Re: Andrew Hill

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Bennie Maupin (Photo: Francis Wolff)

Im Winter 1970 gab es noch vier letzte Sessions Hills bei Blue Note, bevor der Strom für längere Zeit versiegte. Material für zwei LPs wurde eingespielt, nach dem klassischen Muster in jeweils zwei Sessions mit einer Woche Abstand (ob Van Gelder zu der Zeit immer noch mehrere fixe Wochentage für verschiedene Label reserviert hatte?).

Am 16. & 23. Januar 1970 fand Hill sich mit einem Sextett im Studio ein, das von der Besetzung her an „Point of Departure“ erinnert. Charles Tolliver, Pat Patrick (fl, alto cl, as, bari), Bennie Maupin (fl, ts), Ron Carter sowie zwei neue Drummer waren dabei, bei der ersten Session Paul Motian, bei der zweiten Ben Riley. Hill hält auf diesen Sessions wie auch auf den im März folgenden das hohe Niveau von „Passing Ships“ durch – was für ein Jammer, dass nachher dieser lange Unterbruch folgte (und anschliessend Musik, die vielleicht nicht weniger schön ist, aber so ehrgeizig wie bis anhin wurde lange nichts mehr produziert (das änderte erst dreissig Jahre später mit den zwei Palmetto-Alben wieder). Patrick war natürlich ein sehr alter Bekannter von Hill, der bei ihm als Jugendlicher Klavier- und Saxophonunterricht genommen hatte. Bei der oben erwähnten Ping-Session 1957 in Chicago wirkte er ebenfalls mit.

Es gibt sechs Stücke zu hören, eines davon, „Ocho Rios“, wurde in beiden Sessions eingespielt, die erste Version ist mit über zehn Minuten Dauer das längste Stück der Session. Doch los geht es mit „Without Malice“ in schnellem Tempo und mit einem nervösen Beat von Ben Riley, der auch ein paar Takte Intro spielt, bevor die Bläser (Patrick am Altsax) das Thema unisono vorstellen. Tolliver soliert als erster und stürzt sich kopfüber ins Geschehen. Die Form besteht aus zwölf Takten sowie einem viertaktigen Anhängsel über einen Pedalpunkt. Dann scheint es einen Moment der Unsicherheit zu geben, Maupin legt los, doch das ist Hills Solo-Spot, die Bläser begleiten bald wieder – auch Maupin unbegleitet, aber ein paar Takte weiter gibt es noch einen Ton Maupins, der wie ein zu frühes Einsetzen klingt. Als sein Solo dann wirklich losgeht, kommt er schnell zur Sache, spielt wie Hill mit kleinen Motiven, Verschiebungen – und mit viel Pausen. Ein tolles Solo, das mir erneut in Erinnerung ruft, dass ich den Mann nicht zu sehr unterschätzen sollte! Riley spielt ein paar Takte Solo (weil Maupin zu früh absetzt?), den viertaktigen Tag dann unbegleitet – analog zum Intro ganz zu Beginn. Dann wird das Thema zum Abschluss noch zweimal wiederholt.

