Re: Jazz zwischen Kunst und Kommerz

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hal-croves
אור

Registriert seit: 05.09.2012

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gypsy tail windEs ging auch mir – ich betone das gerne für alle Fälle noch mal – nie darum, die kommerziellen Aspekte auszublenden. Ich denke gerade Musiker aus so randständigen Bereichen wie der freien Improvisation (da ist ja „Jazz“ schon grosser Mainstream im Vergleich) wissen, wie hart es ist, allein von der Musik zu leben. Dennoch wollen sie eben keine grauhaarigen Connoisseurs im Publikum, die nach zehn Minuten im Schlummer versinken, den sie in der Nacht nicht mehr finden, sondern Leute, die mit aufrichtigem Interesse kommen und zuhören. Also: Qualitat statt Quantität, was das Publikum betrifft. Das zumal aus der Sicht der Künstler. Natürlich heisst das, dass man dann vielleicht weniger Geld kriegt, aber je nachdem, wo man auftritt und was man dem Publikum vorsetzt, kommen eh nur die Leute, die man auch haben will. Ich finde eine solche Haltung bewundernswert, wenigstens solange man sie sich leisten kann … aber den Urlaub in Brasilien und den Shopping Trip in New York wird man so nicht kriegen. Das sind halt Fragen der Einstellung, die doch letztlich damit, ob man Kunst macht oder sich in einer Firma verdingt (den „bürgerlichen Beruf“ als erfüllend empfinden? sehr komisch!), wenig zu tun haben.

Diese Einstellung ist vollkommen ehrenwert, und ich stimme Dir völlig darin zu, dass die Möglichkeit, Kunst zu machen, von der Art des Lebensunterhalts grundsätzlich unberührt bleibt. Ein klein wenig irritiert mich lediglich noch das Problem (aber vielleicht ist es ja gar keins?), wie die Abgrenzung zum Musizieren als Hobby gelingen soll – denn davon bin ich ganz grundsätzlich ausgegangen, dass es in dieser Diskussion nicht um Hobbymusiker geht. Nicht dass ich irgendetwas gegen Hobbymusiker hätte, um Gottes willen, aber ausgehend von meinen Überlegungen, die ich in meinem letzten Post über die Inanspruchnahme der Individuen durch die Lohnarbeit angestellt habe, bleibt bei mir ein Rest von Irritation, wenn wir diese Diskussion unter der unausgesprochenen Grundannahme führen, dass die Frage des Lebensunterhalts durch Musik insofern völlig irrelevant sei, als er für die Allermeisten (auch unter denen, die hier Thema sind?) ohnehin nicht realisiert werden könne. Denn dann wäre die Spannung aus dem ganzen Thema der Diskussion im Grunde völlig raus; die Moral von der Geschicht würde dann eben lauten, dass, wer von der Musik nicht leben kann, halt arbeiten gehen muss – Punkt. Aber das kann es doch nicht sein; auch ohne auf eine Figur wie Zahnfleischbluter Murphy rekurrieren zu müssen, sollte doch mehr in der Vorstellung stecken, die wir uns vom Jazzmusiker machen, als dass er zwischen Büro und Abendessen mit der Familie eine kleine Jam einlegt und am Wochenende im Club aufspielt, anstatt zum Angeln zu fahren. Oder sind das nur abstruse Flausen?

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"Edle, freie Unbefangenheit bei Allem. ... Alle übrigen Vollkommenheiten sind der Schmuck unsrer Natur; sie aber ist der der Vollkommenheiten selbst. ... Sie ist mehr als Leichtigkeit, sie geht bis zur Kühnheit: sie setzt Ungezwungenheit voraus und fügt Vollkommenheit hinzu. Ohne sie ist alle Schönheit todt, alle Grazie ungeschickt: sie ist überschwenglich, geht über Tapferkeit, über Klugheit, über Vorsicht, ja über Majestät." (Baltasar Gracián) =>mehr<=