Der letzte Film, den ich gesehen habe (Vol. II)

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  • #4526093  | PERMALINK

    Anonym
    Inaktiv

    Registriert seit: 01.01.1970

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    Berberian Sound Studio
    (Regie: Peter Strickland – Großbritannien, 2012)

    70er Jahre – Gilderoy (Toby Jones), der bisher ausschließlich in England als Sound-Ingenieur arbeitete und noch bei seiner Mutter lebt, nimmt das Angebot eines italienischen Filmteams an, um den Sound ihres neuen Films abzumischen. Er erhofft sich davon ein neues Betätigungsfeld, glaubt aber, der Film behandelt ein familientaugliches Thema.
    In dem Studio in Italien angekommen, wird er mit für ihn gewöhnungsbedürftigen Voraussetzungen konfrontiert. Die italienischen Kollegen sind laut, einnehmend und haben auf jeden Einwand seinerseits ein besseres Argument. Zudem gibt es ständig Auseinandersetzungen zwischen dem Produktionsleiter Francesco (Cosimo Fusco) und den weiblichen Darstellerinnen, die in den Kabinen Schreckensschreie abgeben müssen zu Szenen, die mit familientauglicher Unterhaltung nicht zu tun haben, wie Gilderoy zu seinem Schrecken feststellen muss…

    In kaum einem anderen Genre ist die Tonspur von so großer Bedeutung wie im Horrorfilm. Es verwundert nicht, dass viele ikonische Soundtracks aus diesem Bereich stammen, sei es nun John Carpenters auf Bongos komponiertes Titelthema zu „Halloween“, Bernard Herrmanns kreischende Geigen in „Psycho“ oder die eingängigen Melodien von „Der Exorzist“ oder „Das Böse“.
    Dabei fällt oft die restliche Arbeit am Ton des Films unter den Tisch. Angefangen bei der Nachsynchronisation von schlecht aufgenommenen Filmszenen, über Sound- und Spezialeffekte, bis hin zur Lokalisation für einen internationalen Markt.
    Peter Stricklands Zweitling „Berberian Sound Studio“ zeigt uns diese Arbeit.
    Er verbindet eine Hommage an den zweiten Frühling des italienischen Kinos (das sich nach den Meisterwerken der Nachkriegszeit (Rosselini, Fellini, Pasolini) in den 70ern und frühen 80ern dem Genrefilm zuwandte und die Vorbilder aus den USA auf den Kopf stellte, mit Leben füllte – und einfach besser machte, wie es zuvor schon der Italowestern getan hatte) mit einem Film über das Filmemachen.
    Schon der Vorspann zum fiktiven Werk „The Equestrian Vortex“ des fiktiven Regisseurs Santini bietet eine in Stil und Umsetzung maßstabsgetreue Wiedergabe des Flairs der damaligen Produktionen. Strickland setzt ein gewisses Hintergrundwissen voraus; wer in den Videotheken nie die Filme von Bava, Fulci, Argento oder Martino ausgeliehen hat, wird zu „Berberian Sound Studio“ keinen Zugang finden.
    Es ist unerlässlich die Motive des Giallo und vor allem des italienischen Horrorfilms zu kennen, wird uns Strickland doch kein einziges Bild präsentieren, sondern unser Erinnerungsvermögen nutzen, um durch Sounds und Musik eine ganze Epoche in unseren Köpfen zu reanimieren.
    Damit ist auch klar, dass sich „Berberian Sound Studio“ ständig auf einer oder mehreren Meta-Ebenen bewegt. Es geht nicht um die simple Geschichte oder den Geistes- und Seelenzustand der Hauptperson, es geht vor allem um Assoziation und Reflexion.
    Die zunehmende Verwirrung des Toningenieurs Gilderoy (stellenweise vermutet man einen ähnlichen Abstieg in den Irrsinn wie in der trashigen Zensurfarce „Evil Ed“) gibt Strickland die Möglichkeit den Zuschauer mit einer Verknüpfung von diegetischen und extra-diegetischen Musikstücken und Soundeffekten zu verwirren, so dass sich Gilderoys Zustand von der Leinwand bald überträgt.
    Ohne einen Tropfen Blut (oder überhaupt eine Szene) zu zeigen, entwickelt sich „The Equestrian Vortex“ von ganz alleine im Kopf des Zuschauers. Die ersten Dialogarbeiten im Studio beschwören mit der Nennung der Akadamie und der Hexen, die in ihr hausen, sofort Dario Argentos „Suspiria“. Dieser Eindruck verflüchtigt sich später, wenn man sich eher in einem der in den frühen 70ern angesagten Hexenfolterfilme wiederfindet.
    Stricklands konsequente Verweigerung gegenüber einer visuellen Umsetzung des Film-im-Films kompensiert er mit bildgestalterischen Techniken, die er größtenteils dem Giallo entnimmt. Von der Farbpalette bis zur Großaufnahme von Tieren setzt er markante Punkte, die gleich einem Echorausch unsere Erinnerungen freilegen und uns diese erneut durchleben lassen.
    Für den technisch interessierten Filmliebhaber sind die analogen Geräte des Tonstudios eine Augenweide, für den unbedarfteren Filmfan kann es amüsant sein, dass größtenteils Obst und Gemüse zur Vertonung von Mord und Totschlag zum Einsatz kommen. Man zerschmettert Kürbisse, erdolcht Melonen und lässt die fiesen Geräusche des Eisbergsalats ertönen, die von lederiger Haut und brechenden Knochen künden.
    „Berberian Sound Studio“ ist auch ein Blick von der Leinwand in die Arbeitsabläufe des Films, inklusive der menschlichen Beziehungen, die diese zu einer Tortur machen können.
    Zum Ende hin vermischen sich nicht nur Film und „echtes“ Leben, Strickland vermengt auch Originalton mit Synchronisation, besetzt Rollen um und holt das vorherige Dasein und Werk Gilderoys in die Gegenwart und ebenfalls aus England nach Italien; bis sich zum Schluss alles im gleißenden und blendenden Zwielicht der Halbwelt des Filmemachens auflöst. Gibt es ein schöneres italienisches Wort als „paura“?