„Ocho Rios“ folgt dann, in der langen Version von der ersten Session (als „One to One“ auf der gleichnamigen Doppel-LP veröffentlicht) – Patrick und Maupin an Flöten und Tolliver mit Dämpfer stellen das exotische Thema vor, über einem cremigen Bass-Lick, das von Carter durch die Changes geschoben wird. Motian spielt nur einen Shaker. Erst beim Klaviersolo – Hill spielt im Thema erst gegen Ende kleine Einwürfe, aus denen das Solo dann erwächst – wechselt Motian ans Schlagzeug – sehr effektiv, wie das dramaturgisch gemacht ist! – und spielt einen frei-schwingenden Latin-Beat im Stile Elvin Jones‘, nur sparsamer, luftiger. Hills Solo wird von den Bläsern (in derselben Besetzung) begleitet, verzahnt sich aber aufs Schönste mit Motian, derweil Carter das Lick repetiert. Und auch das Bass-Lick dient Hill immer wieder als Sprungbrett. Am Ende gibt es ein paar „locked hands“-Phrasen, dann steigen die Saxophone ein (Alt und Tenor) und aus dem Einsatz heraus schält sich das nächste Solo von Maupin, zunächst verhalten, wie mit einem Film auf dem Ton. Trompete und Alt setzen früh mal kurz ein, doch es weiterhin Motian, der am meisten tut, während Maupin langsam in Fahrt kommt und Hill Akkorde legt, die eher gegen den Flow gesetzt sind, diesem aber paradoxerweise zusätzlich Fahrt geben. Wundervoll dann die Stelle, wo Tolliver/Patrick wieder einsetzen und Maupin darauf reagiert. Tolliver spielt dann das nächste Solo, immer noch mit dem Dämpfer, verspielt und voller schneller Läufe und Sprünge aber wieder mit gescihcktem Einsatz von Pausen, dann spielt er ein kleines Motiv aus fünf Tönen, an dem er sich festhakt und das den Rest des Solos zu bestimmen scheint. Patrick ist dann endlich auch noch als Solist zu hören, und zwar am Altsax, mit einem nicht allzu grossen, nicht übermässig satten aber sehr schönen runden Ton und Linien, die etwas quecksilbriges haben, flink, mit überraschenden Wendungen und da und dort völlig zerfliessen, sich auflösen. Carter variiert hinter ihm das Bass-Lick etwas stärker als zuvor, spielt dann nur mit Motian und fährt die Lautstärke herunter, um das schliessende Thema – wieder mit Shaker, zwei Flöte und gestopfter Trompete, und wieder ohne Piano – einzuleiten.

„Diddy Wah“ folgt – die Funk-Nummer dieser Sessions. Patrick spielt über einen trockenen Backbeat von Motian ein funky Motiv an der Altklarinette, der Bass stösst zu ihm, während Trompete und Tenorsax spielen unisono das Thema präsentieren, das wohl auch gut zu einer Lee Morgan-Session gepasst hätte (man hört bei dem Gedanken auch gleich, was Billy Higgins mit dem Beat angestellt hätte). Hills Piano-Einwürfe sind wieder gänzlich aufs Arrangement abgestimmt und sehr sparsam. Tolliver spielt das erste Solo, es folgen Maupin und Hill – alle drei funky aber klischeefrei. Carter spielt einen freien Groove, wie er wieder bestens in die Miles-Phase zwischen „Filles de Kilimanjaro“ und „In a Silent Way“ gepasst hätte. Die Saxophone setzen gegen Ende des Solos ein (Tenor und Bari) und riffen, während Motian etwas aktiver wird. Hinter Maupins Einstieg entfernt sich Carter erstmal weit vom Bass-Riff, aber bald klingt es schon wieder an, ohne dass er es spielen würde. Hill folgt dann mit einem sparsamen Solo, zunächst von Carter aktiv begleitet, dann ein paar Einwürfe der Bläser, die sich schliesslich zu einem neuen Thema verdichten – Patrick schon wieder an der Altklarinette, bereit fürs abschliessende Thema, hinter dem Hill tremoliert. Sehr tolle Funk-Nummer, besser kann man das – zumal auf diese klischeefreie Art – kaum machen!

Es folgt „Ode to Infinity“, das letzte Stück der zweiten Session mit Riley, der auch gleich ein Intro spielt – obwohl das Tempo langsam ist. Ein weiteres von Hills feinen Tongedichten. Patrick stellt das Thema am Altsax vor, Tolliver und Maupin begleiten, Carter scheint dann aus dem Tempo zu fallen, davonzueilen als Hill zum Solo ansetzt – doch dann verdoppeln auch er und Riley zwischenzeitlich das Tempo und alles fällt wieder zusammen – und bald zurück ins langsame Ausgangstempo, mit Begleitung der Bläser, bei denen wieder für grossen Farbenreichtum gesorgt ist: Tolliver spielt Flügelhorn, Patrick wechselt zwischen Flöte und Altklarinette, Maupin zwischem dem Tenorsax und der Bassklarinette. Carter ist erneut auf der ganzen Länge phantastisch und Rileys leichter Touch passt perfekt dazu.

