Re: Jazz zwischen Kunst und Kommerz

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gypsy-tail-wind
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bullschuetzMotown folgte in weiten Phasen dem Modell 2. Was dazu führte, dass Künstler mit einer gewachsenen hausinternen Machtposition damit irgendwann nicht mehr zufrieden waren und es schafften, den Akzent weg von Modell 2 hin zu Modell 1 zu verschieben. Beispiele: Marvin Gaye und Stevie Wonder (wobei sie sich interessanterweise keinem anderen Label anschlossen, sondern diese größere Freiheit innerhalb des Motown-Betriebs durchsetzten).

Das ist ein interessanter Punkt! Weiss man dazu Näheres, warum sie sich nicht einfach nach einem anderen Label umschauten?

Ich denke mal in den meisten und besten Fällen liegt die Wahrheit in der Tat irgendwo dazwischen … um beim Jazz zu bleiben: ein Alfred Lion, ein Lester Koenig, ein Orrin Keepnews, ein Dick Bock wusste, was er an seinen Musikern hatte. Im besten Fall – das geht in die Richtung, die nail oben schon antönte – verhalf der Produzent den Musikern nicht nur zum nächsten Schuss (das wäre – verkürzt gesagt, es gab ja andere Fällen, in denen auch etwas aufgebaut wurde, oder beides parallel lief – das Modell Prestige) sondern baute mehr oder minder nachhaltig einen Katalog auf. Blue Note tat das mit zahlreichen Musikern: Horace Silver, Art Blakey, Lee Morgan, Jackie McLean, Dexter Gordon, Bobby Hutcherson, Herbie Hancock, Larry Young, Elvin Jones … Riverside mit Monk, Cannonball Adderley, Wes Montgomery, aber auch mit weniger erfolgreichen Musikner wie Johnny Griffin oder Blue Mitchell … Contemporary mit Art Pepper, Hampton Hawes, Shelly Manne, Howard Rumsey … Fantasy in seinen frühen Jahrne mit Brubeck … Pacific Jazz mit Chico Hamilton, Bud Shank, Chet Baker. Auch Major-Labels bemühten sich darum, in erster Linie natürlich Columbia mit Miles, Ellington, Brubeck, später Monk, aber auch z.B. mit J.J. Johnson, RCA war strikter in der Anwendung von „production values“: kurze Stücke, Bands, die oft jazzmässig unter ihren Möglichkeiten blieben und wie gezähmt, zurückgehalten wirken … dennoch gab es auch da das eine oder andere feine Album. Aber wenn man sich diese Alben mit etwas Distanz vornimmt, denke ich schon, dass man die unterschiedlichen Handschriften erkennen kann, vom Laissez-faire eines Bob Weinstock über die sehr kunstverständige Tätigkeit eines Koenig oder Lion (Bock könnte man da auch nennen, wenn er nicht soviele Master direkt mit der Rasierklinge bearbeitet hätte … da mangelte es wohl einem am Bewusstsein dafür, dass er mehr als „Produkt“ herstellt – dennoch, der Mann war gut!). Von den grossen Figuren fehlt bisher noch Norman Granz – das ist wohl nochmal ein eigener Fall, auch er ein Mann mit grosser Leidenschaft für den Jazz, fraglos, zudem ein Vorkämpfer gegen die Segregation in den USA, sehr outspoken. Er produzierte wohl selten das Neuste Ding unter der Sonne (wobei Jazz at the Philharmonic irgendwie ja schon etwas Neues war), aber auch ihm gelang es oft, seine Leute im Studio so zusammenzubringen, dass bezwingende Ergebnisse resultierten. Aber er stiess wohl da und dort auch an seine Grenzen (zum Beispiel bei Bud Powell, den er manchmal mit nicht sehr passenden Leuten umgab).

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"Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #151: Neuheiten aus dem Archiv – 09.04., 22:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tba