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vorgarten
gypsy-tail-windHm, ich muss ganz ehrlich sagen, mich spricht fast alles, was ich da bisher gehört habe, zuwenig an, als dass ich tiefer einsteigen möchte (und – was da nötig wäre, wenn man sich nicht mit Blog-Fundstücken begnügen mag – tiefer in die Tasche greifen).
solche überlegungen sind mir ja überhaupt nicht fremd, aber kannst du etwas genauer ausführen, was dich daran nicht anspricht? da gibt es ja ganz viel kontinuitäten, leute nbeen shepp selbst, die du sicherlich auf aufnahmen der 50er und 60er sehr schätzt (z.b. parlan, aber auch richard davis, clifford jarvis, idris muhammad u.v.m.), wo du dann aber einen schnitt setzt, sobald sie in einer post-1976er shepp-band auftauchen? hat das mit seinem ton zu tun, seinem rückgriff auf jazztraditionen, dem material, seiner aura (die des afroamerikanischen geschichtslehrers o.a.)? würde mich interessieren. kannst ntürlich auch mit gegenfrage antworten, warum ich mich so wenig mit ellington oder parker oder gillespie beschäftige…
Tja, die Gegenfrage … diese Art Fragen sind ja durchaus aufschlussreich, so genau kann ich das nicht einmal begründen, es spielen diverse Dinge mit, gewiss auch meine Unkenntnis vieler guter später Shepp-Alben. Aber mir langeweilt z.B. sein „coasting“, wenn er mit seinem tollen Ton durch Standards röhrt, ohne sich um die Changes zu scheren (warum spielt er dann überhaupt Standards – for the ladies oder so wohl – das verurteile ich auch überhaupt nicht, aber ich mag es halt nicht lange hören). Die Leute, die dabei sind, das ist gleich noch so ein guter Punkt, der wohl auch mit meiner Biographie als Hörer zu tun hat: ich fokussierte anfangs sehr stark auf die grossen Jahre des Modern Jazz, sagen wir mal 1955-1965, zog dann auch – wenigstens stellenweise, bei ESP oder Impulse etwa – die späten Sechziger mit ein, bei Miles natürlich auch … und ging zurück in die Vierziger, Charlie Parker, Bud Powell, Monk, Gillespie usw. Was diese Leute nach den „grossen“ Jahren machten, verfolgte ich zunächst überhaupt nicht, weil mir das Budget und die Zeit fehlten, weil ich sehr breit in die erwähnte Hard Bop-Zeit einstieg, also nicht nur die ganz grossen sondern sehr bald auch die zweite und dritte Garde (Lee Morgan, Hank Mobley, Johnny Griffin, Yusef Lateef, Booker Little, Kenny Dorham, Clifford Jordan etc. etc.) erforschte. Ich merkte dann z.B. bei Randy Weston rasch, das die frühesten Sachen (an die man eh kaum kam, nur an die vier CDs von Fantasy kam man recht leicht und das Dawn-Album war dank Fresh Sound auch bald da) nicht die besten sind, holte mir dann rechtzeitig die ganze Gitanes/PolyGram/Universal-Reihe … von da zu den PolyGram-Releases von Teddy Edwards oder Charlie Haden war der Weg nicht weit, den späten Henderson (ich habe das Miles-Album nach wie vor nicht) und anderes hörte ich dann auch bald, aber vieles blieb punktuell, die 70er und 80er liess ich zu weiten Teilen aus (vom Rock-Jazz interessieren mich auch heute die Anfänge noch weitaus am meisten, die Entwicklung hin zum Smooth-Schlock habe ich nie begriffen).
