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Taktlos 17 – Rote Fabrik, Zürich – 4. & 6.5.
Das Festival geht zwar erst heute Abend zu Ende, doch ich gehe an ein anderes Konzert. Gestern und am Donnerstag war ich dabei, hörte fünf Bands und wie immer war es eine spannende Sache mit völlig unterschiedlichen Resultaten.
Los ging das Festival am Donnerstag dem Kaja Draksler Octet (****). Die Musik der slowenischen Pianistin bewegt sich irgendwo zwischen neuer (und – sehr – alter) Musik und Jazz, zwischen Komposition, Text und Improvisation. Es wird rezitiert, gesungen, dirigiert, reagiert und spontan agiert, um nicht zu sagen agitiert. Ein Renaissance-Choral findet Platz ebenso wie ein Gedichte von Pablo Neruda und weitere Vorlagen, die Draksler und ihre Mitmusiker_innen vertonen. Die Band besteht neben der Leaderin am Klavier aus Björk Níelsdóttir und Laura Polence (Stimme), Ada Rave und Ab Baars (Tenorsaxophon und Klarinette), George Dumitriu (Viola), Lennart Heyndels (Bass) und Onno Govaert (Drums, Percussion, Piano). Auf der CD spielt Baars auch die Shakuhachi und Dumitriu die Violine (er hatte sie mit dabei, aber sie kam nicht zum Einsatz), Govaert wechselt ans Klavier, wenn Draksler die Band dirigiert, im Konzert wie auf der CD. Als Auftakt für ein Festival war das wohl nicht ideal gewählt, denn es musste doch etwas Zeit vergehen, bis man von der ruhigen, teils fast schon meditativen Musik Drakslers gepackt wird – bis man aus dem Alltagstrott gerissen wird und sich entführen und verzaubern lässt. Dies geschah mit mir in der Tat, die Mischung gefiel mir sehr gut, auch wenn ich gerade von Draksler der Pianistin gerne etwas mehr gehört hätte. Sehr schön war der Moment, in dem es heftig zu regnen begann, so laut, dass man das Prasseln auf dem Dach über der Aktionshalle der Roten Fabrik hören konnte, es sich zur gerade sehr stillen und schönen Musik gesellte. Ich schrieb im Hörthread flapsig von Kunststudentenmusik (mit Fragezeichen dahinter) – das wäre wohl, was böse Zungen sagen könnten. Nicht ganz zu unrecht, denn das war schon alles sehr ambitioniert und stand sich manchmal auch selbst ein wenig im Wege, aber es gab auch Raum für wilde Ausbrüche, nicht nur von Ab Baars, bei dem man das ja eh erwartete. Vielleicht eine Spur zu kontrolliert, etwas mehr Flow hätte gerade im Konzert gut getan.
Die zweite und letzte Band des Eröffnungsabends war Amok Amor (***) – drei präpotente ADHS-Jungs mit einem Supernerd, der aber auch wirklich alles kann – doch warum denn ausgerechnet Circus? Dies mein spitzüngiger Kurzkommentar von vorgestern. Im Festivalprogramm seht: „Die Musik von Amok Amor ist fiebrig und rasant, furios und virtuos“ – das ist wohl so, und das ist wohl auch das Problem, denn aus dem Fieber wird eine Art Selbstläufer, eine schnelle aber nicht sehr dichte, laute aber nicht sehr energetische Musik, die eher nervös denn fesselnd ist – und irgendwie immer wieder ins Leere läuft, nicht zu wissen scheint, was sie will, ausser rasende Läufe, schnelle (aber irgendwie wenig dichte und wenig verquere) Beats. Dabei kommt halt Langeweile auf, auch wenn Peter Evans, der Neuzugang an der Trompete, immer wieder zu faszinieren vermag, auch wenn durchaus klar wird, dass die Jungs was draufhaben. Die Frage drängte sich halt auf, ob sie zu gut wissen, dass sie was drauf haben. In der Zugabe kam dann die Verwurzelung im Ornette Coleman Quartet der frühen Sechziger zum Vorschein – etwas mehr Melodie, etwas mehr Luft. Das hätte auch davor gutgetan. Ich empfand die Musik als unernst (aber bierernst vorgetragen), ja nachgerade als uneigentlich, als postmodernes Spiel. Und die Zeit dafür ist endgültig abgelaufen. Die Coolness bleibt leere Pose, um nicht zu sagen: Posse. Und damit sind wir wieder beim Circus, bei den Schaustücklein, den Mätzchen. Slapstick sollte wohl der eine oder andere Einwurf Lillingers sein, aber das fiel dann wirklich nur auf die Nase. Schade, denn am Können scheitert die Band gewiss nicht, aber an den Ideen, und ich befürchte: an der Haltung.
Am zweiten Abend spielte zum Auftakt Samuel Blaser im Trio mit Marc Ducret und Peter Bruun (aus Dänemark), danach zwei skandinavische Bands: das Lisa Ullén Quartet aus Schweden und das Hedvig Mollestad Trio aus Norwegen. Der Skandinavien-Schwerpunkt ist damit angezeigt, ich hätte vor allem Blaser gerne mal live gehört, aber entschied mich dafür, ins Moods zu gehen – wo Skandinavien mit dem norwegischen Keyboarder und Elektroniker Bugge Wesseltoft ja auch stark vertreten war (siehe letzter Post). Auch am Samstag gab es am Taktlos wieder Musikerinnen aus Skandinavien. Den Aufakt machte Julie Kjaer 3 (****), das Trio der Altsaxophonistin und Flötistin mit John Edwards am Bass und Steve Noble am Schlagzeug. Obwohl ich Edwards inzwischen auch zweimal mit dem unglaublich beeindruckenden Mark Sanders am Schlagzeug gehört habe, bleibt Edwards/Noble für mich eine nahezu perfekte Rhythmusgruppe. Die beiden agieren schlafwandlerisch sicher zusammen, finden genau die richtige Balance. Mal gehen sie in höchster Verdichtung aufeinander ein, dann lassen sie dem anderen wieder den nötigen Raum. Noble ist dabei äusserst understated, very British eben. Sein Spiel ist zugleich transparenter, härter und deutlich stärker in der Jazztradition verwurzelt als jenes von Sanders, und je nach Rahmen kommt das eben verdammt gut. So auch gestern mit Kjaer, deren Musik von der Rhythmusgruppe getragen wird, die ihr den Rücken freihält, aber auch auf sie eingeht, sie ins recht enge Geflecht einbezieht. Ein starker Auftakt.
