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AnonymInaktivRegistriert seit: 01.01.1970
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lathoKomisch, sehe ich genau anders. Ich hatte ja befürchtet, dass das so U2-Bilder, werden, grobkörnig, mit gewichtigen Mienen. Aber Corbijn hat sich doch sehr zurückgehalten, ja filmt die Manchester-Wirklichkeit doch manchmal sozusagen kommentarlos ab, ohne über die Bilder Heldenverehrung zu betreiben.
Corbijn baut seine Bilder schon sehr spezifisch, konstruiert die jeweilige Atmosphäre schon reichlich speziell. Dort die Bowie Klangcollage, da ein kleiner Ausschnitt vom Stroszek-Film, „The Idiot“ von Meister Iggy… und all diese eingesetzten Details tragen ihren jeweils eigenen Teil zur Legende bei. Da setzt einer schon voraus, dass man zumindest einigermaßen mit der Vita und dem künstlerischen Schaffen des Ian Curtis (wie auch der Band Joy Division) vertraut ist. Oder vielleicht sogar Deborah Curtis‘ Buch gelesen haben mag, zumindest mit der Truppe aber was anzufangen weiss. Corbijn erzählt weniger universell und dichterisch ausschweifend als bspw. Haynes und legt somit seinen Zuschauerkreis, den er erreichen will, doch einigermaßen deutlich fest, finde ich. Das dramaturgische Element wird dabei aufs Nötigste verkürzt und entschlackt, einzig der Look steht im Vordergrund, was teilweise etwas spröde wirken mag (vermutlich sogar beabsichtigt).
Nicht falsch verstehen: der Film ist durchaus sehr gelungen, eventuell gefällt er ja auch tatsächlich Leuten, die JD eher wenig bis gar nichts abgewinnen können (oder wollen), „Control“ erliegt nur hier und da ein kleines bisschen der Faszination seines Regisseurs für die überdeutliche Visualisierung und perfekte Repro jener ganz bestimmten Epoche, stilecht in schwarz/weiss und so, wie halt eben die Bilder, die Corbijn von der Band damals schoss und die sich hier dann plötzlich bewegen. Solcherart „Zeitreisen“ gehen im Kino (aber nicht nur da) zumeist furchtbar peinlich in die Binsen und es spricht schon für Corbijns Talent, das Ding neben all seiner optischen Akuratesse nicht in den Sand gesetzt zu haben.--
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WerbungOk, verstanden. Auf das Abbilden der „Wirklichkeit“ von 1979 legt Corbijn schon großen Wert und die Ähnlichkeit Rileys mit Curtis ist teilweise schon verblüffend. Aber was Du vielleicht als zu sehr auf bekannte Größen verweisende Visualisierung siehst, sehe ich, der ich die alten Bilder eben nicht kenne (ich habe mich mit JD eher musikalisch beschäftigt), als relativ nüchterne Inszenierung („wirkt realitisch“). Liegt wohl am Gegenstand. Ach ja: Lara hat mich nicht genervt, im Gegenteil.
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If you talk bad about country music, it's like saying bad things about my momma. Them's fightin' words.pinchCorbijn erzählt weniger universell und dichterisch ausschweifend als bspw. Haynes und legt somit seinen Zuschauerkreis, den er erreichen will, doch einigermaßen deutlich fest
Haynes nähert sich seinem Sujet allerdings auf sehr durchintellektualisierte Weise. Habe schon von einigen „Dylanologen“ gesagt bekommen, dass sie mit diesem Gedanken- und Ideen-Wirrwarr so gar nicht viel anfangen konnten.
Corbijns künstlerischer/erzählerischer/ästhetischer Ansatz beschränkt sich da doch eher auf kommerziellere Sehgewohnheiten, poliert viel glatt, inszeniert Sam Riley als Poster-Boy, der Ian Curtis ja eigentlich nie war. Mit der düsteren „Gewöhnlichkeit“, der deprimierenden wie erhebenden Aura und Atmosphäre der Band Joy Division hat dies alles wenig zu tun. Da sagt der Video-Clip zu „Love Will Tear Us Apart“ mehr aus als zwei Stunden Spielfilmmaterial.„Wo sind die dunklen, leeren Straßen vom Manchester der 70er, die man mit der Musik und den Texten von Joy Division assoziiert? Ich hatte keine Geschichtsstunde erwartet, aber dieser Hochglanz ist enttäuschend. Wie soll das Publikum Joy Division verstehen, ohne die Umwelt der Band nachvollziehen zu können?“ (Natalie Curtis)
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"Wenn man richtig liest, löst man einen innerlichen kreativen Prozess aus. Die meisten Leser inszenieren einen Film. Weswegen es überhaupt kein Wunder ist und mediengeschichtlich konsequent, dass der Roman des 18. und 19. Jahrhunderts in die Erzählkino-Kultur des 20. Jahrhunderts übergegangen ist." (Peter Sloterdijk)Wenn man aus Manchester kommt, dann hat man wohl eine andere Definition von „Hochglanz“. Ich fand die Stadt bedrückend und kalt.
