Re: Van Dyke Parks

#1005059  | PERMALINK

nail75

Registriert seit: 16.10.2006

Beiträge: 45,018

Die unbekannte Legende
Van Dyke Parks live im Mousonturm in Frankfurt
http://www.regioactive.de/story/9315/konzertbericht_van_dyke_parks_live_im_mousonturm_in_frankfurt.html

Van Dyke Parks ist eine lebende Legende, die kaum jemand kennt. Obwohl er für zahlreiche herausragende Künstler komponiert, arrangiert und produziert hat, ist er der breiten Öffentlichkeit so gut wie unbekannt. Unter seinen Kollegen und seiner kleinen aber engagierten Anhängerschaft erfreut sich der in Los Angeles lebende Musiker allerdings der allergrößten Wertschätzung. Am Dienstag gab Van Dyke Parks im Frankfurter Mousonturm eines seiner sehr seltenen Konzerte. Es war erst sein dritter Auftritt in Deutschland überhaupt!

Lediglich sieben Alben hat Van Dyke Parks seit 1968 veröffentlicht. Sein erstes und bekanntestes Album Song Cycle ist eher eine musikalische Collage, denn eine Sammlung herkömmlicher Lieder. Sein letztes Studioalbum Orange Crate Art veröffentlichte er gemeinsam mit Brian Wilson vor vierzehn Jahren. Neue Lieder hat er nicht im Gepäck: Man würde Moses ja auch nicht um ein 11. Gebot bitten, beantwortet er trocken die Frage nach neuer selbstkomponierter Musik. Stattdessen verknüpft sein Konzert einige seiner bekanntesten Lieder mit einer Auswahl von Stücken, die den ganzen Reichtum angloamerikanischer Musik widerspiegeln.

Große Neuerungen sind von Van Dyke Parks dennoch nicht zu erwarten. Die Setlist weist nicht weniger als elf Überschneidungen zu seinem Album Moonlighting: Live At The Ash Grove von 1998 auf. Erfreulich ist, dass zusätzlich zwei der besten Lieder von Jump!, nämlich An Opportunity For Two und Come Along Aufnahme gefunden haben. Dazu gesellen sich noch drei Coverversionen, beispielsweise Woody Guthries Pastures Of Plenty und das englische Madrigal The Silver Swan aus dem Jahre 1612. FDR in Trinidad ist freilich nicht „seine heitere Ode an Roosevelt“, wie die Frankfurter Rundschau fälschlicherweise schreibt, sondern ein kurz nach Roosevelts Besuch in Trinidad im Jahr 1936 von Fitz MacLean geschriebenes Lied. Damals lagen die Schrecken des 2. Weltkriegs noch in der Zukunft. Parks will es heute als Symbol seines Glaubens an demokratische Prinzipien verstanden wissen.

Van Dyke Parks‘ Musik lebt von der Suche nach Berührungspunkten verschiedener Kulturen. Er beschäftigte sich mit karibischer Musik in Form des Calypsos, spürte den Wurzeln des amerikanischen Komponisten und kulturellen Grenzgängers Louis Moreau Gottschalk nach und widmet sich neuerdings dem Okie Woody Guthrie, der vor dem Dust Bowl nach Kalifornien migrierte. Guthrie und Parks teilen diese Erfahrung, denn Parks stammt ursprünglich aus dem tiefsten Süden der USA, in dem die Rassentrennung bis zum heutigen Tag nachwirkt. Gleichzeitig befruchteten und verknüpften sich dort allerdings afrikanische und europäische Musiktraditionen in einzigartiger Weise. Diesen verschlungenen Pfaden zu folgen, zeichnet Parks aus.

Das Konzert verdeutlicht, dass Van Dyke Parks nicht häufig vor Publikum auftritt. Seine fehlende Routine im Gesang und Klavierspiel ist deutlich zu spüren, in manchen Momenten fehlt ihm das Feingefühl oder das Gespür für die intuitiv richtige Vorgehensweise. Im Vergleich zu früheren Aufnahmen hat seine Stimme an Elastizität verloren, manche anspruchsvoll zu singenden Lieder (wie Orange Crate Art) sind gesanglich unbefriedigend, während John Hartfords famoser Delta Queen Waltz oder das elegische Come Along hervorragend gelingen. Anders als auf Moonlighting tritt Parks nicht mit einem größeren Orchester, sondern lediglich mit Bassist Moe Jaksch und Gitarrist Andreas Binder auf, die hauptsächlich eine begleitende Rolle spielen. Dennoch verleiht Parks seiner Musik mit seinem Klavierspiel eine fast opulente Fülle, die das fehlende Orchester kompensiert und einen ganz anderen, einen direkten Zugang zu seiner Musik ermöglicht.

Es ist aber nicht die musikalische Qualität, sondern Van Dyke Parks‘ Persönlichkeit, die den größten Eindruck hinterlässt. Mit den Worten: „Ich nehme mir das Recht heraus, Fehler zu machen“, erteilt er dem Streben nach Perfektion eine wohlverdiente Absage. Stattdessen begeistert er das Publikum mit seiner mitreißenden Herzlichkeit, Freude und Dankbarkeit. Spontan bricht er in Lachen aus, bedankt sich überschwänglich, rezitiert ein Gedicht von Robert Frost, spottet über George W. Bush, beschwört die Verbindung zwischen Deutschland und den USA.

Das Konzert widmet Van Dyke Parks seinem vor vielen Jahren in Frankfurt unter ungeklärten Umständen verstorbenen Bruder, der als Agent für das Außenministerium der USA tätig war. Man spürt, dass diese Begegnung mit der Geschichte seiner eigenen Familie in Verbindung mit seinem umjubelten Auftritt schmerzhaft und versöhnlich zugleich ausfällt. Im nächsten Jahr will er wiederkommen. Es wäre wunderbar.

--

Ohne Musik ist alles Leben ein Irrtum.