    Trailer: http://www.youtube.com/watch?v=r6VARiOMyio

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    Highlights von Rolling-Stone.de
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    #4526095  | PERMALINK

    motoerwolf

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    Harry RagBerberian Sound Studio
    (Regie: Peter Strickland – Großbritannien, 2012)

    Den habe ich gestern aufzunehmen verpasst. Eigentlich ein Eintrag für den wmä-Thread.

    --

    And all the pigeons adore me and peck at my feet Oh the fame, the fame, the fame
    #4526097  | PERMALINK

    Anonym
    Inaktiv

    Registriert seit: 01.01.1970

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    Die DVD erscheint Anfang April. ;-)

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    #4526099  | PERMALINK

    nick-longhetti

    Registriert seit: 08.07.2011

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    Rosso sangue (Joe D’Amato, 1981)

    Bieder und rein funktional hangelt sich der Film von einer derben Splatterszene zur nächsten; das Finale mit dem unfreiwillig erblindeten George Eastman ist allerdings ganz nett. Nach den wesentlich eigenwilligeren „Buio Omega“ und „Antropophagus“ leider eine herbe Enttäuschung.

    --

    We are all failures, at least the best of us are.
    #4526101  | PERMALINK

    napoleon-dynamite
    Moderator

    Registriert seit: 09.11.2002

    Beiträge: 21,857

    Jill Soloway, Teil 2:

    [IMG]http://s7.directupload.net/images/140322/n7xkgue7.jpg
    Afternoon Delight von Jill Soloway

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    I'm making jokes for single digits now.
    #4526103  | PERMALINK

    herbert-h-heebert

    Registriert seit: 27.07.2011

    Beiträge: 225

    Kathryn Hahn :liebe:

    Am schönsten natürlich immer noch hier: Stay golden, Poneyboy!

    Selbst:
    „Men of War“ (Perry Lang, 1994)
    Homoerotik, Birdshit und transzendente Wirklichkeit… oder so. Ne, cooler Film – muss mehr Action-Filme sehen an denen John Sayles rumgedoktort hat.

    --

    Old people can go fuck themselves. I'm going to live forever!
    #4526105  | PERMALINK

    tina-toledo
    Moderator

    Registriert seit: 15.06.2005

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    Grand Budapest Hotel (Wes Anderson, 2014) * * * 1/2

    --

    Sir, I'm going to have to ask you to exit the donut!
    #4526107  | PERMALINK

    Anonym
    Inaktiv

    Registriert seit: 01.01.1970

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    Herbert H. Heebert
    (…)muss mehr Action-Filme sehen an denen John Sayles rumgedoktort hat.

