Antwort auf: Wiederhören im Forum…

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friedrichBrian Eno + David Byrne – MY LIFE IN THE BUSH OF GHOSTS (1981) Als MY LIFE IN THE BUSH OF GHOSTS 1981 erschien, war dies für mich eine eigenartige Erfahrung: Das Album hörte sich so anders an, als alles, was ich bis dahin gehört hatte. Das war wie eine exotische Speise mit fremden Gewürzen, die meine Geschmacksknospen auf noch nie erlebte Art stimulierten und deren Geschmack ich nicht beschreiben und einordnen konnte. MY LIFE IN THE BUSH OF GHOSTS klang unheimlich, verwirrend, wild und gefährlich, war ebenso faszinierend wie schwer verdaulich. Brian Eno und David Byrne hatten schon auf dem Stück I ZIMBRA vom Talking Heads Album FEAR OF MUSIC (1979) mit afrikanischen Polyrhythmen experimentiert und einen Text verwendet, der weder von ihnen selbst geschrieben worden war, noch einen erkennbaren Sinn ergab. Auf MY LIFE trieben sie diese Vorgehensweise auf die Spitze: Die vocals werden hier nicht einmal mehr von einem der beteiligten Musiker vorgetragen, sondern stammen von obskuren Schallplatten oder aus dem Radio. Da hört man einen „inflamed caller and smooth politician replying“, eine Libanesische Sängerin oder einen Prediger, der die Frohe Botschaft über den Äther verbreitet, und sogar einen Exorzisten. Die Gesangspuren sind meist aber so verfremdet, dass der ursprüngliche Sinn der Botschaft nicht mehr erkennbar ist. Was bleibt, sind rätselhafte Stimmen. All dies haben Eno und Byrne mit unzähligen polyrhythmischen Instrumentalspuren verwoben, die wie ein wundersamer und geheimnisvoller Urwald zu wuchern scheinen, durch den Nebelschwaden ziehen. Vielleicht ist das alles aber auch der fiebrige Traum eines Großstadtneurotikers, aus dem er nicht erwachen kann oder die Phantasie eines Besessenen, der Stimmen hört. Eno und Byrne verarbeiten auf MY LIFE Einflüsse aus den verschiedensten Quellen: Funk, Afro-Beat, Dub, Ambient und dazu kommen diese vokalen objets trouvées. Man könnte sich dabei sogar an die elektrischen Fusion-Alben von Miles Davis aus den späten 60ern und frühen 70ern erinnert fühlen, die der Produzent Teo Maceo am Mixboard zusammengeschnitten hat. Auch haben Eno und Byrne das hier verwendete Collage-Prinzip nicht selbst erfunden. Holger Czukay von Can hatte ähnliches schon vorher gemacht und der wiederum hatte die Idee wahrscheinlich von seinem Lehrer Stockhausen übernommen. MY LIFE ist in brisantes musikalisches Gebräu, das alles andere als authentisch ist, denn eigentlich passt das alles überhaupt nicht zusammen und es bleibt offen, was es für einen Sinn ergibt. Eine absichtlich herbeigeführte babylonische Sprachverwirrung, zu der das globale Dorf aber wunderbar tanzen kann. Es gibt eine Anektdote zu dem auf der CD-Re-Issue nicht mehr enthaltenen Stück QU’RAN, auf dem Eno und Byrne die Rezitation von Koran-Versen mit Popmusik kombinierten. Beides für sich ist kein Problem, aber die Verbindung von beidem stieß bei einigen Muslimen auf Ablehnung, so dass man das Stück vorsichtshalber ganz beiläufig durch ein anderes ersetzte. Aus künstlerischer Sicht ist es natürlich triumphal, wenn man durch die bloße Kombination zweier Dinge so einen Bedeutungswandel herbeiführen kann. Wie andere darauf reagieren, ist ein andere Frage. Welchen Einfluss hat MY LIFE IN THE BUSH OF GHOSTS ausgeübt? In den 80ern wurde world music zu einem Begriff und Ausläufer davon schafften es bis in die Hitparade. Sampling wurde zur gängigen Technik der Popmusik, Hip Hop-Künstler wie DJ Dilla oder Madlib haben viel später ganze Alben ausschließlich aus Samples zusammengeschnitten. Flying Lotus‘ Musik könnte man vielleicht als ein Fortsetzung von MY LIFE mit elektronischen Mitteln verstehen. Sicher kann man MY LIFE nicht als unmittelbaren und schon gar nicht als alleinigen Impuls für diese Entwicklungen betrachten. Wahrscheinlich war MY LIFE auch nur eins von vielen Mosaiksteinchen in der Entwicklungsgeschichte dieser Musik, aber vielleicht eins von etwas größerer Bedeutung – und ein besonders schönes. Im Jahr 2006 erschien – wohl anlässlich der 25. Jubiläums der Erstveröffentlichung – eine erweiterte Re-Issue von MY LIFE IN THE BUSH OF GHOSTS. Selbst wenn vieles, was auf MY LIFE 1981 erstmals anklang heute teilweise in den Kanon der Popmusik Einzug gefunden hat – oder vielleicht genau deshalb – , hat diese Musik für mich auch im Jahr 2013 nichts an Faszination eingebüßt.

 

sehr schön, Friedrich.
Bei mir läuft grad die Version mit den Bonus Tracks, daher mein Interesse an deinen Ausführungen. Der LP Titel My Life In The Bush Of Ghosts ist wohl inspiriert von African Head Charge ‎– My Life In A Hole In The Ground, und wer für Remain In Light etwas übrig hat, wird auch hier nicht enttäuscht.

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