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Ohne Musik ist alles Leben ein Irrtum.Ich muss auch sagen, Hochglanz konnte ich da nicht feststellen, auch nicht malerische Verkommenheit.
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If you talk bad about country music, it's like saying bad things about my momma. Them's fightin' words.
AnonymInaktivRegistriert seit: 01.01.1970
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Glatt in Form von präzisem Style halt. Sieht alles superästhetisch aus, sehr geschmackvoll und sehr sorgfältig komponiert (nicht zu verwechseln mit maniriertem Brimborium oder Hochglanz-Kitsch. Das ist Corbijn, nicht Newton!). Als Posterboy habe ich Riley als Curtis zwar nicht wahrgenommen, dafür waren Darstellung wie Inszenierung dann letztlich doch zu dezent und zu unaufdringlich. Ein gewisses Mehr an Tiefe, an charakterlicher Dreidimensionalität, -ambivalenz, hätte ich mir allerdings schon gewünscht. Dies ist dann auch von meiner Seite der einzige (allerdings gewichtige) Kritikpunkt, den ich dem Film ankritteln möchte: „Control“ lässt den Betrachter reichlich leer und teilweise sogar seltsam unbeteiligt zurück. Will sagen: als großes Drama funktioniert es gar nicht mal so besonders gut, als präzise Charakterstudie ist es mithin zu künstlich geraten. Dafür hätte es nichtmal dem Straßendreck von Manchester bedurft. Diese kleinen ambivalenten Brüche, in der Hauptfigur, wie auch im Erzahlfluss selbst, fehlen dem Film und das ist unterm Strich das Fatale. Im Prinzip ist das eine Faktensammlung, gelungen aufbereitet zwar, aber inhaltlich zugleich auch sehr steril geraten, da es sich im Wesentlichen nur (und ausschließlich) auf die punktgenaue Abarbeitung bestimmter Ereignisse konzentriert. Sozusagen der Film zum Buch. Kaum persönliche Gesten, kaum eigene Defintionen vom Wesen der Legende(n). Jene ruhigen Momente, in denen der Film seine semi-dokumentarische Ebene auch mal verlässt und den Brückenschlag zu großem Kino wagt und vollzieht, hätten Corbijns Film sicherlich gut getan, passieren aber zu selten. Da ging bspw. Michael Winterbottom mit „24 Hour Party People“ sehr viel weiter, und letztlich auch eindringlicher und wirkungsvoller zu Werk.
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Ok, hatte ich mir gedacht, dass Du das anbringst. Mir gefiel allerdings, dass die Figur Curtis als rätselhaft und letzten Endes auch nicht komplett zu durchschauend angelegt war. Beteiligt war ich wegen der Musik, die Personen wurden hmm ja, dokumentarisch dargestellt.
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If you talk bad about country music, it's like saying bad things about my momma. Them's fightin' words.
AnonymInaktivRegistriert seit: 01.01.1970
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lathoBeteiligt war ich wegen der Musik, die Personen wurden hmm ja, dokumentarisch dargestellt.
Absolut. Mir gings ja im Prinzip genauso. Und eben das meinte ich weiter oben: Zuschauer, die mit JD nix oder nur wenig anfangen können, tun sich mit dem Film vielleicht schwer, winken eventuell sogar ab, erfahren ausschließlich über den Umweg Drama aber wohl eher keinen geeigneten Zugang zu der Musik. Was wiederum auch gut so ist. Irgendein unnötig aufgeplustertes oder verkommerzialisiertes Lala von Film hätte da weder zu Ian C., noch zur Band Joy Division noch zu deren Vita gepasst.
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Bin der Meinung, dass gerade die JD-Fans zugunsten einer massenkompatibleren Arthouse-Empfänglichkeit im Stich gelassen werden.
Wahrscheinlich habe ich aber nur grundsätzlich ein Problem mit der zeitgenössischen Biopic-Szene, die sich zumeist nur als stringente Nabelschau des Privaten geriert und damit einer individuellen Reflexion des Gesamtkünstlerischen (siehe Haynes) kontraproduktiv entgegenwirkt.