„The Dance“ stammt wieder von der ersten Session mit Motian – und dessen Becken sorgen in der Tat für eine tänzerische Stimmung. Die Melodie springt unerwartet herum, Carter spielt phasenweise einen Orgelpunkt (und begleitet wieder überragend, auch hinter den Solisten), die Bläser mühen sich mit der Linie ab, Patrick für einmal am Barisax – ein paar Probe-Durchläufe mehr hätten gut getan, doch schlimm ist das nicht. Das erste Solo geht an Maupin, dann folgt ein Interlude, das Tolliver lanciert. Dieser schient sich mehr auf das Stück einlassen zu können als Maupin. Patrick folgt als nächster, wirkt etwas zögerlich aber spielt dann doch ein gutes Solo, angespornt von Motian. Hill schliesst den Solo-Reigen ab, und immerhin er wirkt mit dem Stück vertraut und sein Solo ist hier wohl das Highlight – und wenn man da so lauscht: wie schön wäre es, aus dieser Phase nochmal eine Trio-Album zu haben, warum auch nicht mit Carter/Motian! Das abschliessende Ensemble gelingt dann besser als das zum Auftakt – oder auch nur überzeugender, zupackender.

Mit „Satin Lady“ begann der zweite Tag im Studio, ein Call-and-Response-Thema mit den Bläsern (flh-fl-bcl) und Hill. Motian punktiert schon im Thema aktiv, Carter sorgt erneut für ein interessantes und verlässliches Fundament. Tolliver soliert als erster, mit weichem Ton, etwas wärmer als er an der Trompete klingt, aber doch zupackend und selbstsicher – Flöte und Klarinette begleiten ihn zwischendurch. Carter spielt einen Pedalpunkt, um Hill zu lancieren, der mit einem gradlinigen Solo daherkommt, weniger experimentierfreudig, rhythmisch sehr straight, aber deshalb keineswegs uninteressant. Ein kurzer Trommelwirbel lanciert die Bläser, aus denen sich Maupin am Tenor als nächster Solist herausschält – mit wundervollem Ton und Linien von grosser Klarheit. Sehr schön, wie sich auf halber Höhe Carters Bass und die Begleitung der Flöte ineinander verzahnen, während Maupin von Motian angefeuert wird. Gegen Ende gesellt sich Hill zum Riff, die Flöte soliert kurz über den Orgelpunkt, um zum Thema überzuleiten, das am Ende ausgeblendet wird – ein hervorragendes Stück zum Abschluss!

Bleibt der zweite, etwas kürzere Take von „Ocho Rios“, von der Session mit Riley. Dieser spielt von Beginn an das ganze Schlagzeug, die Performance ist härter, zupackender, wohl etwas weniger bezaubernd und konventioneller. Ob Hill mit der ersten Version damals wirklich unzufrieden war, ist wohl unklar, doch die Tatsache, dass das Stück als einziges nochmal eingespielt wurde, lässt zumindest die Möglichkeit offen. Als es sechs Jahre später ans Auswählen des Materials für „One for One“ ging, wählte er jedenfalls den ersten Take. Die Solisten sind aber aber auch hier wieder toll und es wäre ein Jammer gewesen, diesen Take nicht auch zu veröffentlichen!


