Re: Ella Fitzgerald – The First Lady of Song

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Die Arbeit am dritten Album begann kurz nach den Sessions zu „Ella & Louis Again“ (s.o.) und erstreckte sich über gut zwei Monate. Der Approach war kein grundsätzlich anderer: wieder sangen Armstrong und Fitzgerald gute Songs. Der Rahmen wurde von Russell Garcias Arrangements vorgegeben, der dreizehn Songs sowie ein Medley aus drei weiteren Titeln für grosses Orchester arrangierte. Sein wichtigster Beitrag war allerdings die knapp elfminütige Overture, in der der Ton gesetzt wird – und mit der die notwendige Dauer für eine Doppel-LP erreicht wurde. Aufgenommen wurde alles live, der Gesang und das Orchester zusammen im Studio.

Das Album enthielt lange Liner Notes von Lawrence D. Stewart, in denen der Plot der Oper, die Entstehung sowie die Geschichte ihrer Aufführungen erzählt wird, und vom unglaublichen Erfolg berichten, den die Oper haben sollte. Ihr drittes Revival fand in den frühen 50er Jahren statt, Stewart schreibt:

It is the third revival of the opera, however, which did more than make the opera seem a classic: it now became an instrument of American foreign policy, the basis of strategy in the cultural cold war, and a universal symbol of the American dream and achievement. Produced by Blevins Davis and Robert Breen, and directed by Mr. Breen, this production opened June 9, 1952 in Dallas, Texas at the State Fair Auditorium. It starred William Warfield as Porgy, Leontyne Price as Bess, and Cab Calloway as Sporting Life; and as the cast was new to the property, so the conception of the opera was also changed. The number of sets was reduced, the stage waits were eliminated, and some songs were moved about in the score. Recitative was restored, and twenty minutes of text and music not incorporated in any previous version was put to use.

So brilliant was this production that it ran for four years, making two tours to the United States, three European tours, and one tour of South America. When it opened in Berlin on September 16, 1952, there were twenty-one curtain calls. When it opened in Venice on September 22, 1954, the audience threw flowers on the stage. When it opened in Leningrad December 26, 1955, even Truman Capote was along to take notes! Both Presidents Truman and Eisenhower gave the show their unqualified blessings, and by the time Porgy and Bess struck its sets for the last time on June 3, 1956 in Amsterdam the opera had become a legend instead of a production.

~ Lawrence D. Stewart, Liner Notes für „Porgy and Bess“, Verve MGVS 6040-2

Auf Russ Garcias fast elfminütige Suite, in der ein paar der schönsten Themen („Summertime“, „I Got Plenty O‘ Nuttin'“, „Bess, You Is My Woman Now“, „It Ain’t Necessarily So“ und „I Wants to Stay Here“) der Oper verwendet werden, folgt eine ganz kurze Atempause, in der das Orchester bloss kurz Luft zu holen scheint. Dann setzt es wieder ein, legt einen feinen Teppich, und dann überstrahlt die Trompete von Louis Armstrong alles – er bläst das Thema von „Summertime“. Es folgt Ella Fitzgerald mit der ersten Strophe und dann Armstrong mit der zweiten, mit seiner Raspelstimme. Ein Stück voller Gänsehaut-Momente… hinter ihm shaken die Posaunen, er singt auch hier wieder so, wie er Trompete spielt, braucht Wörter und Silben wie Töne, singt Phrasen, die nicht unbedingt mit dem Sinn des Textes korrespondieren. Dann setzt Ella wieder ein, während Armstrong hinter ihr eine improvisierte zweite Stimme singt, mit Fetzen des Textes, Scat-Phrasen, oh yeah-Einwürfen und Echos – wunderbar!
Es folgt Ella mit „I Wants to Stay Here“ (besser bekannt als „I Loves You, Porgy“), das im Rubato beginnt, mit viel Streichern. Dann der Wechsel ins Tempo mit perlenden Piano-Einwürfen – zwischendurch brechen Piano und das Orchester weg und lassen Ella mit den Streichern allein, nach der zeiten Runde folgt eine Passage in schnellerem Tempo. Ella singt eindrücklich, formt ihre Stimme, variiert den Ausdruck.
Der Ton bleibt nachdenklich in Ellas getragener Version von „My Man’s Gone Now“ – damit begann die zweite Seite des Albums. Das Tempo steigert sich und die Stimmung wird fröhlicher in „I Got Plenty O‘ Nuttin'“, was Armstrong mit einem Chorus auf der Trompete öffnet, bevor zuerst er und dann Ella ihre Strophen singen. Gershwin hat das Stück einen „banjo song“ genannt. Den Es folgt der „Buzzard Song“ – er wurde ursprünglich aus der Oper gestrichen, weil er so anspruchsvoll ist und zwischen zwei schon recht schwierigen Nummern stand, „I Got Plenty O‘ Nuttin'“ und „Bess, You Is My Woman Now“. Hier singt Ella (obwohl der Song eigentlich für Porgy geschrieben wurde). Sie ist der schwierigen Rolle gewachsen, die Stimmung ist trotz der anspruchsvollen Musik getragen, Ella klagt wie in „My Man’s Gone Now“, lacht und schreit.
In „Bess You Is My Woman Now“ singt Armstrong über die gewonnene Liebe, die Musik greift auf einen Song aus dem ersten Akt zurück, in dem Porgy über seine Einsamkeit klagte. Ella gibt ihm Antwort, dann treten die beiden wieder in den Dialog, nachdenkliche Passage wechseln sich mit fröhlicheren ab. Damit endete die erste LP.