    Da gibt es leider nicht allzu viele.

    --

    #4526109  | PERMALINK

    herbert-h-heebert

    Registriert seit: 27.07.2011

    Beiträge: 225

    pinchDa gibt es leider nicht allzu viele.

    Schade. „The Challenge“ hat aber schonmal einen grandiosen deutschen Titel:

    Außerdem von John Frankenheimer und mit Toshiro Mifune!

    --

    Old people can go fuck themselves. I'm going to live forever!
    #4526111  | PERMALINK

    napoleon-dynamite
    Moderator

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    [IMG]http://s14.directupload.net/images/140324/8ka23osa.jpg
    Nymphomaniac: Volume II von Lars von Trier

    Vielleicht ja der Film, bei dem es offensichtlich wird, dass Trier von Film zu Film immer wieder die gleichen Schauspieler besetzt, damit ihre vorhergehenden Rollen noch weiter resonieren können, als Saiten, die über einzelne Werke hinaus weiter angeschlagen werden. Vol. 2 ist anders als der erste Teil, aber eben auch anders, als ich ihn mir im Vorfeld vorgestellt habe. Oder gelesen: Chief Brody betitelt seinen Artikel mit „Lars von Trier’s joyless sexual tantrum“, aber das ist „Nymphomaniac“ weder in seinen einzelnen Teilen, noch als ganzes.

    PS: Udo Kiers Auftritt ist so kurz wie ein Wimpernaufschlag, aber spot on!

    --

    I'm making jokes for single digits now.
    #4526113  | PERMALINK

    tina-toledo
    Moderator

    Registriert seit: 15.06.2005

    Beiträge: 13,392

    @Napo: Was heißt das für das Gesamtwerk „Nymphomaniac“? Oder bewertest Du die beiden Teile separat?

    Selbst:

    The Devil Is A Woman (Josef von Sternberg, 1935) * * * *

    --

    Sir, I'm going to have to ask you to exit the donut!
    #4526115  | PERMALINK

    fifteenjugglers
    war mit Benno Fürmann in Afghanistan

    Registriert seit: 08.07.2002

    Beiträge: 11,447

    20.03.14

    *„Gregory’s Girl“ von Bill Forsyth (Großbritannien 1981). Charmante Coming Of Age-Story vom „Local Hero“-Regisseur, die mehr die Comedy-Karte spielt, aber dennoch in der Figurenzeichnung überzeugt. Gregory, ein schlaksiger, etwas unbeholfener schottischer Teenager verliebt sich in den weiblichen Star seiner Fussballmannschaft. Das Mädchen ist eine Klasse zu hoch für ihn, trotzdem scheinen sich die Dinge in seinem Sinne zu entwickeln. Die Dialoge sind extraknackig, und drumherum gibt es eine Menge toller Figuren, wie den unbedarften Trainer, Gregorys altkluge kleine Schwester, die ihm Tipps zum ersten Date gibt oder die beiden liebenswerten Deppen, die beschließen, nach Caracas zu trampen, weil dort angeblich das Verhältnis Frauen:Männer 10:1 beträgt. Großartiger Film.

    21.03.14

    „Drinking Buddies“ von Joe Swanberg (USA 2013). Mein erster Swanberg. Olivia Wilde und Jack Johnson als Brauerei-Kollegen, die, obwohl beide in festen Händen, einander zugeneigt sind. Ich mochte die Figurenzeichnung, die ökonomische Erzählweise und das Unaufgesetzte. Warum ich mehr Interesse an Working Class Twentysomethings haben sollte als an Wohnungssuche in Brooklyn, weiß ich allerdings nicht.;-) Ich will trotzdem auf jeden Fall mehr Swanberg!
    P.S.: Die Schlussszene ist sehr toll.