Sehr schön verschriftlicht wurde diese Diametralität zur Kunst durch überformulierte Konzentration auf Körperlichkeit ja neulich im „I´m Not There“-Artikel des Rolling Stone, der mit Blick auf „Ray“, „Walk the Line“ und eben auch „Control“ konstatierte: „Über die Musik, die den Körper jeweils zu dem gemacht hat, was er ist oder war – ein Künstler nämlich -, erfahren wir meist herzlich wenig. […] Was wir aus diesen Filmen erfahren? Dass die dort porträtierten Menschen leben, lieben, lachen, scheitern, hassen und weinen wie wir alle. Sich der Kunst über den Körper des Künstlers zu nähern, ist – ehrlich gesagt – eine ziemlich bescheuerte Idee.“--
"Wenn man richtig liest, löst man einen innerlichen kreativen Prozess aus. Die meisten Leser inszenieren einen Film. Weswegen es überhaupt kein Wunder ist und mediengeschichtlich konsequent, dass der Roman des 18. und 19. Jahrhunderts in die Erzählkino-Kultur des 20. Jahrhunderts übergegangen ist." (Peter Sloterdijk)
AnonymInaktivRegistriert seit: 01.01.1970
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Gute Beobachtung im RS. Und bzgl. der Arthouse Crowd: ja, da ist es tatsächlich eher so, dass das Sujet hinter den Bildern etwas verwischt, also zu Gunsten einer formvollendeten Fassade eher etwas in den Hintergrund geschoben wird. Tatsächlich wirkt bei Corbijn das Drama zu klein und zu strikt sobald er seine Fotopanels verlässt und mit bewegten Bildern arbeitet. Wäre er ein unmittelbarer Cinema Verité Künstler mit Blick für spontane Momente und vermenschlichende, kleine Details, wie bspw. Robert Frank, wäre dies sicherlich von Vorteil, aber sowas kann man Anton Corbijn ja unmöglich ankreiden. Der macht sein Ding im Prinzip ja auch mit der ihm und seinem ästhetischen Empfinden entsprechender Konsequenz. Also ohne sich dabei groß zu krümmen und zu verbiegen.
Kleine inszenatorische und ästhetische Ambivalenzen zum Vergleich:
1x Joy Division bei Winterbottom -> klick
1x Joy Division bei Corbijn -> klick.--
Der Winterbottom Ausschnitt sieht angestrengt aus. Nein, der Corbijn Film ist erheblich gelungener als „24 Hour Party People“ und für mich auch bisher das gelungenste Biopic überhaupt. Exzellente Balance vieler Dinge, zwischen glatter Distanz und direktem Spiel mit Mystifizierung, zwischen exploitativer Enigmatik und erdiger Tourroutine, zwischen Stardom in den Medien und Boredom zu Hause. Nichts zu aufdringlich, souverän im Umgang mit etwaigen Klischees. Das mag ja möglicherweise zu Lasten etwaig authentischer Vermittlung gehen, funktioniert als stringenter Film aber ausgezeichnet. Die erste halbe Stunde, die noch nicht unmittelbar die Geschichte der Band illustriert, sondern die dahin verlaufende Sozialisation Mitte der 70’s ist für mich überhaupt die ideale Lösung Zeitgeschichte darzustellen, fern von stereotypen Insignien, aber auch hysterischem Authentizitätsgehampel (womit wir wieder bei dem verlinkten „24 Hour“ Snippet wären). Nüchern, aber anrührend.
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A Kiss in the Dreamhousepinch[…] Irgendein unnötig aufgeplustertes oder verkommerzialisiertes Lala von Film hätte da weder zu Ian C., noch zur Band Joy Division noch zu deren Vita gepasst.
Da sind wir uns dann einig.
pinchGute Beobachtung im RS. Und bzgl. der Arthouse Crowd: ja, da ist es tatsächlich eher so, dass das Sujet hinter den Bildern etwas verwischt, also zu Gunsten einer formvollendeten Fassade eher etwas in den Hintergrund geschoben wird. Tatsächlich wirkt bei Corbijn das Drama zu klein und zu strikt sobald er seine Fotopanels verlässt und mit bewegten Bildern arbeitet. Wäre er ein unmittelbarer Cinema Verité Künstler mit Blick für spontane Momente und vermenschlichende, kleine Details, wie bspw. Robert Frank, wäre dies sicherlich von Vorteil, aber sowas kann man Anton Corbijn ja unmöglich ankreiden. Der macht sein Ding im Prinzip ja auch mit der ihm und seinem ästhetischen Empfinden entsprechender Konsequenz. Also ohne sich dabei groß zu krümmen und zu verbiegen.
