Re: Tindersticks

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neiliebly

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Ich finde „Ypres“ schon sehr beeindruckend. Ursprünglich nur gekauft um die Sammlung komplett zu halten, bleibt die Feststellung das dieses Werk von mir wohl öfters aufgelegt werden wird als die typischen Tindersticks-Soundtrackalben.

Hier mal eine der wenigen deutschsprachigen Rezensionen:

Im Ersten Weltkrieg zählte Ypern zu den meistumkämpften Städten an der Westfront. Die drei großen Schlachten dort gingen als erste, zweite und dritte Flandernschlacht in die Geschichte ein. Die Stadt wurde während des Krieges fast völlig zerstört, Hunderttausende von Menschen starben und wurden unter anderem auf den zahlreichen Soldatenfriedhöfen in der Nähe beerdigt.

2011 beauftragte das Flanders Fields Museum TINDERSTICKS mit der Musik für eine Dauerausstellung über die Schrecken dieser Zeit. Die Soundscapes, die Stuart A. Staples und Dan McKinna daraufhin erschufen, finden sich nun auf „Ypres“, die so beklemmend, intensiv und erschüttend ausgefallen ist, wie es sich bei einem Aufeinandertreffen dieser Thematik und diesen Künstlern erwarten ließ.

Dabei fängt alles ganz still an – eine blecherne Totenglocke läutet „Whispering Guns“ ein, dessen massive Soundwände erst nach und nach ihre Melodiebögen erkennen lassen. Die Spannung ist fühlbar, die unheilverkündende Atmosphäre steigert sich über die zwölf Minuten stetig, und geschickt binden Staples und McKinna das Geheul einschlagender Granaten in die Orchester-Arrangements ein. Dabei hat „Ypres“ mit seinen wie eine Spirale in die Tiefe ziehenden Endzeitstreichern in jeder Minute den typischen TINDERSTICKS-Sound, auch wenn die Platte, ihrem Zweck entsprechend, rein instrumental bleibt und Staples’ charakteristische Stimme fehlt.

Stilles Abwarten prägt „Ananas Et Poivre“, während „La Guerre Souterraine“, der auf das ausgedehnte Höhlensystem Bezug nimmt, mit dem die Stadt und die Umgebung während des Krieges untertunnelt wurden, die Angst in der Dunkelheit mit ihren Klopfgeräuschen großartig in Töne kleidet – weniger sinfonisch, aber ebenso unheimlich. Wieder anders „Gueules cassées“, das sich den entstellten und verstümmelten Soldaten widmet, die ihren musikalischen Ausdruck hier in reduzierten, an eine tiefe Bassflöte erinnernden Tönen finden, einsam und nackt. Der folgende „Sunset Glow“ mag einen Hauch verzweifelter Romantik in sich bergen, wie er auch andere TINDERSTICKS-Werken prägt, schlägt dann aber im zwanzigminütigen, finalen Epos „The Third Battle Of Ypres“ in schaurige Dramatik um.

„Ypres“ funktioniert auch ohne die Bilder, für die sie geschaffen wurde, indem sie eigene entstehen lässt. Es ist eine mächtige Platte geworden, eine von denen, gegen deren stimmungsverändernde Wirkung es keine Gegenwehr gibt, die aber über die Emotionen, die sie weckt, auch Unerlebtes erfahrbar macht. Hören auf eigenes Risiko – aber trotzdem durch und durch empfohlen.

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