"Handgemachte Musik" – Sinnvoller Begriff oder überholte Vorstellung?

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  • #9441199  | PERMALINK

    gypsy-tail-wind
    Moderator
    Biomasse

    Registriert seit: 25.01.2010

    Beiträge: 67,077

    Und das mit dem Verhältnis von Kunstfigur zu Autor, von Autor zu Werk, muss man natürlich stets im Einzelfall behandeln. Ich finde es im Normalfall weder interessant, den Text als Abstraktum zu betrachten noch für jedes Detail das entsprechende Datum aus der Biographie des Autors aufzuspüren … aber beides soll man – unter anderem – tun, wenn man sich mit einem Werk genauer auseinandersetzt, beides gehört doch mit zu einer möglichst umfassenden Annäherung an ein Werk, auch wenn beides allein (und auch beides zusammen) in den allermeisten Fällen nicht weit führt.

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    "Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #151: Neuheiten aus dem Archiv – 09.04., 22:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tba
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    #9441201  | PERMALINK

    gruenschnabel

    Registriert seit: 19.01.2013

    Beiträge: 6,129

    gypsy tail wind Und es beelendet mich, dass sich so viele Menschen dieses verlogene Zeug anschauen und sich dabei noch denken: was für ein hübsches, liebes Mädchen, hätte unser Hermann Rudolph doch bloss so eine nette Frau … das reinste Elend. Und klar ist das ein Urteil und in den Augen mancher wohl eine Anmassung. Aber ich kann nicht anders.

    Nein, keine Anmaßung. Dass sich Frau Fischer als Projektionsfläche prostituiert, kann man doch ruhigen Gewissens feststellen. Das stört uns aber gar nicht, weil wir geil auf solche Projektionsflächen sind. Ganz davon abgesehen, dass die Fischer handgemacht und damit ehrlich singen kann – wir wollen die Mogelpackung, weil sie uns einen Kick gibt. Und wohlgemerkt: Wir wollen die Packung, nicht den Inhalt. Und wenn Frau Fischer schlau ist, kann sie das auch unterscheiden. Sonst glaubt sie womöglich noch, sie würde sich gar nicht prostituieren.

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    #9441203  | PERMALINK

    nicht_vom_forum

    Registriert seit: 18.01.2009

    Beiträge: 5,865

    grünschnabelÄußerungen des Künstlers sind sicherlich nicht unwichtig. Aber ich muss sagen, dass ich die mittlerweile mit ganz spitzen Fingern anfasse, wenn es darum geht, in eine lebendige Wechselbeziehung mit einem Werk einzutreten. Mit dem Vakuum – das ist natürlich richtig. Aber ist es nicht das Kunstwerk selbst, das den Kommentar zu seinem Entstehungskontext „aussprechen“ sollte? Wäre es nicht eher ein Defizit der Kunst, wenn man noch eine Bedienungsanleitung vom Künstler bräuchte?

    Ich würde es jedenfalls als Defizit sehen, wenn das Zielpublikum zusätzlich zum Kunstwerk noch eine Bedienungsanleitung braucht. Genau wie ich allzu plakative und vereinfachte „Botschaften“ in einem Kunstwerk als Defizit sehe. Andererseits bieten Aussagen des Künstlers auch Ansatzpunkte dafür, wo die Grenzen zwischen dem vom Künstler bewusst Intendierten, den unbewussten Einflüssen und dem, was der Beobachter mitbringt verlaufen. Schließlich ist ja auch nicht jede mögliche Interpretation gleich „richtig“ und schon gar nicht gleich zutreffend im Sinn von “Was will uns der Künstler damit sagen“.

    Je weiter sich ein Kunstwerk dann (zeitlich, geographisch, kulturell) von seinem Ursprung entfernt, desto mehr kann eine Bedienungsanleitung dann aber vom Mittel zur Behebung eines Defizits zur Notwendigkeit werden, um überhaupt Ebenen jenseits der reinen sinnlichen Erfahrung erschließen zu können. Beispielsweise ist ein Schraubenschlüssel nur dann ein Schraubenschlüssel, wenn es im relevanten Kontext auch Schrauben mit sechseckigem Kopf gibt. Sonst ist er nur ein seltsam geformtes Stück Metall.

    Die Sehnsucht nach einer Eindeutigkeit des Verstehens, nach einem Schlüssel, der Kunst für alle gleichermaßen einsehbar aufschließt, der das Rätsel knackt, die „richtige“ Interpretation offenbar werden lässt, die findet man eigentlich auch außerhalb von Schule immer und immer wieder. Und das „Was will der Dichter uns damit sagen?“ ist ja einerseits schon fast eine kollektiv verständliche Karikatur von Kunstverstehen, andererseits scheint die Frage auch einem Bedürfnis vieler zu entsprechen. Aber Kunst ist kein Quiz, kein Rätselraten, keine Schatzsuche, keine simple Belehrung.

