Re: The Kills

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friedrich

Registriert seit: 28.06.2008

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Und weiter geht’s mit Riesenschritten:

Was konnte man nach NO WOW noch bei der Musik weglassen? Nicht viel, denn es gab ja nicht mehr als eine billige rhythm box, ein paar kratzige Gitarrenakkaorde und eine Stimme. Es hätte sich daher wohl nicht gelohnt, noch weiter in die Richtung der weiteren Reduktion zu gehen. Alison Mosshart und Jamie Hince haben das offenbar auch so gesehen. Jedenfalls ist das Album, das sie 2008, veröffentlichten in mancherlei Hinsicht ganz anders geraten als NO WOW.

MIDNIGHT BOOM (2008)
All tracks written, performed and produced by The Kills. Additional production by XXXChange

Wenn NO WOW aufs Skelett reduzierter R’n’R war, so ist MIDNIGHT BOOM praller Pop. Der Kontrast könnte kaum stärker sein. The Kills bleiben zwar ein Rock Duo, aber auf MIDNIGHT BOOM katapultieren sie ihren Post-Retro-Garagenrock in die 2000er Jahre und machen sich alles zu Nutze, was aktueller Pop zu bieten hat. Es wurde in diesem Thread an anderer Stelle kritisiert, dass The Kills auf MIDNIGHT BOOM mit club culture flirten. Aber: Etwas besseres konnte überhaupt nicht passieren! MIDNIGHT BOOM klingt wie eine Rockplatte, die von einem Hip Hop-Produzenten produziert wurde. Da sind nicht nur fette beats und grooves, da ist auch ein satter sound, bei dem ständig noch irgendwas im Hintergrund herumzumselt. Das erste Stück U.R.A. FEVER beginnt mit dem Piepen und Tuten eines Telefons und das Tuten zieht sich als loop durch das ganze Stück. Die Gitarre hört sich mehr an wie gesamplet als gespielt und sogar ein bisschen scratching gibt es zu hören. Jedes einzelne Stück hat so etwas wie eine sound signature, einen typischen beat oder Klang: Die eigenartig geloopten vocals auf GETTING DOWN, das scheppernde Schlagzeug von M.E.X.I.C.O oder das fast rein perkussive SOUR CHERRY mit seinem minimalistische Gitarrensolo und LAST DAY OF MAGIC ist mit seinem treibenden beat, der vorpreschenden dissonanten E-Gitarre, seinem Refrain „Last day of magic, where are you? / My little tornado, my little hurricano“ ein – ja, äh … – wahrer Wirbelwind von einem Stück! Ein Ohrwurm! Ein Hit! Ich frage mich, wieso LAST DAY OF MAGIC im Jahr 2008 eigentlich nicht aus jedem Autoradio schallte, auf jedem iPod in der heavy rotation lief und auf jeder Party das Volk bei den ersten Tönen die Tanzfläche stürmen ließ? Und wo taucht MIDNIGHT BOOM eigentlich in den hier so beliebten Bestenlisten auf? ;-) Aber ich selbst habe MIDNIGHT BOOM im Jahr 2008 ja auch verpennt und lerne die Platte erst mit 5 Jahren Verspätung kennen. Nur die abschließende Ballade GOODNIGHT BAD MORNING erinnert dann wieder an alte Helden von The Kills: Lou Reeds SUNDAY MORNING, PALE BLUE EYES oder STEPHANIE SAYS lassen grüßen. Aber auch das hat dann wieder was unverkennbares.

Ich hatte für diese wundersame Wandlung von The Kills ursprünglich den Hip Hop-Produzenten XXXChange alias Alex Brady Epton verantwortlich machen wollen, da ich The Kills eine so raffinierte Produktion gar nicht zugetraut hätte. Aber tatsächlich war der nur auf 4 von 12 Stücken als Co-Produzent tätig. Umso mehr muss man Allison Mosshart und Jamie Hince für MIDNIGHT BOOM loben. Eine tolle Platte, modern, frisch und lebendig, mit einem kräftigen satten sound, die einen Riesenspaß macht!

LAST DAY OF MAGIC: http://www.dailymotion.com/video/x5n15z_the-kills-last-day-of-magic_music#.UTySyKWKxd0

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„Für mich ist Rock’n’Roll nach wie vor das beste Mittel, um Freundschaften zu schließen.“ (Greil Marcus)