsten eher ins unterkühlte Fach gehört. Ich fand, die Gitarre und der einfache Aufbau des Stück schließen schön an den vorherigen Track an.

Prima bft! Ich konnte keinen einzigen Track mit Bestimmtheit zuordnen. Gute Stimmungen, viel Zurückgenommenes, das dann aber trotzdem Gewicht in sich trägt. Das ist ja im Grunde auch der Kern von Bossanova, der im Mix einiges durchdringt: Leicht wirkende Beschwertheit. Herzlichen Dank, Friedrich!

Die Zurückgenommenheit ist in diesem Mix ein wenig Programm. Ich finde, aber auch Zurückgenommenheit kann sehr intensiv wirken. „Leicht wirkende Beschwertheit“: Wieder schön ausgedrückt! Der Brasilianer hat hierfür ja das Wort „saudade“.

Freut mich, dass der Mix Dir gefällt und Du am BFT teilgenommen hast!

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„Für mich ist Rock’n’Roll nach wie vor das beste Mittel, um Freundschaften zu schließen.“ (Greil Marcus)