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funkhaus berlin, 22.11.2016
die necks sind auf geburtstags-europatournee (30 jahre), heute abend findet der abschluss in warschau statt, gestern sind sie in berlin, im großen sendesaal 1 des früheren ddr-rundfunkgebäudes in der nalepastraße, aufgetreten. der rundfunk-komplex, erbaut nach entwürfen von bauhaus-schüler und gropius-mitarbeiter franz ehrlich 1951, liegt im peripheren, industriellen nirgendwo im stadtteil oberschöneweide, der von den berlinern auch gerne „oberschweineöde“ genannt wird. seit 2015 gehört das alles einem privatinvestor, der mal bei der deutschen bank gearbeitet hat, und der dort ein internationales musikzentrum aufbauen will. als aufnahmeort (viele jazz- und klassikaufnahmen entstehen in den kleineren studios) wird insbesondere der sendesaal 1 wegen seiner akustik gerühmt, von bahrenboim undsoweiter gibt es dazu äußerst schmeichelhafte und zitierfähige aussagen. der komplett holzverkleidete saal ist auf einer seite von der tribüne bestimmt, auf der anderen befindet sich, in einer von sanft abfallenden terrassen gerahmten vertiefung, die bühne, bei hellem licht sieht sie so aus:
gestern also piano, bass & schlagzeug, um sie herum, direkt auf den holzböden, ein zusammengedrängter teil des publikums, auf der tribüne, ebenfalls unbestuhlt, ca. weitere 300 zuschauer; im schnitt etwa 30 jahre jünger als die besucher des jazzfestes vor drei wochen. und auch deutlich internationaler. die necks wurden nicht als jazzband angekündigt, sondern als „das aufregendste ambient-trio der welt“ (rolling stone).
drei ältere herren in freizeitkleidung nehmen in der mitte platz. abrahams hat wie üblich die beiden anderen im rücken, es ist keine visuelle abstimmung nötig. er fängt einfach an, arpeggien in dur, sehr nah am kitsch. aber ausgehalten. minutenlang. die veränderungen erfolgen, wie üblich, knapp unter der wahrnehmungsschwelle. swanton streicht im akkord mit. buck rasselt dagegen an und setzt für 20 minuten einen regelmäßigen schlag auf das ridebecken. dann plötzlich zwei. ich werde in meinen erwartungen abgeholt, good old necks magic. die mit dieser band scheinbar unvertrauten jungen menschen hören irgendwann auf zu quatschen und fangen an zu kuscheln und trauen ihren ohren. ich kenne die tricks: gleich wird swanton den bogen wegstecken und zupfen. dann wird er die oktave wechseln. und bucks wird statt zwei regelmäßigen schlägen auf das ridebecken drei, dann kurz auch mal (ein necks-gag) vier setzen. alles wird sich verdichten, dissonanter werden, an intensität zunehmen. am ende wird nur noch die rassel von buck übrig bleiben. und dann gibt es großen aufwachapplaus. für einen kurzen moment habe ich die absurde idee, genau dieses set schon einmal gehört zu haben. ist das spektrum der möglichkeiten etwa doch begrenzt? bin ich ihnen auf die schliche gekommen? oder ist das konzept: eine jubiläumstour, die gleiche ausgangspunkte aufgreift wie in früheren sets? aber das ist unsinn. natürlich haben sie mich wieder völlig übertölpelt. wann genau sind sie von dur nach moll gewechselt? ich habe es nicht mitgekriegt.
nach der pause fangen swanton (ein flageolet-ton) und buck (rasseltrommel, die scheinbar zufällig über diverse apparaturen klappert, die er auf den trommeln verteilt hat) an. fast unmerklich steigt abrahams nach minuten ein, er wird das ganze set quasi mit der klangwolke verschmelzen, in der genau entgegengesetzten geste zum ersten set, das er dominiert hat. es sind die figuren von swanton, die jetzt für druck sorgen. und das geklappere von buck, aus dem allmählich ein quasi-beat wird, verkompliziert noch durch hi-hat und gegenläufige bassdrum, poly-a-rhytmisch sozusagen. das hebt irgendwann so grundsätzlich ab, dass mir heute morgen die erinnerung daran fehlt. alles schwimmt in einem strukturierten fluss, aber affiziert hat mich vor allem die materialität der musik, das schaben, klappern, streichen, trillern, die gefühlte ballung von sich in bewegung befindenden teilchen, entschieden ineinander verliebt. halb wache ich wieder auf, habe die spannung des raums förmlich vor augen, die positionswechsel auf hartem holzboden, die abgesunkenen fotografen-arme. massive wellen von staub wabern durchs scheinwerferlicht, der staub der alten ddr als in bewegung versetzte verliebte teilchen. die necks hören nicht mehr auf. niemand mag den letzten ton haben. zum schluss bewegt buck einhändig eine schnur mit riesigen holzblöcken und einer schellenkette, die noch dagegen schlägt. an den tatsächlichen schluss erinnere ich mich nicht mehr.
nüchterner abgang unter stehenden ovationen. für mich gehörte das zum tollsten, was ich von dieser band je gehört habe, was wohl überprüft werden kann, genug professionelle audio/visuelle aufnahmetechnik war vorhanden. ob sie die teilchen haben einfangen können? ich bin sicher, dass sich der staub im raum immer noch nicht gelegt hat.
edit. the necks vertreiben den konzertvideomittschnitt mittlerweile auf einem usb-stick über ihren onlineshop:
https://www.discogs.com/de/The-Necks-Live-In-Berlin/release/13342290
https://shop.thenecks.com/product/the-necks-live-in-berlin-video-usb
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