Francis Wolff (Photo: Rudy Van Gelder)

Eigentlich müsste hier jetzt eine Leerstelle zu stehen kommen – denn es ist doch traurig, dass es nur noch ein weiteres Projekt zu hören gibt, und noch trauriger, dass ich es schon kenne. Es gibt keine Aufnahmen mehr von Andrew Hills Blue Note-Zeit, die ich noch nicht kenne, mir noch aufsparen könnte (wie Hank Mobleys „A Slice of the Top“ – ich habe die CD wohl unbewusst extra wieder verlegt … an dem Abend, an dem ich sie höre, muss ich wenigstens eine gute Flasche Rotwein öffnen). Mit knapp 38 Minuten Musik, aufgenommen im Van Gelder-Studio am 6. & 13. März 1970 endet diese an Aufnahmen so reiche – und wichtigste – Phase in Hills Werk. Mit dabei waren neben Maupin, Carter und Riley auch Lee Morgan und Lawrence Marshall, diesmal mit acht weiteren Sängerinnen und Sängern (vier Frauen- und vier Männerstimmen).

Das Photo oben von Francis Wolff, der ab 1967, als Alfred Lion sich zur Ruhe setzte, als Produzent von Blue Note agierte, entstand im Studio von Rudy Van Gelder und scheint auch von diesem gemacht worden zu sein (ich kannte es nicht, eine Suche im Netz brachte es gerade zum Vorschein). Da mir langsam die Wolff-Photos der beteiligten Musiker ausgehen dachte ich, er verdient es auch, für einmal im Mittelpunkt zu stehen, seine Bedeutung für Blue Note wird ja insgesamt, so scheint mir meist auf die Rolle als Session-Photograph beschränkt und das greift ja doch viel zu kurz. Es hat Hill also ab den Aufnahmen vom Oktobr 1967 produziert – und im März 1971, ein Jahr nach der letzten Session von Hill für das Label, starb er.

Wie ich oben schrieb, öffnet die zweite Chor-Session mit einem funky Groove, der ein ziemlicher Stilbruch ist nach den Aufnahmen zu „Lift Every Voice“. Der Opener auf der CD ist „Blue Spark“, ein themenloser Blues mit fettem Backbeat. Bennie Maupin soliert zum Aufakt am Tenorsaxophon über ein renitentes Bass-Lick von Carter und einen triolischen Beat von Riley. Die Stimmen steigen nach über einer Minute erst ein, mit einem Motiv aus fünf Tönen, das ein entfernter Verwandter vom „A Love Supreme“-Motiv ist. Aus den Stimmen schält sich dann Lee Morgan heraus, der zweite Solist. Er ist ganz sich selbst, verspielt und dennoch ernsthaft, einfach und doch raffiniert – und Riley wie auch der Chor inspirieren ihn zu einem tollen Solo. Hill folgt, verzahnt sich wieder eng mit dem Groove und spielt ziemlich ein ziemlich funky Solo mit aktiver Gesangsbegleitung. Am Ende gibt es im Chor einen (leisen) falschen Einsatz – die Musik war wohl auch wenn sie in zwei Sessions eingespielt wurde, sehr anspruchsvoll, aber insgesamt ist das schon mal ein toller Auftakt.

„A Tender Tale“ kommt mit Worten, der Chor öffnet mit einem Frage-und-Antwort-Schema von Männer- und Frauenstimmen, punktiert von Riley und Carter einem Orgelpunkt von Carter, Bläser und Klavier stossen immer wieder dazu, Morgan übernimmt dann erneut das erste Solo, mit strahlendem Ton und bestens auf den lyrischen Charakter des Stückes abgestimmt. Carter läuft unter ihm wieder zu Hochform auf und Hill prägt mit seinen Akkorden dei Stimmung. Maupin folgt mit einem hervorragenden Solo mit grosser Beteiligung des Chores und einem tollen Beat von Riley. Dann schliesst Hill wieder den Solo-Reigen ab, fängt ganz ruhig an – Bass-Ostinato, spärlicher Beat, ein einfaches kleines Motiv – und baut von da wieder ein hervorragendes Solo auf, von Carter aufmerksam begleitet. Nach der Wiederholung des Themas wird das Stück ausgeblendet.

