Der letzte Film, den ich gesehen habe (Vol. II)

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  • #10260399  | PERMALINK

    melodynelson
    L'Homme à tête de chou

    Registriert seit: 01.03.2004

    Beiträge: 6,004

    irrlichtHinreißend, oder?

    Ich fand ihn ebenfalls großartig! „City Of Stars“ bekam ich nach dem Kinobesuch tagelang nicht aus dem Kopf.

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    #10260427  | PERMALINK

    irrlicht
    Nihil

    Registriert seit: 08.07.2007

    Beiträge: 31,229

    melodynelson „City Of Stars“ bekam ich nach dem Kinobesuch tagelang nicht aus dem Kopf.

    Oh ja!

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    Hold on Magnolia to that great highway moon
    #10260483  | PERMALINK

    jan-lustiger

    Registriert seit: 24.08.2008

    Beiträge: 10,974

    irrlichtIch habe generell so das Gefühl, dass „La La Land“ kein Film ist, dem man sich unbedingt mit Intellekt nähern sollte.

    Jein! Wenn jemand im Jahr 2016 ein Musical macht, also zu einem großen Genre aus Hollywoods Golden Era zurückkehrt, und dieses dann in Los Angeles spielt und mithilfe von Film- und Musikreferenzen (die Rolle, die Jazz einnimmt, das Ingrid Bergman-Poster in Mias Zimmer, das nicht einmal das einzige Antlitz einer Hollywood-Legende in diesem Film darstellt, Rebel Without a Cause) eine Geschichte über Träume erzählt, die Jahrzehnte lang das wichtigste Futter Hollywoods waren (von einer Traumfabrik sprach man m.W. schon damals), dann ist das natürlich ein Kommentar, den man intellektuell erfassen kann. Ich sehe tatsächlich die Liebesgeschichte gar nicht mal so sehr im Vordergrund, obwohl es eigentlich keine Szene gibt, in der nicht mindestens ein Mitglied des Protagonisten-Pärchens im Vordergrund steht. [ab hier folgen Spoiler]

    La La Land ist ein Film über Träume im Land der Träume, der nicht zur Retro-Retourkutsche verkommt, weil er sein Thema in die Jetztzeit trägt, wo so eine Geschichte nicht mit „happy ever after“ enden muss. Wie das zitierte Rebel Without a Cause endet der Film tragisch, aber auf ganz andere Weise: Das Traumpaar findet nicht zusammen. Trotzdem hat er ein Happy End, denn da es kein Film über Liebe ist sondern einer über Träume, kriegen beide Protagonisten am Ende, was sie wollen. Wenn sich Mias und Sebastians Blicke in der letzten Szene treffen, kommunizieren sie ja auch genau diese Zufriedenheit. Das passiert gemeinerweise genau nachdem uns Zuschauern das Liebes-Happy-End vor die Augen geführt wird, das uns verweigert wurde, das klassische Hollywood-Happy-End, das der Film gehabt hätte, wäre er wirklich in den 1950ern gedreht worden. So bleibt La La Land im Hollywood-Rahmen, den es gleichzeitig bricht. Für die einen mag es ein Happy End im Unhappy End sein, für die anderen ist es umgekehrt, aber von dieser Dynamik lebt die ganze Geschichte (ob man sich ihr nun intellektuell nähert oder nicht).

    Hast du Whiplash gesehen, den Vorgängerfilm? Auch das ist ein Film über Musik, persönliche Träume und zwischenmenschliche Beziehung. Und auch dort geht es um Selbstaufopferung: Ein junger Jazz-Drummer stellt sich einem sadistischen, aber genialen Lehrer, um das Beste aus sich herauszuholen und treibt sich damit an den Rand seiner Möglichkeiten und darüber hinaus. Whiplash ist Jazz im Charlie Parker-Sinne: körperlich, aus dem Moment heraus. La La Land hingegen erbringt sein Selbstopfer im Hollywood-Kontext über eine tragische Liebesgeschichte und ist Jazz im Showtunes-Sinne: mit großen Augen überidealisiert, emotional, mit Klischees spielend. Whiplash stellt das Verständnis vom Happy End übrigens auch auf die Probe, aber ich will nicht zu viel verraten, falls du den Film noch vor dir hast. (So oder so könnte ich mir gut vorstellen, dass er was für dich wäre.)

