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Viele Leute fragen: „Warum muss Kozelek zuletzt so viel Belangloses erzählen, was soll dieses ziellose Gebrabbel?“ und geben sich selbst die Antwort: Der Mann ist ein verbitterter Typ im Schaukelstuhl, der die besten (weil melancholischen und musikalisch bekömmlicheren) Tage bereits hinter sich hat. Ich frage: Haben diese Leute sich eigentlich die Alben jemals wirklich angehört?
Für mich steht Kozelek in einer Reihe mit den stärksten Songwritern und lyrischen Stilisten, die der Musikkosmos hervorgebracht hat. Ein im menschlichen Sinne traditionsbewusster Geist, unentwegt mit Ohio und Kalifornien verbunden – im musikalischen und politischen Sinne aber ein teils überaus garstiger Kommentator. Wenn man sich Kozelek widmet, erkennt man mit jedem Text mehr seine Vielgestaltigkeit – da ist ein Typ, der zahlreiche Tracks seiner Familie, seinen Freunden, seiner Frau widmet, hunderte von Zeilen – Offenbarungseide, die in Ihrer Unmissverständlichkeit fast konservativ wirken können. Gleichsam ist da auch ein Typ, der musikalische Formen ins Absurde bricht, mehrere Songs in einem verschachtelt, sich immer wieder zu boshaften Randnotizen hinreißen lässt, Reviews über Ihn mit Spott und anderem Spaß garniert, schelmisch seinen Frauenverschleiß preisgibt – und so vieles mehr. Und wie Fantano richtig sagte: Sein Track endet, wenn der Track endet, mag das manchmal auch zehn Minuten und 6000 Wörter brauchen. Bei Kozelek muss man damit leben, dass ein Mensch kein harmonischer Farbverlauf ist.
„Lone star“ ist einer meiner liebsten Tracks des neuen Albums, eine Trackchimäre, die alles ist, aber sicher nicht unkonkret. Genaugenommen greift Kozelek, wie ein guter Kolumnist, mehrere Themen auf (hier sind es drei), die letztlich wie ein Triptychon funktionieren. Eines davon thematisiert seine entschiedene Haltung, sein absolutes Unverständnis und seine Wut gegenüber der jüngsten gesetzlichen Regelung in North Carolina, die vorsieht Transgender die Toilettenbenutzung nur hinsichtlich Ihres Geburtsgeschlechts zu gestatten („What the fuck is it to you/They’re worthy of dignity and respect and use of any goddamn toilet“). Bands wie Pearl Jam verurteilten dieses Gesetz ebenfalls – auch in Form von Konzertabsagen innerhalb des Staates. Relevant wird hier zudem die Verurteilung von Kozelek selbst und die Auftrittsverbote in Texas – zu oft wurde er als Sexist wahrgenommen, was mich einerseits schockt, andererseits aber auch etwas amüsiert. Auch hier gilt die Frage: Haben diese Leute sich eigentlich die Alben jemals wirklich angehört?
Der zweite Teil ist ein direkter Appendix zur Präsidentenwahl. Und die Aussage könnte nicht eindeutiger sein: „We wanted dumb headlines, well baby, we got it/We wanted instant gratification, right well baby, we got it/We wanted stupid entertainment, baby, we asked for it“. Kozelek belässt die Wahl Trumps nicht bei einer Verschwörung oder gar Zufall – sondern erzählt von einem grotesken Produkt, das genauso entstanden ist, wie es sich das Volk wünschte. Eine Gesellschaft, die Apps über Bildung stellt, die mediales Junkfood in sich hineinfrisst und die jetzt die Verantwortung für Ihre Trägheit und Sensationsgier mit zu tragen hat. „As George Carlin said one night, „I believe you have to be asleep to believe in the American Dream“/So all of us zone the fuck out a minute, get some popcorn, watch some Trump/Check your Facebook and keep up with the Kardashians“ heißt es zuletzt.
Der erste Teil des Tracks wischt mit eitlen Modekrankheiten den Boden auf, ein prächtiges „Fuck you!“ an all die Lifestyle-Depressiven, die mit Ihren Problemchen und dem daily hustle im Starbucks hausieren gehen. Wie real der Anlass ist, kann ich nicht sagen – Kozelek erzählt davon, wie er nachts eine Frau am Hafendamm sieht, die weinend und betend das schwarze Wasser unter sich beobachtet – bereit zu springen. „There are people in this world who have dead children/They’re deeply grieving“ heißt es – ich kann mir vorstellen, dass Kozelek hier einen weiteren Verweis auf den Tod von Arthur (Nick Caves Sohn), der 2015 an einer Klippe in England verunglückte, anbringt. Dieses schreckliche Unglück und allgemein das Thema Kindstod und das Mitgefühl mit den Eltern wurde schon in „Exodus“ ausgebreitet.
Soviel zum thematischen Rahmen. Wie üblich für Kozeleks Lyrics gibt es noch viel mehr. Zierat, kleine Bemerkungen, notwendiger Kitt – der Gang durch das strahlenden Kalifornien, die Liebkosungen seiner Katzen, seine Wertschätzung für Jimmy Page und Nancy Wilson – Alltagsbeobachtungen. Für mich sind diese Nebensächlichkeiten innerhalb des Gedankenstroms oft ähnlich relevant, wie die Hauptstränge. Genaugenommen ist das die Antithese zu Pop – nicht der Versuch alles Essentielle in drei Minuten zu formulieren, sondern sich die Zeit zu nehmen, einen Roman zu schreiben, in dem man nicht nur die großen Gefechte beschreiben kann, sondern auch die Charakterzüge der Protagonisten, die Flora, das Wetter, die Risse am Bauwerk.
Das musikalische Ambiente dazu ist faszinierend: Ein klackender Schlagzeugtakt, gurgelnde, umschlingende Gitarrenbewegungen, zuweilen leichte Verzögerungen in den repetitiven Mustern. Wenn Kozelek die Autos auf den Straßen beobachtet, die Züge in der Ferne, wandelt sich das Arrangement zu einem überblendenden, wallenden Strom – mit Stimmdopplungen und einem Sound, der wie Pink Floyds „On the run“ erklingt. Dann zarte Gitarrenklänge, so anmutig, wie zuletzt auf „Admiral fell promises“ – Kozelek sitzt unter dem Weihnachtsbaum, besonnen und entdeckt das Debut von Hearts unter der Geschenkfolie. Ein paar harmonische Motive, bis der Alltag mit seiner theaterhaften Kulisse wieder ins Bild geschoben wird. Der ursprüngliche Takt stottert wieder von neuem. Alles präzise nach den Worten gerichtet, Hand in Hand.
Man muss diesen Stream of consciousness mögen. Man muss Interesse an den Gedankenläufen haben, Interesse an minimalsten Stimmverschiebungen, sicher auch an Texten, an politischem Geschehen, an Kozelek als Person – dann erscheinen weder Lyrics noch Instrumentierung monoton. Und die Phrasierungen am allerwenigsten. Spannend wird es dann, wenn man bemerken kann, wie sämtliche Tracks der letzten Jahre zu einem großen Mosaik werden – mit unermesslich vielen Querverweisen.
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Hold on Magnolia to that great highway moon