Ich habe entsprechend bis heute (auch weil es mich inzwischen in hundert andere Richtungen trieb, die zeitgenössische Avantgarde, die Anfänge und heutigen Manifestationen von EFI, später auch mal eine Rock-Phase, dann die Klassik, Musik aus Äthiopien, Südafrika, Fela Kuti, was weiss ich) keinen richtigen Überblick darüber, was in den „dunklen“ Jahren (sagen wir 1965-1985) alles lief, habe natürlich die ganzen Chicagoer verfolgt und einzelnes vertieft (den ganzen Miles z.B.), auch manches von Labeln wie Muse oder Steeplechase ist da … aber da merke ich z.B. bei @soulpope immer wieder, wie viele Lücken ich habe, und bei Dir durchaus auch, weil Du halt eben ein paar entscheidende Jahre früher eingestiegen bist. Als ich einstieg, waren der heisse Scheiss Leute wie Diana Krall, Brad Mehldau und Joshua Redman, Wynton M war schon wieder etwas weg, Branford noch da (die erste Buckshot LeFonque, die zweite kaufte ich dann schon nicht mehr) – und das langweilte mich rasch, im Konzert (oft konnte ich mir das eh nicht leisten, weil mein Geld halt für Tonträger draufging und für Saxophone) hörte ich dann halt meist eher ältere Leute: Ahmad Jamal mit George Coleman, Charles Lloyd, Shirley Horn (deren Alben ich zwar zu kaufen begann, aber auch bis heute recht viele Lücken habe, obwohl ich sie sofort als eine meiner Lieblingssänerinnen nennen würde und das Konzert zu meinen schönsten Jazz-Erlebnissen zählt), Abdullah Ibrahim, Sonny Rollins … und daneben entdeckte ich dann halt den „anderen“ Jazz, der hier nur sehr selten in den arrivierten Spielstätten zu hören ist: Irène Schweizer, Roscoe Mitchell, das ICP Orchestra (meine einzige Mengelberg-Erinnerung, leider schien er damals – ich glaube 2004, müsste nachschauen – schon ziemlich hinüber zu sein, spielte wenig, guckte uninteressiert zu, wie die anderen ihren – gigantischen – Spass hatten… grossartiges Set, aber nicht wegen Mengelberg), Steve Lacy, die Bauers, Oliver Lake etc. etc.
Die Antwort führt weit weg, aber sie gehört zur Frage, warum ich Leute, die ich sonst schätze, in dieser Phase nicht kenne, nicht höre … gäbe es haufenweise Reissues von all den Sachen (z.B. von den ganzen Denon-Alben), hätte ich wohl da und dort auch zugegriffen, aber das Zeug lag hier auch kaum herum. Selbst Steeplechase-CDs konnte man nur in absurden Aktionen aus unsortierten Grabbelkisten ziehen, einen regulären Vertrieb gab es nur zu Mondpreisen, aufgrund derer solche Alben bei mir nur höchst selten in Erwägung gezogen wurden (und Vinyl war halt schon weg, als ich mit Jazz anfing … bzw. als ich zu kaufen anfing, gehört – was mein Vater angehäuft hatte, was die Bibliotheken hergaben, was die Schulkameraden so hatten – und mir das eine oder andere zum Geburtstag gewünscht hatte ich da schon eine Weile).
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Das hier stammt aus @vorgarten’s nächstem Post, den ich leider nicht verschieben konnte, weil er hier zur Hälfte off-topic wäre:
zuletzt geändert von gypsy-tail-windvorgartenalles klar, danke. der punkt mit der erhältlichkeit der aufnahmen ist natürlich richtig, so einfach kann man da ja gar nicht lücken schließen. ich habe damals glück gehabt, nicht nur live, auch, weil ich freunde hatte, die viel shepp auf vinyl hatten, außerdem stadtbüchereien, die da in cds investierten.
was mich etwas umtreibt ist die behauptung, shepp könne keine changes spielen. würde ich bezweifeln. er selbst sagt selbst, dass er sich vom blues-spieler zum changes-adepten (er ist ja eigentlich durch lee morgan, bobby timmons usw. in die szene gekommen) und bei cecil taylor wieder zum changes-ignoranten entwickelt hat. wenn er ab ende der 70er wieder standards spielt, ohne die changes groß zu beachtet, habe ich das immer gehört als wiederverknüpfung mit dem blues, der da vorgeschaltet ist. seine eigene kompositionen sind ja sehr change-lastig, wenn man von „mama rose“ absieht („ujamma“ z.b.) – auch die späte hinwendung zu material von elmo hope usw. ist nicht dadurch zu erklären, dass er sich durch tricks aus der affäre zieht, das könnte er einfacher haben.
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