    irrlicht Ich glaube, man muss auch einen großen Faible für Ästhetik und die Schönheit von Bildern als solches haben – ich finde die Schnitte toll und gerade die Ausleuchtung und das Spiel mit Farbtönen umwerfend.

    Absolut! Die ganze Ästhetik, die Farbenkomposition, die Kameraarbeit, fand ich von Anfang an absolut begeisternd. Der ganze Film ist fucking gorgeous (was mit der Hollywood-Thematik auch gut zusammenpasst, denn eine geschönte, durchästhetisierte Wirklichkeit zu zeigen, war ja ein Grundanliegen der „Traumfabrik“).

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    #10260599  | PERMALINK

    irrlicht
    Nihil

    Registriert seit: 08.07.2007

    Beiträge: 31,229

    Danke für den schönen Kommentar, Jan, ich sehe das alles genauso. Mir ging es übrigens gar nicht primär darum, dass man nicht viele Details und Verweise darin finden kann, der zitierte Satz war eigentlich mehr eine (von mir nicht näher geschilderte( Reaktion auf den Kommentar meiner Begleiter, dass es eben ein doch sehr klischeeträchtiger Streifen sei und die Geschichte recht banal ist. Das ist natürlich einerseits richtig, andererseits aber m.E. eben ein sehr vom Intellekt getriebene Einordnung. Ich finde es manchmal gut, einfach in einem Film zu versenken – Inhalt ist eben nur ein Element.

    „Whiplash“ kenne ich noch nicht.

    --

    Hold on Magnolia to that great highway moon
    #10260665  | PERMALINK

    jan-lustiger

    Registriert seit: 24.08.2008

    Beiträge: 10,974

    irrlicht„Whiplash“ kenne ich noch nicht.

    You’re gonna love it.

    --

    #10260669  | PERMALINK

    irrlicht
    Nihil

    Registriert seit: 08.07.2007

    Beiträge: 31,229

    B-)

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    Hold on Magnolia to that great highway moon
    #10260907  | PERMALINK

    Anonym
    Inaktiv

    Registriert seit: 01.01.1970

    Beiträge: 0

    Die Weibchen
    (Regie: Zbyněk Brynych – Deutschland/Frankreich/Italien, 1970)

    Nach einem Nervenzusammenbruch wird die etwas naive Eve (Uschi Glas) von ihrer Ärztin zur Behandlung in den renommierten Kurort Bad Marein geschickt. Dort soll sie unter Aufsicht der für ihre progressiven Methoden berühmten Ärztin Dr. Barbara (Gisela Fischer) wieder zu Kräften kommen. Recht schnell bemerkt Eve etwas Eigenartiges: In der ganzen Stadt ist weit und breit kein einziger Mann zu sehen und die übrigen Patienten in Dr. Barbaras Klinik schüchtern sie mit ihrem exaltierten, neurotischen Verhalten ein. Als zu einer nächtlichen Party drei auf der Durchreise hängengebliebene Schwerenöter in die Klinik kommen und Eve einen von ihnen mit Messer im Rücken in einem Schrank versteckt findet, kommt ihr ein unheimlicher Verdacht…

