Antwort auf: 2017: Jazzgigs, -konzerte & -festivals

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Joe Lovano Classic Quartet
Moods, Zürich – 13. März 2017

Joe Lovano (ts, tarogato), Lawrence Fields (p), Peter Slavov (b), Carmen Castaldi (d)

Im Jahr 2000 stellte eine Kulturinstitution eine Tour mit zwei Trios und zwei Gästen zusammen, Philipp Schaufelberger stiess zum damaligen Trio von Paul Motian (mit Chris Potter und Marc Johnson) und Joe Lovano zum Trio GAS (Hans Feigenwinter, Bänz Oester, Norbert Pfammatter). Ich kriegte das damals eher zufällig mit und ging mit meiner Mutter an das Konzert, das in der Aula meines ehemaligen Gymnasiums stattfand. Von Lovano besass ich damals schon die meisten Blue Note-Alben aus den Neunzigern, doch beeindruckte mich das Konzert sehr, denn seine souveräne Spielfreude, die Gelassenheit, mit der er eine schlaue Idee an die andere reihte, live zu erleben, darauf war ich damals noch wenig vorbereitet.

Dass er in den letzten Jahren öfter im Moods gespielt hat, dem ersten Jazz-Club Zürichs, der heuer im 25. Jahr seines Bestehens ist, hatte ich dann aber nur beiläufig mitgekriegt, da sich meine Konzertbesuche eher in etwas abenteuerliche Richtungen entwickelt hatten – von den Alben, die Lovano seither herausbrachte, mochte ich vor allem jene mit Hank Jones und jene des Nonetts, das sich natürlich stark auf die Bebop-Ära und Tadd Dameron und wohl auch Dizzy Gillespie bezieht. Bei all der aussergewöhnlichen und für mich neuen Musik der letzten Monate, von Nonos „Prometeo“ über ein spätes Streichquartett von Beethoven, Symphonien von Bruckner und Mahler (allesamt Erstbegegnungen) und diversen faszinierenden Jazz-Konzerten, zuletzt mit Roscoe Mitchell und Vinnie Golia (siehe oben), hatte ich richtiggehend Lust auf ein „solides“ Jazzkonzert.

Doch so solide sollte das gar nicht werden. Gemäss den Promo-Slogans, die die Runde machen, soll Lovanos „Classic Quartet“ ja der Erforschung der „rich history of mainstream jazz through swing and bebop“ gewidmet sein – doch gestern beschränkte sich die Gruppe (am Schlagzeug war übrigens Otis Brown III angekündigt gewesen) auf Musik aus der Küche von John Coltrane und Ornette Coleman bzw. den daraus später amalgamisierten „Mainstream“ der modernen Sorte. Lovano griff auch mal zu Rasseln, Glocken und einem Gong, das Art Ensemble schaute auch noch rasch vorbei. Bebop gab es natürlich immer wieder im einzelnen, sei es von Lovano selbst, vom tollen Pianisten Lawrence Fields oder dem Bassisten Peter Slavov – aber die Musik der Combo als ganzes als Bebop zu bezeichnen wäre doch nicht passend. Als Zugabe erklang dann aber eine Ballade von Dizzy Gillespie, die ich mir gerade in einer schönen Version von Chet Baker zu Gemüte führe.

Das Publikum war ein etwas anderes, als ich es meist antreffe, aber wohl eher ein noch typischeres Jazzpublikum, also viele ältere Männer, manche allein, manche mit Begleitung, aber auch ein paar junge Leute, der Laden war jedenfalls voll. Lovanos Musik kam sehr gut an, es gab zwar die üblichen Frühverdrücker, die auf den Zug wollten oder musste und nicht bis 23 Uhr bleiben mochten, aber dennoch Anstalten zu einer Standing Ovation. Dieser mochte ich mich nicht wirklich anschliessen, ich fand Abend alles in allem gut bis sehr gut, aber nicht herausragend.

Im ersten Set – so stellte sich heraus – waren die vier eigentlich primär damit beschäftigt, sich warmzuspielen, obwohl Lovano sofort in die Vollen ging und sichtlich gut gelaunt war. Mir schien sein Spiel zu Beginn aber manchmal etwas überpotent, gar zu motiviert … die Rhythmusgruppe brauchte etwas länger, um zu Lovano aufzuschliessen, doch es kamen von allen dreien immer wieder Impulse und schliesslich fanden sie auch alle zusammen. Die Stücke wurden manchmal als Medleys präsentiert, die sich eher zufällig aneinanderreihten, dann auch in Zwiebelform ineinandergeschichtet und das erste zuletzt wiederholt … grossartige Momente gab es in der zweiten Hälfte des ersten Sets bei einer Abfolge, in der Ornette Colemans „The Turnaround“ eine prominente Rolle spielte und auch Coltranes „Spiritual“ auftauchte.

Im zweiten Set gab es dann auch noch eine tolle Version von Ornette „Lonely Woman“ (ein Lovano-Original namens „Ettenro“ gab es auch noch, aber ich glaube, das war im ersten Set – nicht das ich das gekannt hätte, er hat ziemlich viel Ami-Gelaber abgelassen, dabei aber den Namen des Drummers zwar wie alle anderen Namen zehnmal aber stets so undeutlich ausgeprochen, dass ich ihn vorhin ergoogeln musste), in der Lovano für einmal ausführlich zum Tarogato griff (auf dem Photo unten). Besonders toll fand ich immer wieder Lawrence Fields am Klavier, oft sehr zurückhaltend und klar, manchmal fast ohne linke Hand. Slavov strahlte immer wieder zu ihm herüber, der schlaksig und völlig unbeholfen nur an der Musik interessiert schien. Wenn Fields da und dort ein paar Blue Notes, eine Dissonanz einstreute, eins seiner Tremolos kurz „dreckig“ wurte, war das alles umso effektvoller. Auch längere Passgen mit „locked hands“ gab es, einmal eine lange völlig lineare, in der er aber mit – wohl – zwei Oktaben dazwischen alles simultan mit beiden Händen spielte. Doch hatte Fields keinesfalls die Ausstrahlung, dass man ihn allein anhören gehen würde … keine Ahnung, ob er das mal hinkriegt (oder schon tut und dann einfach anders drauf ist), aber als Sideman fand ich ihn grosse Klasse. Slavov gefiel mir ebenfalls gut, aber er ging leider im Soundmix da und dort etwas unter, spielte aber einen beweglichen und doch oft eher gefühlten als gehörten Bass mit schönem hölzernen Ton, sehr behutsam verstärkt für einmal. Castaldi war mir öfter eine Spur zu plump, er drosch manchmal gar sehr, ohne zwischen den heftigen Schlägen auch die nötigen Füller anzubieten, die erst die Heftigkeit, den Furor, so richtig erklärt hätten. Aber auch er war immer wieder hervorragend und im zweiten Set fand das Quartett wirklich zusammen und da passte auch Castaldi fast immer.

Wenn sich bei mir die ganz grosse Begeisterung – die leuchtenden Kinderaugen der Herren, die ich danach bei der Tramhaltestelle sah – nicht einstellen mochte, so lag das wohl am Ende auch an Lovano selbst, dessen gute Laune zwar keineswegs penetrant war und sich vom mühsamen Ami-Promogelaber abgesehen wirklich nur beim Spielen äusserte – aber ganz warm werde ich mit ihm trotz aller Wertschätzung wohl nie.

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