Kleine inszenatorische und ästhetische Ambivalenzen zum Vergleich:
1x Joy Division bei Winterbottom -> klick
1x Joy Division bei Corbijn -> klick.24 Hour Party People habe ich noch nicht gesehen, aber danke für die Links. Aber 24 Hour wirkt in dem Ausschnitt auf mich eher „abseits der Band“. Und wie ich oben geschrieben habe: ich sah dem Film nicht an, dass Corbijn seine Fotos (von deren Existenz ich nichts wusste) „weiterentwickelt“, das wirkte auf mich sehr natürlich, absichtlich toned down, also eben nicht, was ich von Corbijn in Bezug auf U2 etc kenne. Außerdem spielt Herbert Grönemeyer mit und darf nicht singen.
NachtmahrBin der Meinung, dass gerade die JD-Fans zugunsten einer massenkompatibleren Arthouse-Empfänglichkeit im Stich gelassen werden.
[…]Hmm, wiederspricht sich etwas, weil ich nicht finde, dass es einen einheitlichen Arthouse-Stil gibt. Was das RS-Zitat angeht: klingt für mich eher wie eine generelle Absage an Biopics?
Napoleon Dynamite[…], funktioniert als stringenter Film aber ausgezeichnet. […]
Das bringt es auf den Punkt: der Film überzeugt als Film.
Edit: im Sinne von Gesamtkunstwerk…:-)--
If you talk bad about country music, it's like saying bad things about my momma. Them's fightin' words.
AnonymInaktivRegistriert seit: 01.01.1970
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latho24 Hour wirkt in dem Ausschnitt auf mich eher „abseits der Band“.
Das ist in erster Linie ein Film über Tony Wilson und über die Manchester Szene (Factory Records, Hacienda etc.), weniger ein Biopic über JD, deren Bandkapitel nur rund 1/3 des Films einnimmt, insgesamt aber mit ebenso großer Sorgfalt und Hingabe behandelt wird (selbst Martin Hannett erfährt darin größere Aufmerksamkeit als im gesamten „Control“), wie die restlichen Etappen des Films. Das von Napoleon Dynamite bemängelte angebliche „hysterische Authentizitätsgehampel“ (dessen Unmittelbarkeit ich aber dennoch jeder stilisierten Andacht vorziehe) trifft eventuell auf die Szene mit jenem chaotischen JD Auftritt zu, wenn man so will, nicht aber auf den kompletten Film, der sich eher zwischen absoluter Hingabe (selbst klitzekleinste Nebenrollen sind mit absolut Akuratesse besetzt: Howard Devoto, Mark E. Smith usw.) und dezent distanzierter Ironie und in einem insgesamt eher im ruhigen (aber dennoch wachen) Fluss bewegt und dennoch immer direkt am Objekt bleibt. Die Brücke zwischen Kunst und Entertainment bringt er jedenfalls vortrefflich aufs Tapet. Und letztlich auch den episch langen Arm.
lathoDas bringt es auf den Punkt: der Film überzeugt als Film.
… so wie Deborah Curtis‘ Buch als Buch überzeugt.
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Wir können uns glaube ich darauf einigen, dass das Gute am Film der Film ist. :lol:
Die Performance von Transmission gehört zum Besten des gesamten Corbijn-Films, sie stellt einfach nur das Lied dar und verzichtet auf alle unnötigen zeitgeschichtlichen Beigaben, wie sie in dem Party-People-Film verwendet werden. Der Fokus liegt eben auf der Musik, was ich ganz prima finde.
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Ohne Musik ist alles Leben ein Irrtum.pinchdessen Unmittelbarkeit ich aber dennoch jeder stilisierten Andacht vorziehe
Die Unmittelbarkeit von „24 Hour“ ist doch nicht minder stilisiert, die Kamera dreht sich bei Auftritten bsw. zum Publikum, um von Bier angespritzt zu werden und viele andere solcher Tricks aus der Näher-zu-dir-mein-Zuschauer-Mottenkiste mehr. Das wird in erster Linie im Film wirklich erst dadurch goutierbar, daß gelegentlich dazu ironische Noten angestimmt werden, zB. Devotos Nebenrolle als Toilettenmann, der die inszenierte Devoto-Figur kommentiert („I definitely don’t remember this happening!“). Sehr hübscher Film, keine Frage, Steve Coogan gibt auch sicherlich den motivierteren Wilson.
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A Kiss in the Dreamhouse -
Schlagwörter: Joy Division
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