Schon als es losging, roch es in der Aktionshalle nach Knoblauch. Das lag am Carate Urio Orchestra (*****), dessen aktuelles Programm „Garlic & Jazz“ heisst. Mit dabei auf der gestern beendeten Tour war auch eine Köchin, die Knoblauchsnacks zubereitete. Unkonventionell ging es auch in musikalischer Hinsicht los: die acht Musiker der Gruppe verteilten sich im ganzen Zuschauerraum und im Eingangsbereich und begannen, frei zu improvisieren, sich dabei zunächst im Raum und allmählich auf die Bühne zu bewegen (der Weg führte für den Posaunisten Sam Kulik gar unter der Bühne hindurch). Mastermind der Gruppe ist Joachim Badenhorst, der gestern vor allem Tenorsaxophon spielte, aber auch mal zur Klarinette und ganz zum Schluss zur Bassklarinette griff. Weiter dabei: an der Trompete Jacob Wick, Frantz Loriot an der Bratsche, Pascal Niggenkemper und Brice Soniano (Kontrabässe), Nico Roig (Gitarre) und Seán Carpio (Drums). Kulik griff auch zur Gitarre, Niggenkemper und Loriot spielten mit Effekten und verschiedenen zwischen die Saiten gesteckten Objekten, und fast alle setzten auch ihre Stimme ein, mal summend, mal Texte singend. Als es nach wohl zehn oder fünfzehn Minuten auf der Bühne losgehen konnte (der Soundcheck war noch im Gang, als die Band bereits im ganzen Raum zu spielen anfing), entwickelte sich gleich ein starker Sog, aus dem ein magisches Set entstand. Die Klangpalette der Band ist immens, der Zugriff – im eklatanten Gegensatz zu Amok Amor – verspielt und humorvoll, locker, aber dennoch von grosser Ernsthaftigkeit. Aus freien Passagen entwickelten sich Grooves, die irgendwo zwischen Sun Ra und Fela Kuti anzusiedeln sind. Die Mischung aus Songs und Improvisationen, aus magischen Momenten und lärmenden Grooves passte schlichtweg perfekt und erzeugte wenigstens bei mir eine Art Trance.
Danach hätte man heimgehen können, sollen – ich weiss es nicht. Ich blieb, denn ich war auf die Anna Högberg Attack (***) aus Schweden doch ordentlich gespannt. Als Ausklang war das Set auch ganz schön, aber ich hatte wieder einige Mühe damit, und das in ähnlicher Hinsicht wie mit dem Ausklang des ersten Abends. Was da an Post-Coltrane Hard Bop – mit einer Prise Ayler Brüder da, einer Prise Cecil Taylor dort … und ein Tune, das von einer späten Lee Morgen-Platte sein könnte, gab es auch noch – zusammengemischt wurde, schien mir einmal mehr recht oberflächlich, ja fast schon uneigentlich zu sein. Da half es am Ende nicht, dass es immer wieder musikalisch bezaubernde Momente gab, besonders im Zusammenspiel der Frontline, die aus Niklas Barnö (Trompete, der einzige Mann im Bunde), Anna Högberg (Altsax) und Malin Wättring (Tenorsax) besteht. Die Rhythmusgruppe – Lisa Ullén (p), Elsa Bergman (b), Anna Lund (d) – fand ich insgesamt etwas schwächer, wobei Bergman am Bass doch ziemlich gut war. Piano und Schlagzeug nervten manchmal, aber was mir wohl insgesamt ein wenig in den falschen Hals kam, war der „Fun“-Aspekt, den man durchaus auch Vorbildern (vermute ich) wie Atomic oder The Thing da und dort ein wenig ankreiden könnte (und der schien mir bei Piano und Drums einzeln betrachtet am grössten auszufallen, betraf aber auch den Sound der Combo als ganzer). In sich war das Set gewiss stimmig, aber für mich war die Ausbeute einfach nicht gross genug.
Alles in allem zwei lohnende Abende, besonders wegen der etwas grösseren und nicht konventionell besetzten Formationen. Da scheint im jüngeren kreativen europäischen Jazz fast schon so etwas wie ein Trend auszumachen zu sein: junge Musiker, die nicht nur ihre eigenen Kleinformationen oder Soloprojekte machen wollen, sondern Wert auf Zusammenspiel und klanglich überraschende Gruppenmusik legen, die zudem nicht von der brachialen Sorte ist, wie man sie aus europäischen Jazz der älteren Generation kennt, sondern sich verschiedensten Einflüssen – von neuer Musik bis hin zu Sun Ra – öffnet und Wege beschreitet, die ich oft ziemlich spannend finde. Ich denke da natürlich auch wieder an Eve Risser, deren Abschlusskonzert am letztjährigen Jazzfest Berlin mich beeindruckt hat.
(Die Photos sind vom zweiten Abend, der Reihe nach Kjaer 3, dann zweimal CUO und schliesslich Högberg.)
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