    22.03.14

    „Why Worry?“ von Fred C. Newmeyer und Sam Taylor (USA 1923). Harold Lloyd als Hypochonder, der zur Erholung in einen südamerikanischen Inselstaat reist. Eine Revolution stört die Rekonvaleszenz, also wird unerwartet tatkräftig zu Gunsten des Guten interveniert. Unterstützt wird Lloyd dabei von einem einheimischen Riesen sowie seiner Krankenschwester, die heimlich in ihn verliebt ist. Eher absurde Story, aber gut umgesetzt und mit sehr tollen Gags versehen.

    23.03.14

    *„Krabat“ von Karel Zeman (Tschechoslowakei 1978). Düstere Zeichentrick-Verfilmung des Kinderbuchs von Otfried Preußler. Der Betteljunge Krabat findet Zuflucht in einer unheimlichen Mühle, in der er nicht nur das Müller-, sondern auch das Zauberhandwerk lernt. Dafür jedoch muss er sich dem Meister mit Leib und Seele verschreiben, was ihn in Bedrängnis bringt, als er sich in das Mädchen Kantorka verliebt. Die Animation ist schlicht, aber dennoch gelungen. Erwähnte ich schon, dass der Film düster ist? Der Hexenmeister ist ein häßlicher, einäugiger Alter, es gibt blutige Kämpfe bis zum Tod, außerdem Särge, Totenschädel und Galgenberge. Aus heutiger Sicht (trotz Harry Potter) kaum zu glauben, was damals Kindern zugemutet wurde. Trotzdem oder deswegen: Sehr toller Film.

    * = im Kino

    --

    "Don't reach out for me," she said "Can't you see I'm drownin' too?"
    #4526117  | PERMALINK

    napoleon-dynamite
    Moderator

    Registriert seit: 09.11.2002

    Beiträge: 21,857

    tina toledo@Napo: Was heißt das für das Gesamtwerk „Nymphomaniac“? Oder bewertest Du die beiden Teile separat?

    Gute Frage. Als Gesamtwerk tendiere ich momentan wohl eher zu * * * * 1/2. Ging es dir eigentlich auch so, dass der zweite Teil keinen wirklichen Anfang zu haben scheint? Genau kann ich den Eindruck noch nicht begründen, aber es liegt womöglich daran, dass die ersten, unmittelbar einsetzenden 15 Minuten eher wie ein Nachtrag zu „Vol. 1“ wirken (Uh!do Kier!), und erst durch den zeitlichen Sprung von Stacy Martin zu Gainsbourg ein anderer Tonfall angeschlagen wird.

    FifteenJugglers
    „Gregory’s Girl“ von Bill Forsyth (Großbritannien 1981)

    Schön! Die Filme von Forsyth mag ich sehr, auch den sicherlich etwas blauäugigen „Local Hero“. „Comfort and Joy“ kennst du schon?

    FifteenJugglersWarum ich mehr Interesse an Working Class Twentysomethings haben sollte als an Wohnungssuche in Brooklyn, weiß ich allerdings nicht.;-)

    In „Drinking Buddies“ geht es um Liebe und Biertrinken, das betrifft uns alle!

    --

    I'm making jokes for single digits now.
    #4526119  | PERMALINK

    fifteenjugglers
    war mit Benno Fürmann in Afghanistan

    Registriert seit: 08.07.2002

    Beiträge: 11,447

    Napoleon DynamiteSchön! Die Filme von Forsyth mag ich sehr, auch den sicherlich etwas blauäugigen „Local Hero“. „Comfort and Joy“ kennst du schon?

    Nein, kenne sonst noch nichts von Forsyth. Bei „Local Hero“ hatte ich immer die Befürchtung, dass der Film etwas arg cheesy sein könnte.

    Napoleon DynamiteIn „Drinking Buddies“ geht es um Liebe und Biertrinken, das betrifft uns alle!

    In „Frances Ha“ geht es darum, seinen Platz im Leben zu finden, das betrifft uns alle!

    --

    "Don't reach out for me," she said "Can't you see I'm drownin' too?"
    #4526121  | PERMALINK

    fifteenjugglers
    war mit Benno Fürmann in Afghanistan

    Registriert seit: 08.07.2002

    Beiträge: 11,447

    Noch zu „Gregory’s Girl“: In der Planstadt Cumbernauld, wo der Film gedreht wurde, wuchs übrigens Travis-Drummer Neil Primrose auf.

    --

    "Don't reach out for me," she said "Can't you see I'm drownin' too?"
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