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nikodemus“DIVERS“ konnte eigentlich nur ein schwieriges Album (für mich) werden, der/die Vorgänger waren überirdisch groß und ich stellte mir schon die Frage, ob sich ihr „Sound“ abnutzen kann, ob alles weitere nach „YS“ und „HAVE ONE ON ME“ nur nach more of the same klingen wird oder ob und wie es schaffen kann, ihren Sound und ihrem Instrument neue Facetten zu entlocken.
Ich konnte nicht widerstehen und musste in den Vorab-Track „Sapokanikan“ reinhören und das flüchtige Hören versprach eine moderate Veränderung. Zumindest erschien es mir damals so. Heute ist dann der große Tag und wie Harfenultras haben ja auch lange genug warten müssen. Eigentlich kann man nur enttäuscht werden, wenn die Erwartungshaltung von Jahr zu Jahr steigt und der Vorgänger immer noch zu meinen, sagen wir, liebsten 15 Alben überhaupt gehört.
Die beeindruckensten Tracks auf „HAVE ONE ON ME“ waren für mich oftmals die leisen Songs (’81, In California, Does Not Suffice), aber eine richtige Schwäche kann ich bis heute nicht ausmachen. „DIVERS“ ist anders und nimmt mich nicht so schnell gefangen, es ist ausladend, teilweise überbordernd, abgehoben, mystisch und dennoch bezückend. Vieles ist reich arrangiert, Streicher hier, Bläser dort, Mellotron, Akkordeon, Wurlitzer, Banjo, Piano und irgendwo auch immer ihre Harfe (allerdings in den meisten Tracks weit weniger prominent als zuvor). Ich muss das alles noch etwas ordnen, das ganze ist sehr melodiös und rund, aber es springt einen nicht an, lässt einen nicht sofort mitsingen wie in ’81 oder Good Intentions Paving Co.
Was aber auffällt ist die Weiterentwicklung ihrer Stimme. Ich glaube, Joanna Newsom entwickelt sich zu meiner Lieblingssängerin. Unglaublich wie sie das Kieksen und Unbeholfene ihrer Stimme immer weiter verändert hat und wo sie nun angekommen ist. Ich kann das gar nicht richtig beschreiben, man muss es hören wie sie innerhalb eines Tracks (z.B. den Titeltrack) vollkommen hohe klare Töne singt, wie ihre Stimme scheinbar bricht, sie die Töne zerdehnt und manchmal brummt, sie quengelt und jubiliert. Auch dieses stream of consciousness-mäßige Rasen und Ausbrechen und Abbremsen der Stimme in manchen Tracks (z.B. You will not Take My Heart Alive) finde ich herzerwärmend und berührend. Wie sie zaghaft ausbricht, ins Falsett fällt und wieder einnickt und ihre Stimme wie Wellen anschwellen und irgendwo einfach auslaufen (A Pin Light Bent), das passt in diese Bilder des Eintauchens, Abtauchens oder Verschwindens, die sie immer wieder besingt. Nicht dass ich hier (immer) ne Message raushören könnte, aber es berührt mich, ohne verstehen zu müssen, worüber sie singt. Vor allen klingt das Lesen hier vermutlich bemühter, als sich es es anhört. In dieser Bandbreite nehme ich das nur bei Dylan wahr (während dieser bei fast jedem Album seit den 60ern eine neue Stimme hat, wechselt Newsom ihre teilweise in einem Song aus. Am liebsten mag ich es, wenn sie mit sich selbst im Duett singt und man meint, die McGarrigle Schwestern zu hören.
Wahrscheinlich dokumentieren Sapokanikan oder Leaving The City wirklich am besten die Weiterentwicklung, die JN genommen hat, mein liebster Track und mein Anspielttipp ist aber der Schlusstrack, „Time, As A Symptom“: beginnend wie eine einfache Klavierballade steigert sich ihre Stimme in Stimme, ein Wispern in ein Orchestern und ein Flüstern in ein Jubilieren. Der Song kippt, wogt, läuft über, explodiert und endet irgendwo hinter einer Nebelwand und einem Uhu. Man kann das kitschig finden. Oder unerhört gut.
Schön gesagt, vieles teile ich. Interessant sind wirklich ihre Entwicklungen, kompositorisch – so nah am perfekten Popsong wie nie zuvor und locker auf Go-Betweens-Levell -, gesanglich, da vielleicht am deutlichsten, man höre nur mal hier https://www.youtube.com/watch?v=m1cwlYVP6rw in ihre Anfänge hinein, und textlich setzt sie auch wieder neue Akzente.
Sie wirkt kontrollierter und souveräner als je zuvor, wechselt ihre Stimme teils in den Liedern, da geht sie sogar noch über Dylan hinaus.
Ein weiterer Monolith. Schon der Vierte.
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...falling faintly through the universe...