„Drew’s Tune“ öffnet mit dem Chor a-cappella, dann steigt das Ensemble ein, das Tempo mittelschnell, Carter spielt Walking Bass, Riley trommelt einen swingenden Beat und die Bläser (Maupin an der Flöte) spielen gemeinsam mit dem Chor die kantige Linie des Themas. Hill folgt mit dem ersten Solo, das direkt auf dem thematischen Material zu basieren scheint, die Einsätze der Bläser (und schliesslich auch des Chores) hinter ihm wirken manchmal etwas unsicher, aber er lässt sich nicht aus der Ruhe bringen und spielt ein tolles Solo. Morgan folgt, steigt ruhig ein und baut auf, was Riley umgehend zur Kenntnis nimmt. Dann Maupin, wieder mit phantastischem Ton und auch er mit stoischer Ruhe, während Riley immer mehr antreibt. Chor-Einsätze erwartet man hier vergeblich, stattdessen folgt ein Bass-Solo, in dem Carter aber mehr oder weniger weiter „walkt“. Dann folgt noch einmal das Thema mit Flöte und Trompete – und wie schon zu Beginn ganz ohne Hill.

Riley öffnet „Mother Mercy“ mit ein paar Takten Solo, dann steigen Maupin (Flöte) und Morgan ein, präsentieren unisono eine Linie, die an Dolphys weite Sprünge erinnern. Der Chor übernimmt den zweiten Teil, von der Rhythmusgruppe begleitet, und Hill stürzt sich kaum ist das Thema durch wieder kopfüber ins Solo. Offensichtlich war er in bester Spiellaune an diesem Tag – ob er glaubte, gewisse Defizite der Arrangements kompensieren zu müssen? Denn ganz so variantenreich und vielfältig wie die erste Chor-Session und auch wie die anderen Sessions der Jahre 1969 und 1970 ist das Material hier nicht geraten. Nach einem Chor-Intermezzo spielt Maupin das nächste Solo, von Carter/Riley wieder hervorragend begleitet, während Hill einzelne Akkorde streut. Maupin steigert sich in ein intensives Solo herein, dann übernimmt Morgan lässt sich Zeit, spielt mit seinem Ton, während Riley den Freiraum gleich wieder nutzt und freche, knackige Fills spielt. Auch hier kein Chor während der Soli, doch nach Morgans Improvisation folgt wieder das längere Chor-Intermezzo, aus dem der Wechsel zurück ins kantige Thema folgt.

„Natural Spirit“ ist viel fliessender, Chor und Bläser setzten gemeinsam ein, die verschieden Stimmen und die Bläser sind wieder raffiniert arrangiert, während Riley einen simplen binären Beat trommelt und Carter einen Boogaloo-Groove mehr andeutet als ausspielt. Maupin steigt mit einer ziemlich genialen Idee ins erste Solo ein – daraus könnte man gleich ein Stück schreiben! Er ist perfekt auf Hills Akkorde abgestimmt. Und ein Zufall ist es wohl nicht, dass bei diesem inspirierten Stück der Chor wieder mal begleitend in den Soli zu hören ist – mit wortlosem Gesang übrigens. Der Groove und die einfachen Changes animieren Lee Morgan zu einem tollen Solo, auch er wird vom Chor über weite Strecken begleitet, scheint aber vielmehr mit Riley in den Dialog zu treten. Er beweist hier wieder einmal sein phantastsiches Timing und sein Gespür für tolle Phrasen – das ist sowas von abgebrüht, zugleich kochend heiss und cool dass einem fast der Atem eingefriert. Es folgt Hill mit einem weiteren tollen Solo, zur Übergabe steigt auch der Chor wieder ein.

Den Abschluss macht „Such It Is“ und das beginnt wieder vielversprechend, mit einer Phrase von Tenor und Trompete, die ein wenig an den „Jitterbug Waltz“ erinnert, Rileys spitze Snare und der Chor sind zur Stelle, während Carter für tiefe Töne sorgt und Lee Morgan nahtlos in ein weiteres phantastisches Solo hineingleitet, hinter dem sich der Beat verfestigt. Morgan singt und tänzelt, lauert und überrascht wie eine Raubkatze. Dann folgt Hill mit einem weiteren Glanzlicht, wieder vom Chor lanciert. Das letzte Solo stammt dann von Maupin, der sich auf die Einwürfe des Chores bezieht und sich von ihnen inspirieren lässt. So endet die Session mit zwei herausragenden Stücken, die durchaus an die als „Lift Every Voice“ veröffentlichten Aufnahmen anknüpfen.