    Der „Kannibalenfilm mit Uschi Glas“ (wie das Cover marktschreit) floppte zum Zeitpunkt seines Erscheinens so grandios, dass die Branchenzeitschriften keine ungefähren Zuschauerzahlen vorlegen konnten, weil die meisten Kinobetreiber „Die Weibchen“ nicht mal vom Titel her kannten. Die Filmkritik schätzte Regisseur Zbyněk Brynych größtenteils für seine in den 50er und 60er Jahren in der Tschechoslowakei gedrehten Werke, die formal wenig mit den drei Filmen („Oh Happy Day“ und „Engel, die ihre Flügel verbrennen“ lauten die Titel der zwei anderen), welche in kürzester Zeit im Jahre 1970 in die Kinos kamen, gemeinsam hatten. Ein voller Reinfall bei Publikum und Kritik, gut 45 Jahre später überrascht dies.
    Die zeitgeistige Verquickung von Themen der Frauenbefreiung mit Elementen des Horror- und Exploitationfilms in bunter und schmissiger Soundkulisse, hätte aus heutiger Sicht einen Nerv treffen können, vielleicht sogar müssen, dies hieße aber, den banalen Geschmack des BRD-Kinopublikums zu unterschätzen.
    Über weite Strecken bestimmt die experimentelle Kameraarbeit Charly Steinbergers („Deep End“) die deutsch-französisch-italienische Ko-Produktion. Ausgang vieler Fahrten und Einstellungen ist die Unendlichkeit des Kreises: Zu Beginn in den Fischaugenkrümmungen, die man zuletzt, so häufig und auffällig in Szene gesetzt, vielleicht in Hype Williams Musikvideoclips gesehen hat, über die Laufzeit verteilt in vielen Sequenzen, welche die Kamera kreisend, kreisender und kreiselndst auflöst. Ständig in Bewegung, zoomt Steinberger, lässt das Bild kippen, verzerrt die Sets zu einem Pseudo-3D-Effekt, der sich auf die Zeit auswirkt: Ein Handschlag scheint eine Ewigkeit zu dauern. Kino im besten psychedelischen Sinne also, tatkräftig unterstützt durch die sorgfältige Farbgebung, die sowohl den Stil akzentuiert, als auch ganz klassisch Gefühle transportiert.
    Die Handlung beruft sich auf Valerie Solanas „SCUM Manifesto“, etwas plump (aber wirksam) in den Aufnahmen einer Gottesanbeterin zusammengefasst, die ihr Männchen noch während der Begattung auffrisst. Die Szene will sich nicht nahtlos einfügen, widerspricht der Naturalismus der tödlichen Insektenbalz doch dem Delirium, das Steinberger sonst festhält, bringt die Gewalt aber graphischer auf den Punkt, als dies vorhergehende Szenen können oder wollen. Erst im Finale spritzt das Blut und die Kreissäge trennt den nutzlosen Körper des Beaus Johnny im Schritt auf.
    Männerfiguren sind selten, Männerfiguren sterben, es sei denn, sie haben sich impotent gesoffen wie der ermittelungsmüde Kommissar oder existieren als nützliches Haustier. Der Gärtner hilft nicht nur beim Verbuddeln der Leichen, er trägt auch die optischen Male eines Maulwurfs: Dunkle Sonnenbrille, Schaufelklauen. Der Rest besteht aus durchreisenden Männerkarikaturen, die den Pantoffelhelden neben den goldkettchentragenden Macho stellen. Schaut man sich um, scheint das Selbstverständnis vieler Herren der Schöpfung recht gut getroffen.
    Für die Musik zeichnet Peter Thomas, Komponist des „Raumpatrouille Orion“-Themas, verantwortlich und sorgt mit seinem loungigen und mild psychedelischem Trompetenfun(k) für ein weiteres Highlight zu Charly Steinbergers Bildern. Weil der Verleih ein Desaster an den Kinokassen fürchtete, schnitt man „Die Weibchen“ um und kürzte den Film um etwa 15 Minuten – verdoppelte aber den Einsatz der Filmmusik. Dies kommt Brynychs Film sehr zugute und gipfelt im „Lied von der Säge“, einem Beat-Schlager der sehr makaberen Sorte und dem Humorhöhepunkt dieser ungewöhnlichen Produktion. (Wenn man den verhaltenen und sehr beigen Film aus Deutschland gewohnt ist, eine hüftsteife Kopfgeburt des Grauens, erstaunt einen die wilde und bunte Leichtigkeit von „Die Weibchen“.)
    Der „Kannibalenfilm mit Uschi Glas“ wäre ein besserer Kannibalenfilm ohne Uschi Glas, denn ihrer Schauspielerei sind enge Grenzen gesetzt, die vor allem neben Kolleginnen wie Judy Winter oder Irina Demick deutlich werden. Sie muss sich auf ihre jugendliche Frische und die puppengesichtige Schönheit ihres Antlitzes und ihrer großen, staunenden Augen verlassen. Uschi Glas würde niemals ein Messer zwischen die Rippen ihres Mannes stechen. Sie bringt die Kinder zu, das Frühstück ans und bedient im Bett. Der vollkommen unterdrückte Typus Frau, den Valerie Solanas backpfeifenverteilend eigentlich aufrütteln wollte.
    So ist Zbyněk Brynychs „Die Weibchen“ kein Agit-Prop, kein Krimi, kein Horrorfilm und erst recht keine Erotikkomödie, sondern ein Schaulaufen von Steinbergers berauschenden Bildern und Thomas schmetternder Musik in den Grenzen von 1970. Den internationalen, versteht sich.