Den Auftakt der zweiten Hälfte mach „It Ain’t Necessarily So“, einer der tollsten Songs von Gershwin und einer, den viele Jazz sich vorgeknöpft haben. Über das düster-rumorende Intro spielt Armstrong singende Trompete, bläst dann die Melodie über eine reduzierte Begleitung. Er soliert weiter, auch über ein kurzes Intermezzo in double time, dann singt Ella die erste Strophe – Ira Gershwins Text baut auf der Struktur von Limericks auf und ist wohl einer seiner besten. Das Tempo zieht wieder an und Ella singt ein kurzes Scat-Solo, während dem das Tempo reduziert wird, worauf Louis die zweite Strophe (über Jonas im Walfischbauch) singt. Auch er scatted dann über das schnelle Tempo, bevor Ella wieder im ursprünglichen Tempo singt.
„What You Want wid Bess?“ ist ein Song ohne Reime, ein paar Linien aus DuBose Heywards Libretto, die vertont wurden. Die musikalische Struktur ist allerdings stark und die Abwesenheit von Reimen fällt kaum auf. Das kurze Stück gehört ganz Ella.
In „A Woman I a Sometime Thing“ tauchen erstmals die Reise-Bilder auf („lissen to yo‘ dadddy warn you, ‚fore you start a-traveling“), die am Ende in „Oh Lawd, I’m on My Way“ kulminieren. Armstrong singt mit Gusto über die peppige Begleitung des Orchesters und spielt dann ein schönes Trompetensolo, in dem er Nahe an der Melodie bleibt, ein paar tolle rhythmische Ideen einstreut, stets getragen von der guten Rhythmusgruppe (schade, dass das ganze Orchester anonym ist… nähme mich schon wunder, welche LA-Cracks hier spielen!).
Die dritte Seite endet mit einer zweiten Miniatur von Ella, „Oh, Doctor Jesus“, in dem sie über summende Streicher den Text halb singt, halb spricht.
Es folgt ein dreiteiliges Medley: Ella singt „Here Comes de Honey Man“ über eine charmante Orchesterbegleitung, dann folgt Louis mit „Crab Man“, bevor Ella mit „Oh, Dey’s So Fresh and Fine“ endet – das Stück imitiert die Gesänge von Fisch- und Gemüsehändlern, im dritten Stück singt Ella zwar nur über Erdbeeren, aber es gibt einen kurzen Moment, in dem das nach einem Gospel klingt! Als Outro dient ein Motiv aus „Bess You Is My Woman Now“.
Die letzten drei Stücke gehören ganz Louis Armstrong. Zuerst singt er das aufgestellte „There’s a Boat Dat’s Leavin‘ Soon for New York“ und spielt dann das letzte Trompetensolo des Albums, wieder verspielt und zugleich nachdenklich und fröhlich. Es folgt das klagende „Bess, Oh Where’s My Bess“ und zum Abschluss „Oh Lawd, I’m on My Way“. Die Oper kriegt mit dem Stück einen quasi-optimistischen Abschluss, Armstrong wird von den Judd Conlon Singers begleitet.

Ella & Louis‘ Album war die erste Jazz-Version der Oper, die eingespielt wurde, aber bei weitem nicht die erste, die veröffentlicht wurde. Sie war auch nicht als Konkurrenz zum MGM-Film oder als Versuch von diesem zu profitieren entstanden, die zweijährige Arbeit am Film begann erst gerade, als Granz schon im Studio stand. Da Album erschien erst im April 1959 und bis dahin waren mindestens zehn andere Alben mit Musik von Gershwins Oper erschienen, darunter mehrere Jazz-Versionen.

Every night when I finished doing something I would go back and see Ira Gershwin. Ira and I would play it, and he was overwhelmed by the poignance of Louis’s voice, the quality when he was singing, „Bess, O Bess, Where’s My Bess?“ I mean, it was to cry, it was marvelous; I [knew] Louis would be fantastic for this album.

~ Norman Granz on recording „Porgy & Bess“

Das Granz-Zitat ist William Ruhlmanns Liner Notes zum 3CD-Set entnommen.

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