    Ich empfinde „Was will uns der Künstler damit sagen“ in den meisten Fällen entweder als Fehlformulierung von „Was kann uns das Kunstwerk mitteilen“ oder (insbesondere in schulartigen Kontexten) als Bestandteil einer Strategie, mit der dann aufgrund von Vorkenntnissen des Fragenden entweder die Antworten als „richtig“ oder „falsch“ bewertet werden können oder bestimmten Interpretationen ein scheinbar objektiver Charakter zugewiesen werden kann. Beides ist m. E. aber gleich ärgerlich und sinnlos.

    Rätselraten und Schatzsuche finde ich übrigens keine schlechten Metaphern für die Beschäftigung mit Kunst. Damit ist ja noch lange nicht gesagt, dass es auch eine eindeutige Lösung oder einen klar definierten Schatz gibt.

    --

    Reality is that which, when you stop believing in it, doesn't go away.  Reality denied comes back to haunt. Philip K. Dick
    #9441205  | PERMALINK

    latho
    No pretty face

    Registriert seit: 04.05.2003

    Beiträge: 36,945

    Nicht_vom_Forum[…]
    Ich empfinde „Was will uns der Künstler damit sagen“ in den meisten Fällen entweder als Fehlformulierung von „Was kann uns das Kunstwerk mitteilen“ oder (insbesondere in schulartigen Kontexten) als Bestandteil einer Strategie, mit der dann aufgrund von Vorkenntnissen des Fragenden entweder die Antworten als „richtig“ oder „falsch“ bewertet werden können oder bestimmten Interpretationen ein scheinbar objektiver Charakter zugewiesen werden kann. Beides ist m. E. aber gleich ärgerlich und sinnlos.
    […]

    Oh ja, wie in der Schule. Auf die Frage an den Deutschlehrer, ob Fontane die ellenlangen, uns einzubimsenden Interpretationen denn tatsächlich so beabsichtigt habe, gab’s ein „Hmpf“ und dann eine schlechte Note.
    Es gibt: a) das was der Erschaffer tatsächlich beabsichtigte (über Interviews etc herauszubekommen), b) was das Kunstwerk für einen bedeutet (eben die Interpretation, die aber immer nur für einen selber gültig ist) und c) das, was das Kunstwerk irgendwann mal in der Öffentlichkeit/Geschichte darstellt (u. U. nochmal etwas anderes als oben).

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    If you talk bad about country music, it's like saying bad things about my momma. Them's fightin' words.
    #9441207  | PERMALINK

    gypsy-tail-wind
    Moderator
    Biomasse

    Registriert seit: 25.01.2010

    Beiträge: 67,077

    Ihr hattet ja bekloppte Deutschlehrer … ich habe da auch meine Erlebnisse, aber derjenige, den wir in den letzten 2-3 Jahren des Gymnasiums hatten, gab sich echt Mühe – er ging anschliessend in Rente und hatte soweit ich weiss nur noch unsere Klasse und unendlich viel Zeit, schleppte fast jede Stunde Unmengen von Material an und sprühte förmlich vor Begeisterung für die Literatur – so habe ich das auch an der Uni später nur selten erlebt, eigentlich nur bei zwei Professoren der Germananistik, die anderen waren eher Routiniers, um es mal nett auszudrücken.

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    #9441209  | PERMALINK

    ferry

    Registriert seit: 31.10.2010

    Beiträge: 2,379

    grünschnabel

    Als Zuschauer fühle ich mich allerdings nicht. Als Rezipient bringe ich mich hingegen als Teil des Spiels ein, was die Sache dann wirklich noch viel komplexer macht. Aber das Spiel funktioniert eben ohne uns nicht, es wird gar nicht erst angepfiffen. Wir sind sicherlich keine Zaungäste, die sich dann lediglich beiwohnend von den Mechanismen des Spiels beeindrucken lassen, wir stehen mit auf dem Feld. (Klar, wenn man will, kann man auch von außen zuschauen, aber das wird dem Wesen von Kunst m.E. nicht gerecht.)

    So ähnlich sehe ich das auch. Die Rezipienten sind mit dem Kunstwerk verbunden, genauso auch der Künstler.

    Wobei das Kunstwerk schon auch für sich selbst steht.
    Um damit wieder auf die „ehrliche“ Musik zurückzukommen: Die Musik an sich, kann gar nicht ehrlich oder unehrlich sein. Wenn, dann ist doch der Künstler ehrlich oder unehrlich.