Diese zwei Stück waren die ersten beiden der letzten Session, „Mother Mercy“ dann das dritte und letzte. Für die ersten zwei war die Konzentration offensichtlich hoch und passte nahezu alles. Etwas schade, dass nicht die ganzen Sessions vom März 1970 auf diesem Niveau sind, zumal Morgan, Maupin und Hill allesamt gute Soli beitragen und die Rhythmusgruppe erstklassig agiert – obgleich das Vokabular von Riley sicherlich viel limitierter ist als jenes von Freddie Waits, Paul Motian und auch Lenny White. Aber sein tightes, sehr hippes Spiel passt eben perfekt in den Mix und mit Carter harmoniert er so gut wie die anderen Drummer auf den Sessions davor.

Damit endet die erste (bzw. die zweite, wenn man die frühen Jahre berücksichtigt, was man ja durchaus tun sollte, aber auf Platte ist es halt doch die erste) Phase von Hills Werk. Den Plan, hier fortzufahren, habe ich durchaus, aber da mir die – vielen – Alben, die ab 1974 enstanden, allesamt sehr viel weniger vertraut sind, wird das etwas dauern.

Die Beschäftigung mit den Aufnahmen der Jahre 1967-70 war jedenfalls enorm bereichernd. Im einzelnen sind die wenigsten so gut wie das beste der Jahre davor, aber Alben wie „Dance with Death“, „Passing Ships“ oder „Lift Every Voice“ oder auch die Sextett-Sessions von 1970 im Mosaic Select vermögen durchaus, auf ähnlichem Niveau anzusetzen und Hills Werk fortzuführen. Ausfälle höre ich ebenfalls keine, kann aber Hills Aussage, dass er nicht die geeigneten Leute hatte, nachvollziehen. Da möchte ich aber, wie ich es schon mal tat, auch unmittelbar anfügen: die gab es wohl nicht. Woody Shaw, Ron Carter, Freddie Waits waren es, Charles Tolliver und Joe Farrell auch, Bennie Maupin ebenfalls – aber die meisten von ihnen waren nicht oft genug dabei, die Aufnahmen wirken weniger konzis, weniger gut austariert als jene der Jahre davor, wo man bei Hill, Richard Davis, Roy Haynes, Bobby Hutcherson oder Joe Chambers wirklich das Gefühlt bekommt, die würden praktisch gemeinsam atmen, wenn sie Hills Musik spielen. Diesen Zauber sucht man nach 1965 meist vergeblich, es gibt ihn eher im kleinen – wenn Robin Kenyatta und Woody Shaw ihre Stimmen verschmelzen lassen, wenn Charles Tolliver und Joe Farrell sich gegenseitig zu Höhenflügen inspirieren, wenn Julian Priester Hills Stimmungen aufs Gramm genau übernehmen und solitisch umsetzen kann … oder auch, wenn Howard Johnson an der Bassklarinette Funk spielt. Es gibt zahlreiche Glanzpunkte – auch in den schwächeren Sessions von 1967/68 – und ich hoffe, es ist mir einigermassen gelungen, diese herauszuarbeiten. Im Rückblich wird mir auch bewusst, dass meine Beschreibungen insgesamt wohl etwas enthusiastisch geraten sind, aber auch das schreibe man der Musik Hills zu, die eben auch an einem weniger guten Tag immer noch voller Überraschungen steckt. Musikalischer Reichtum wie jener, über den Andeew Hill verfügte, ist eben letzten Endes nicht vom Wetter – oder den verfügbaren Sidemen und den Umständen bei der Probearbeit oder im Studio – abhängig.

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