    Trailer

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    #10263599  | PERMALINK

    cycleandale
    ALEoholic

    Registriert seit: 05.08.2010

    Beiträge: 10,342

    Magical  Mystery

    Kurzweilig, und die Musik, und ich staune selbst, ich wirklich nicht schlecht.

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    l'enfer c'est les autres...
    #10266087  | PERMALINK

    penguincafeorchestra

    Registriert seit: 21.04.2003

    Beiträge: 2,435

    Barry Seal ***1/2

    Beruhend auf einer wahren Begebenheit, mutet dieser Film wie ein Scorsese-Film an. Nur geht es hier nicht um Mafiosis wie Good Fellas oder Börsenhaie wie in The Wolf Of Wallstreet, sondern um einen schmierigen Piloten, der sich plötzlich im Drogengeschäft und Waffenhandel wiederfindet, für die CIA und das weiße Haus arbeitet und irgendwie alle gleichzeitig bedienen muss. Schön grotesk.

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    I used to be darker, then I got lighter, then I got dark again
    #10266763  | PERMALINK

    Anonym
    Inaktiv

    Registriert seit: 01.01.1970

    Beiträge: 0

    Ich Seh Ich Seh
    (Regie: Veronika Franz/Severin Fiala – Österreich, 2014)

    Für die Zwillingsbrüder Lukas und Elias (Lukas und Elias Schwarz) ist es eine tolle Ferienzeit: Sie spielen in Feldern Fangen, erkunden die Umgebung des Hauses, welches außerhalb eines Dörfchens liegt, entdecken einen Friedhof, entspannen auf der Luftmatratze auf dem See – was Jungs eben so machen.
    Dann jedoch kommt die Mutter (Susanne Wuest) nach Hause. Ihr Gesicht ist unter einem Verband kaum zu erkennen, die Schmerzen in Folge der Operation machen ihr zu schaffen, weswegen sie neue Regeln im Haus einführt. Dabei ist sie gar nicht mehr so liebevoll zu ihren beiden Kindern, sondern wird ausfallend und verhält sich teils aufbrausend. Für Lukas und Elias ist schnell klar: Das ist nicht ihre Mutter! Die beiden Brüder suchen Mittel und Wege, um aus der Frau herauszubekommen, wo ihre echte Mama ist…

