Re: Northern Soul

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sonic-juice
Moderator

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otis
Mittlerweile hat sich die Szene aber mehr und mehr derart verselbständigt, dass alles, was tanzbar und selten ist, unter diesem Begriff subsumiert und entsprechend gejagt wird. (Nichts dagegen. Wenn Singles teuer sind, freue ich mich, auch wenn ich sie nicht besitze. )
Was mich nur skeptisch macht, ist die Beobachtung, dass da und dort (einen umfassenden Überblick habe ich absolut nicht) Singles abgefeiert werden, die es aus musikalischen Gründen absolut nicht verdient haben. Nur deshalb stehe ich der Szene etwas distanziert gegenüber.

Es ist schwer, im Bereich des Northern Soul noch von einer homogenen Szene zu sprechen, zumal es die schon zu Hochzeiten eigentlich nicht gab (man denke etwa an die stilstischen Grabenkämpfe zwischen Wigan Casino und Blackpool Mecca). Das was heute noch authentisch unter Northern Soul firmiert, hat nach meiner bisherigen (nicht sehr tiefgehenden) Wahrnehmung eine stark nostalgische Komponente (hauptsächlich Oldies, die zu Oldies tanzen) und findet weiterhin vornehmlich im UK statt. Ansonsten gibt es europaweit (und darüber hinaus) eine Vielzahl von Clubs/Allnightern/Weekendern, die mit Northern Soul im engeren Sinne nichts zu tun haben, mit der ursprünglichen working class-Verankerung schon gar nicht, sich aber dessen Kanon und Codes bewusst sind. Diese diversen sich auf Rhythm ’n‘ Blues/Bubblegum/Mod/Modern/Funk/RnB/Dancefloor Jazz/Acid Jazz/Ska/Reggae/… kaprizierenden Grüppchen kann man nicht über einen Kamm scheren, man kriegt sie allenfalls noch mit dem Terminus „Rare Soul“ zu fassen.

Den Versuch, mit Singles zu protzen, die zwar selten, aber vielleicht nicht unbedingt besonders sind, gab es immer schon, aber wenn die Leute dann an mehreren Abenden nacheinander bei besagtem Fundstück die Tanzfläche fluchtartig verlassen haben, hat man die Single eben wieder verschämt eingepackt. Und, klar, mir erschließt sich auch die Brillanz diverser Singles, die auf den „For Millionaires Only“-Kompilationen zusammengetragen werden, nicht so recht. Wenn man sich allerdings ernsthaft für Rare Soul interessiert, dann muss man die durchaus plausible, auf rarem Angebot und intensiver Nachfrage basierende Preisbildung in Kauf nehmen, ein Vergleich mit anderen Sparten hilft da nicht weiter.

Durch die Beschränkung auf rare Original-7″ ist die DJ-Szene, in positiver wie negativer Konnotation, elitär, auf Distinktion ausgerichtet, im Wettbewerb stehend und zugleich oft mit einem verblüffenden Tunnelblick ausgestattet. So lassen sich sicher mehrere Gründe finden, eine gewisse kritische Distanz zur Northern Soul-Dogmatik zu pflegen. Zugleich habe ich einige Freunde/Bekannte, die sich im Rare Soul/Northern-Umfeld bewegen (und auch professionell auflegen). Diese Leute leben eine kompromisslose, existenzielle Leidenschaft für Soul, die mich beeindruckt, und haben ein lexikalisches Wissen über das Genre, von dem ich immens profitiere. Insofern bin ich sehr respektvoll gegenüber „der Szene“ eingestellt.

Noch kurz zur Frage, warum „Upper Hand“ trotz gewisser Southern-Prägung musikalisch ein prototypischer Northern-Uptempo-Dancer ist und keineswegs als Stilbruch zu denken geben muss: Schon aufgrund der Vielschichtigkeit der NS-Szene gibt es keine verbindliche Doktrin, was nun als Northern zu gelten hat und was nicht, auch keine Aufteilung nach der Geographie der Aufnahmeorte. Insofern gibt die Tatsache, dass „Upper Hand“ ein Klassiker geworden ist, auch keinen Grund zur Argwohn gegenüber der vermeintlichen Stilfestigkeit der Szene. Zumal der Track ja gut ist und auf dem Dancefloor funktioniert. Im Übrigen passt „Upper Hand“ aufgrund seiner eingängigen Popigkeit, des pulsierenden, tanzbaren Uptempo-Charakters und des verhältnismäßig elaborierten Arrangements bestens in den NS-Mainstream. Gospelgeschult oder -informiert sind ja (wenig überraschend) ohnehin viele Stimmen von NS-Helden, Jackie Wilson, Gloria Jones, Linda Jones, Spencer Wiggins, James Carr, to name a few.
Dass die erdige, countrynahe Southern Soul-Variante, insbesondere aber der typische Stax-Groove von Wilson Pickett oder Sam & Dave nicht definierend für Northern Soul ist und die Vorlieben eher bei Motown/Detroit oder Chicago zu verorten sind, will ich damit nicht in Frage stellen.

jjhumWas ist eigentlich mit dieser Pressung?
Ist das ein Reissue oder sogar eine andere/neuere Version?
http://www.popsike.com/candi-staton-now-youve-got-the-upper-hand/190094901570.html

otisDas ist natürlich die Single. Preis: 24 Pfund, 2007.

Das ist natürlich ein Counterfeit, erkennbar am großen dead wax-Bereich, hier das [U]Original zum Vergleich.

otisMan sollte bei Northern-Singles, was die Preise anbelangt, sehr vorsichtig sein. Wenn zwei,drei DJs den Preis in die Höhe treiben, dann scheinen nach oben oftmals keine Grenzen. Wenn nicht, dann kann man sie auch schon einmal günstig bekommen. Anders ist das bei Klassikern, die kaum einmal als Schnäppchen zu bekommen sind.

Man sollte auch bei vermeintlichen Schnäppchen sehr vorsichtig sein. Wie heißt es im Reiseführer oft so schön in Bezug auf lokale Antiquitätenangebote und ähnliches: „If it sounds too good to be true it usually is.“

Bei „Upper Hand“ handelt es sich im Übrigen um genau einen solchen Szene-Klassiker, wie Du ihn beschreibst (#282 in Kev Roberts Top 500), auf Ebay oder beim professionellen Händler wird man da kaum wesentlich unterhalb des derzeitigen Preisstandards fündig werden.

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