Antwort auf: Irrlichts Introducing

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irrlicht
Nihil

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ZUGEZOGEN MASKULIN/LGOONY: Füchse 2015

Zunächst: HipHop und natürlich auch deutschsprachiger HipHop ist eine Art soap opera. Verstrickungen gibt es in jedem Genre, aber die Tatsache, dass sich jeder auf jeden bezieht und sämtliche Aussagen im Kontext stehen können – das ist in diesem Bereich weiterhin einzigartig. HipHop ist ja zunächst eine Kultur in beständiger Wechselwirkung, ein Medium, das zunächst auf Sprache basiert, man kommt daher nicht umhin ein wenig hinter die Dinge zu blicken.

Zugezogen Maskulin und Lgoony stammen genaugenommen von zwei verschiedenen Enden der Landkarte. Erstere bedienen den linken Flügel der Szene und haben mit „Alles brennt“ ein brillilantes, teils alles niederwalzendes Manifest veröffentlicht – Lgoony ist wiederum einer der jüngeren Szenehelden, ein DIY Genosse, mit einem Faible für sphärische Soundlandschaften, Spaceambiente, Bling-Bling (Diamanten schein‘ wie Wasser!) und Symbolrhetorik. Was die Sache noch bizarrer macht, ist die Herkunft von Lgoony, der unter dem Schirmherr Money boy als Teil der Glo Up Dinero Gang, wie auch vergleichbare Kollegen im Trap Sektor, eine Art Stilkarrikatur ins Deutschrapbizz brachte – die Devise: Mehr sprachliche Schlichtheit, weg von der Labelranschmeißerei, hin zu einem Blick auf Musik, der sich mehr als Gegenwartszeugnis versteht, als sonderlich viel Wert auf den alles umfassenden, güldenen Albumrelease zu legen. Lieber wie Gucci Mane und Co., also amerikanische Vorbilder, den Markt mit Dutzenden von free mixtapes befeuern. Ein an und für sich schöner Ansatz, träge er nicht zuletzt miserable Blüten – eine Art Ballermannisierung des HipHop.

„Füchse 2015“ ist schnell gehört, aber es steckt letztlich enorm viel zwischen den prächtigen Enaka Beats. Zunächst: Der Track ist ein Abriss des „Füchse“ Classics der Beginner – hier beginnt bereits das Zähnefletschen. Die ersten beiden Zeilen greifen unfassbar zynisch nicht nur die Mentalität des bisweilen saturierten HipHop Camps auf, sondern auch die Frage, wie schnell man seine eigene Glaubwürdigkeit letztlich verspielt, wenn der Rubel erst rollt – ein Schicksal, das auch Eißfeld (Jan Delay) trifft, der diese Zeile ehemals von sich gab, dessen Magen aber heute vermutlich nur „knurrt“, wenn er „gerade das Kobe Rind verdaut“. Oder gar Samy Deluxe, der vom moralischen Wickeda MC zum Typ mit den lackierten Fingernägeln wurde und heute Schundzeilen en masse ins Mikrofon poltert. Es ist einfach ein Kreuz mit dem Altern. Die „Gucci Bäuche gegen Rechts“ von Testo greift die Thematik des Tracks „Guccibauch“ erneut auf – also die von goldbezahnten Gangstern, die munter ihre Scheinchen zählen. Oder um es mit einer Zeile des Tracks zu sagen: „Und Staiger sagt: „Nur weil viele arm sind, bist du so reich“. Mein Kopf sagt „Ja“, aber mein Guccibauch sagt „Nein“.

Der grim104 Part wirft den Blick etwas aus der Rapszene heraus – u.a. zu Julien Sewering, einem youtube-Blogger, der u.a. wegen Sexismus und Volksverhetzung verurteilt wurde. Das Format begann als Plattform eines schnöseligen Typen, der es besonders orginiell fand Raptexte anhand von Doppelreimen und Silbengeflexe zu beurteilen und der sich für keine Schmähung und noch so widerliche Beleidigung zu doof war – später kam noch das JBB (JuliensBlogBattle) hinzu, eine Art Contest Veranstaltung für Rapper im Videoformat usw. Letztlich passt aber auch die Blogger-Welt ideal in das Schema des Songs – eine Welt voller eitler It Boy Dudes, die sich durch billigste Provokationen profilieren und dabei nichtmal vor KZ Witzen zurückschrecken. Folglich schickt Grim solche Halunken direkt ins Gulag, ebenso die Gesellen, die so lange „bemüht sozialkritisches Street Art machen, bis dein Galerist endlich den Auftrag von Nike an Land zieht“ (Audio88) – Heerscharen von volunteering wannabes.

Lgoony häutet letztlich im letzten Part die HipHop Szene selbst – all die Realkeeper, die vom Konformismus und dem bösen Kapitel warnen, dann aber ihre Deluxeboxen voller Schund anpreisen bzw. Oldboys wie Damian Davis, die sich über Money boy ausließen und die Wandlungen der Szene heute mit absoluter Entäuschung begleiten (weil sich HipHop über „BAAAARRSSS!“ auszuzeichnen hat). Dazwischen eine Reihe üblicher Goon Squad Metaphern, die typisch für Lgoony sind – die Zylon Referenz (sein neues Album tauft sich auch direkt „Intergalactica“), das „Sohn der Medusa“ (eine Anspielung auf das Versace Logo, also ein Art Codierung des eigenen Reichtums) oder „Pegasus Bruder“ (ein Gruß an Brudy Crack Ignaz bzw. dessen aka Boy Pegasus, ein österreichischer Trap Künstler, mit welchem Goony zuletzt das Album „Aurora“ releast hat).

Einer meiner liebsten HipHop Tracks der letzten Jahre – pointiert, sehr umfassend auf das Geschehen der Welt bedacht. Dazu großartig in Produktion und Stil.

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Hold on Magnolia to that great highway moon