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    #9441211  | PERMALINK

    gypsy-tail-wind
    Moderator
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    Registriert seit: 25.01.2010

    Beiträge: 67,077

    ferryDie Musik an sich, kann gar nicht ehrlich oder unehrlich sein. Wenn, dann ist doch der Künstler ehrlich oder unehrlich.

    Doch – insofern als das Werk an sich nicht existiert. Es existiert immer nur in einem Netz von Beziehungen – Künstler/Werk, Werk/Publikum, Werk/andere Werke, Werk/Zeitgeschichte etc. etc. Man könnte so gesehen z.B. einer rein rückwärtsgewandten Musik oder Malerei, die nichts anderes will, als eine unerreichbare nostalgische (und verklärende) Vergangenheitssicht zu transportieren und zu propagieren, durchaus Unehrlichkeit vorwerfen.

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    #9441213  | PERMALINK

    Anonym
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    Solipsisten im Forum sind immer willkommener als Pegiden, aber ähnlich überraschend.

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    #9441215  | PERMALINK

    ferry

    Registriert seit: 31.10.2010

    Beiträge: 2,379

    gypsy tail windDoch – insofern als das Werk an sich nicht existiert. Es existiert immer nur in einem Netz von Beziehungen – Künstler/Werk, Werk/Publikum, Werk/andere Werke, Werk/Zeitgeschichte etc. etc. Man könnte so gesehen z.B. einer rein rückwärtsgewandten Musik oder Malerei, die nichts anderes will, als eine unerreichbare nostalgische (und verklärende) Vergangenheitssicht zu transportieren und zu propagieren, durchaus Unehrlichkeit vorwerfen.

    Anscheinend zählst Du zu den Anti- Materialisten.

    Wie auch immer, wenn es denn die Musik oder Malerei an sich nicht geben sollte, dann kann ich ihr doch auch keine Unehrlichkeit vorwerfen. ;-)

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    #9441217  | PERMALINK

    Anonym
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    Registriert seit: 01.01.1970

    Beiträge: 0

    Er hat ja nun insofern recht, als eine Bewertung ohne Kontext sinnlos ist – aber die bloße Existenz ohne Anschauung in Frage zu stellen, ist, nun ja, spannend. Bitter Sweet Symphony existiert, ist nicht ehrlich oder unehrlich, sondern je nach gusto hübsch oder nicht. Ashcroft hingegen durfte sich mit Recht an die Nase fassen.

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    #9441219  | PERMALINK

    ferry

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    Beiträge: 2,379

    linnEr hat ja nun insofern recht, als eine Bewertung ohne Kontext sinnlos ist – aber die bloße Existenz ohne Anschauung in Frage zu stellen, ist, nun ja, spannend. Bitter Sweet Symphony existiert, ist nicht ehrlich oder unehrlich, sondern je nach gusto hübsch oder nicht. Ashcroft hingegen durfte sich mit Recht an die Nase fassen.

    Es gibt aber Philosophen, die die Existenz tatsächlich in Frage stellen. Ein ewiger Kampf der philosophischen Systeme.

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    life is a dream[/SIZE]
    #9441221  | PERMALINK

    Anonym
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    Registriert seit: 01.01.1970

    Beiträge: 0

    Klar gibt es die und die Idee des Solipsismus ist z.B. durchaus faszinierend. Für ein Forum wie dieses wären die Implikationen aber nun mal wirklich unterhaltsam.

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    #9441223  | PERMALINK

    ferry

    Registriert seit: 31.10.2010

    Beiträge: 2,379

    Das würde hier aber viel zu weit führen.
    Zumindest einen gewissen Bezug zum Threadthema hat die These, dass die Beurteilung der Ehrlichkeit vom Hörer über die Musik direkt zum Künstler führt. Der Hörer kommuniziert also über die Musik mit dem Künstler.

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    #9441225  | PERMALINK

    gypsy-tail-wind
    Moderator
    Biomasse

    Registriert seit: 25.01.2010

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    ferryEs gibt aber Philosophen, die die Existenz tatsächlich in Frage stellen. Ein ewiger Kampf der philosophischen Systeme.

    Klar, aber spielt es letztlich eine Rolle, ob wir uns über „die Existenz“ oder irgendeine Vorstellung einer kollektiven Illusion unterhalten? Wir können dann gerne auch mal wieder eine Debatte über Objektivität führen, gleiche Baustelle ;-)

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    #9441227  | PERMALINK

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    Registriert seit: 01.01.1970

    Beiträge: 0

    Da Dengel a priori keine Projektion meiner selbst kann, existiert er . Q E D.

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