    Der familiäre Bezugsrahmen von „Ich Seh Ich Seh“ bleibt auch außerhalb der verstörenden Geschichte gewahrt, produziert Ulrich Seidl hier doch das Spielfilmdebüt seiner Ehefrau Veronika Franz, die Regie und Drehbuch zusammen mit dem ehemaligen Babysitter des Paares Severin Fiala erarbeitete.
    Wie viele andere Größen des Regiefachs (etwa Michelangelo Antonioni oder Dario Argento) schrieb Franz zuerst Filmkritiken, bevor sie Seidl kennenlernte und seit Mitte der 90er Jahre an den Drehbüchern seiner Produktionen mitwirkte. In einem kleinen Land wie Österreich kann es schon mal vorkommen, dass man im Zuge der Finanzierung seiner Filmidee auf Menschen trifft, deren Werke man weniger günstig rezensierte. In den Gremien scheint es jedoch „zivilisierter“ als in den Filmen Seidls zuzugehen, man legte Franz keine Steine in den Weg und unterstützte das gemeinsame Vorhaben mit Fiala.
    Im Verlauf des Drehbuchschreibens zeichnete sich ab, dass die Hauptrolle wie für Susanne Wuest erdacht schien und auch im Zwillingscasting fand man in Lukas und Elias Schwarz schnell passende Darsteller. Sie erhielten die Rollen unter anderem deshalb, weil sie weniger Hemmungen zeigten, die Mutterfigur physisch zu traktieren. Wo andere Kinder ihre Grenze in wütendem Schreien fanden, versuchten sie, die „Wahrheit“ mit dem Pieksen eines Bleistifts herauszukitzeln. (Eigentlich ein typischer Moment im Kino Ulrich Seidls, der eine diebische Freude an den Tag legen kann, wenn es um sadistische Konstellationen geht, noch dazu, wenn sie in der spielerischen Pseudorealität eines Castings auftreten.)
    Auch auf der gestalterischen Ebene kann man Einflüsse des filmischen Stils von Seidl finden: Franz und Fiala arbeiten mit kalten, distanzierten Einstellungen und harten Schnitten, die geometrisch genau austariert sind, allerdings auch durch kräftige Farben akzentuiert und vitalisiert werden. Die Lebensräume der Familie sind sehr aufgeräumt und durchgestaltet, die hohe Künstlichkeit kollidiert im Laufe des Geschehens mit den aufwühlenden Gefühlsausbrüchen und schafft so einen der Reize von „Ich Seh Ich Seh“.
    Die Körperlichkeiten des Genrekinos führt man in einem Versuchsaufbau mit der strengen Optik und dem beunruhigenden Gedankenspiel der Rebellion der Kinder zusammen. Kein Wunder, dass Franz, nach Vorbildern befragt, sowohl Stanley Kubrick („2001“, „A Clockwork Orange“) und Nicolas Roeg („Performance“ „Don’t Look Now“) als auch Brian Yuzna („Society“, „Re-Animator“) und Dario Argento („The Bird with the Crystal Plumage“, „Tenebre“) nennt. Formale Schärfe und visuelle Disziplin (manchmal bis zur Symmetrie) treffen in Kameramann Martin Gschlachts Feinjustierungen auf Blut, Chaos und Tod. Die Leinwand fällt ins Bodenlose, färbt sich pechschwarz, wenn Gefühle artikuliert werden.
    Die letztendliche Erklärung für das Verhalten der Kinder ist irrelevant, versucht aber einen rationalen Schluss zu etablieren, der auf einem Trauma fußt, das im Thriller schon ausgereizt wurde. Manche Zuschauer wollen sogar eine Verbindung zum Capgras-Syndrom (Erkrankte glauben, ihnen nahestehende Personen wurden durch einen Doppelgänger ersetzt) ausgemacht haben. Zugegeben: Die Anzeichen sind vorhanden, ich lasse mich aber lieber von den Bildern des Maisfelds und den heidnisch wirkenden Masken der Zwillinge betören, die unterbewußt Stephen Kings „Children of the Corn“ evozieren. Er, der hinter den Reihen geht, statt der klinischen Lösung. Dies ist vielleicht sogar im Sinne von Fiala und Franz, die nicht nur eine Vorliebe für das Horrorgenre bestätigen, sondern auch einer Stephen-King-Verfilmung wie „Pet Sematary“ ob ihres emotionalen Gehaltes positive Seiten abgewinnen können, ungeachtet der sonstigen filmischen und künstlerischen Qualität.
    „Ich Seh Ich Seh“ stellt Abhängigkeits- und Machtverhältnisse auf den Kopf, zeigt im Grunde also eine Revolution, die ihren Schrecken durch Methoden der Gewaltanwendung gewinnt, die als völlig legitime Mittel im Zusammenleben erschienen, bis sie von den Schwächeren gegen die Stärkeren angewandt werden. Bezeichnenderweise versuchen die Zwillinge das Geständnis der Mutter mit den Mitteln zu erzwingen, die bisher zur ihrer Erziehung bzw. Disziplinierung genutzt wurden.
    Alle Figuren sind ambivalent und handeln ihrem Antrieb entsprechend rücksichtslos, die Umkehrung des Eltern-Kind-Verhältnisses entpuppt sich aber als stärkstes Motiv des Films, wenn auch die Hilflosigkeit der Eltern gegenüber ihren Kindern im makaberen Ende der Haustiere einen flammenden Ausdruck findet. (Ein weiteres, recht simples Bild der Beziehung zwischen Mutter und Kind entsteht durch die Küchenschaben, welche unter den freundlichen Oberflächen des blitzsauberen Häuschens im Grünen hervorkriechen. Sie weisen schon früh auf das Finale hin, auf das die verfahrene Situation konstituierende Trauma.)
    Mit „Ich Seh Ich Seh“ erschüttern Veronika Franz und Severin Fiala das Ur-Vertrauen zwischen Mutter und Kind; ihr heißkaltes Horrordrama fixiert den tiefen Graben zwischen dem Kosmos der Kinder und dem Universum der Erwachsenen. Es gibt keine verbindenden Brücken, nur Schluchten und Finsternis. Das Wiegenlied aus der heilen Welt von vorgestern, durch endlose Wiederholung als Lippenbekenntnis erkannt und exorziert, spendet keinen Trost mehr: „Morgen früh, wenn Gott will, wirst du wieder geweckt.“ Und wenn er nicht will, Mama?

