Re: Jazz zwischen Kunst und Kommerz

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hal-croves
אור

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redbeansandricemir gefällt der Narrativ, in dem Musiker ihr Geld in einem bürgerlichen Beruf verdienen, und bei der Musik entsprechend weniger oder keine Kompromisse machen, auch ganz gut – das funktioniert in Amerika vielleicht eher als hier, 1) weil es dort kaum Alternativen gibt (und entsprechend weniger Dünkel gegenüber „Amateuren“ unter Musikern) und 2) weil Jobs tendentiell nicht soo rigide Ausbildungswege fordern… Ich bilde mir ein, dass solche Künstler auch von meinem Leben mehr verstehen…

Sofern das harmonisch funktioniert – in dem Sinne, dass der „bürgerliche Beruf“ als ebenso erfüllend empfunden wird wie das Musikmachen -, ist das natürlich ein verwirklichter Idealzustand. Mir fällt jetzt erst mal kein individuelles Beispiel ein, will damit aber nicht behaupten, dass es keines gebe; Du hast da bestimmt jemanden vor Augen.
Allerdings kommt mir dieses „Modell“ tatsächlich wie ein sehr idealistisches Ideal vor, und zwar aus mehr als einem Grund. Zunächst ist da die Liebe zur Musik, die in einer, wie Du schreibst, großen Kunst zum Ausdruck kommt; wenn ein Musiker, der das, was er ausdrücken will, auch wirklich ausdrücken kann, einem „bürgerlichen Beruf“ nachgehen muss, der doch in aller Regel durch Entfremdung von den individuellen Bedürfnissen geprägt ist, dann muss nach meinem Dafürhalten doch wie von selbst der Wunsch entstehen, von der Musik leben zu können. Und dann nimmt der Beruf das Individuum doch sehr in Beschlag. Um heutzutage eine Stelle zu behalten, genügt es ja immer seltener, seine Arbeit anständig zu erledigen; vielmehr wird ein ständiges Streben nach Selbstoptimierung im Interesse der Firma verlangt. Die zunehmende Prekarisierung unter den Vorzeichen einer globalen Wirtschaftskrise tut ihr übriges. Unter diesen Bedingungen erscheint mir ein harmonisches Zusammengehen von kompromissloser L’art-pour-l’art-Musik und Lohnarbeit als äußerst schwierig – und äußerst unwahrscheinlich.

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"Edle, freie Unbefangenheit bei Allem. ... Alle übrigen Vollkommenheiten sind der Schmuck unsrer Natur; sie aber ist der der Vollkommenheiten selbst. ... Sie ist mehr als Leichtigkeit, sie geht bis zur Kühnheit: sie setzt Ungezwungenheit voraus und fügt Vollkommenheit hinzu. Ohne sie ist alle Schönheit todt, alle Grazie ungeschickt: sie ist überschwenglich, geht über Tapferkeit, über Klugheit, über Vorsicht, ja über Majestät." (Baltasar Gracián) =>mehr<=