Re: Jazz: Fragen und Empfehlungen

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gypsy-tail-wind
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ferryMit Mainstream ist im Jazz wahrscheinlich etwas ganz anderes gemeint, als mit dem Begriff Mainstream in der Popmusik ? Denn in der Popmusik ist der Mainstream mit dem Massengeschmack verbunden, wohingegen die Jazzmusik noch niemals zum Massengeschmack gezählt werden konnte (siehe auch Nail’s Post).

Ja – der erste Absatz bei Wikipedia fasst das recht gut zusammen:

Im Sommer 1954 begann die Plattenfirma Columbia Records mit einer Reihe von Aufnahmen mit Jamsessions, die unter dem Namen von Buck Clayton liefen. Stilistisch liefen diese unter „Mainstream-Jazz“, ein Begriff, der damals u. a. durch Stanley Dance geprägt und durch die Einführung der Langspielplatte begünstigt wurde, die wesentlich längere Stücke als die auf den 78er Platten erlaubte. Unter „Mainstream“ verstand man eine Spielweise von Musikern, die nicht den damals modernen Jazzstilen wie Cool Jazz oder Hardbop zugerechnet, andererseits aber auch nicht den Dixieland-Traditionalisten werden konnten. Man könnte sie nach Doering auch „Moderner Swing“ nennen, zumal mit der Bezeichnung im wesentlichen ehemalige Swing-Musiker aus dem Umkreis des Count-Basie-Orchesters (Jo Jones, Freddie Green) gemeint waren. Diese Strömung wurde vom Produzenten John Hammond mit der Schallplattenreihe The Basie Bunch gefördert (1957–58).

Es ist die Mischung von Swing und Bop, wie sie von Leuten wie Coleman Hawkins, Buck Clayton, Harry Edison, Benny Carter, Oscar Peterson in den 50ern oft gespielt wurde. Dass der Begriff danach ausfranst (und schon damals unscharf war) ist wohl aus der obigen Diskussion leicht zu erkennen und es ist auch klar, warum das geschehen musste.

Aus der heutigen Sicht kann man mit dem Begriff eben je nach Bedarf ziemlich alles bezeichnen, was zwischen Louis Armstrong und Coltrane (bis und mit 1964 sag ich mal) gemacht wurde. Und darum ist er eben sehr untauglich.

RCA ist auch ein Label, das ab Mitte der 50er viel Mainstream Jazz produziert hat. Da trafen z.B. die Basie-ites Joe Newman und Freddie Green auf Leute wie Al Cohn und Arrangeure wie Manny Albam. Oft wurden Alben in ähnlichen Konstellationen aufgenommen, die Stücke kürzer gehalten als bei den kleinen Jazz-Labeln, die Arrangements straffer, der Swing kontrollierter, der Beat weniger frei… manchmal mag ich diese Musik, manchmal waren die Resultat auch richtig gut, aber oft war da ein ziemlich starres Korsett dahinter (das ist z.B. auch auf den beiden RCA-Alben von Bud Powell zu spüren), das der Musik einen etwas zu engen Rahmen steckte.
Mosaic hatte bis vor ein paar Jahren eine Box mit Columbia Small Group Sessions im Angebot (Buddy Tate, Herb Ellis, Illinois Jacquet, Ben Webster/Harry Edison…), das zwar auch nicht nur gute Musik enthielt (nun, gute schon, aber sehr gut ist nicht alles, hervorragend kaum was), die aber zeigt, wie man solche Sessions auch in einem lockereren Rahmen erfolgreich gestalten konnte.
Und die erwähnten Buck Clayton Sessions (9LP/5CD bei Mosaic, längst vergriffen, später die Master Takes auf 3CD bei Lonehill/Definitive, ev. auch schon vergriffen) sind da die besten Beispiele, manche Stücke dauern da eine ganze LP-Seite lang und die Musik fliesst frei dahin und hält in den meisten Fällen die Spannung dennoch aufrecht, weil so tolle Solisten dabei sind (meine schon anderswo diskutierte These zur Vielfalt der Idiome und Stimmen im Swing…)

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