    Trailer

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    #10268561  | PERMALINK

    Anonym
    Inaktiv

    Registriert seit: 01.01.1970

    Beiträge: 0

    Death Race 2000“ mit David Carradine und Sylvester Stallone. Absoluter Knüller. :-D

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    #10268949  | PERMALINK

    ap

    Registriert seit: 01.02.2016

    Beiträge: 31

    „Burnt“ von John Wells

    Küchen-Kammerspiel, Appetitanreger und Liebesfilm zugleich. Mal fein, mal grob gewürzt,
    mit Bradley Cooper als grandiosem Küchenberserker. Appetitlicher Streifen!

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    #10269927  | PERMALINK

    Anonym
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    Registriert seit: 01.01.1970

    Beiträge: 0

    harry-rag
    Ich Seh Ich Seh (Regie: Veronika Franz/Severin Fiala – Österreich, 2014)

    Schöne Besprechung, Harry. Kennst du zufällig „The Other“ (1972) von Robert Mulligan?

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    #10270013  | PERMALINK

    Anonym
    Inaktiv

    Registriert seit: 01.01.1970

    Beiträge: 0

    Danke. :-) Und nein, aber er klingt auf den ersten Blick interessant. Kannst du das in ein paar Sätzen ausführen?

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    #10270105  | PERMALINK

    Anonym
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    Registriert seit: 01.01.1970

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    „The Other“ habe ich im Prinzip als 70er-Pendant zu „Ich seh Ich seh“ im Kopf. Meiner Erinnerung nach etwas weniger verstörend, dafür mit dem charakteristischen Mulligan-Nostalgiefaktor im Gepäck. Habe die beiden Werke relativ zeitnah gesehen, in dem Fall hat – auch wegen der mäßigen Qualität, in der ich „The Other“ erwischt habe – ausnahmsweise der über vierzig Jahre jüngere und sauberere Franz-Film das Näschen vorn.

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