Re: Country – eine reaktionäre Musik?

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tolomoquinkolom

Registriert seit: 07.08.2008

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ricochet… wie man aus dem Nachbarthread „Country Music der 90er Jahre“ ersehen kann, war Country in den 90er-Jahren trotz modernster Produktionsweise und immenser Radioreichweiten noch näher an der echten amerikanischen Musiktradition (Honky Tonk, Bluegrass, Rockabilly). Da moderne Rockmusik im Radio nicht mehr richtig zieht (es gibt nur eine handvoll Kleinformate) und Top-40-Musik jenseits der 25 mehrheitlich abgelehnt wird, arbeitet Nashville zunehmend mit 80er-Rock-Klischees. Immerhin hat eine ganze Generation ihr Heimatformat verloren.

Wirst du deinen dortigen Feldzug in Sachen New Country in diesem Thread fortführen? Die von dir so fleißig verlinkten Musikkostproben der Country-Fließbandproduktion halte ich allerdings nicht gerade für gute Werbung im Sinne von Country music im Allgemeinen und New Country im Besonderen. Dieses ausgewählt seichte Gedudel ist auch kaum in Verbindung mit einem Teil amerikanischer Musiktradition zu bringen, sondern eher mit perfektioniertem Mainstream-Marketing der Musikindustrie.

Im Grunde ist Country etwas ähnliches passiert, wie der Popmusik: die Vereinnahmung durch Großkonzerne, denen es nicht um Musik geht, sondern um Massentauglichkeit, Charts und Verkaufskurven. Die Methoden der Vermarktung von Popmusik unterscheiden sich dabei auch nur marginal von denen, die sich in anderem Segment der Country-Maskerade bedient, weil es gilt eine andere Zielgruppe zu bedienen bzw. daran zu verdienen. Clevere Clowns mit Stetson und in Cowboystiefeln bzw. trällernde Miss-Schönheitsköniginnen ergeben nicht automatisch das, was man eigentlich Country music nennt bzw. nannte. Man verwechselt in Deutschland ja auch gerne und konsequent Volksmusik mit volkstümlicher Musik.

Ich sehe auch nicht, wo – wie von dir behauptet – ‘eine ganze Generation ihr Heimatformat’ verloren haben soll. Abgesehen davon, dass mir diese Sichtweise wie tümelnder Weißbrot-Nationalismus vorkommt, vermisse ich bei der von dir ausgemachten ‘Generation’ das schwarze Amerika, das der Hispanics, das der Latinos und all der anderen Emigranten. Auch scheinen sich Musiktraditionen wie Blues, Folk, R&B und Soul in deiner Betrachtung ganz in Luft aufgelöst zu haben – und mit ihnen ihre Hörer, die ja eigentlich ebenso Generationsangehörige sind (oder waren).

Die im Thread erwähnten Umfragemethoden und -ergebnisse von Arbitron würde ich mit Vorsicht genießen. Die sind selbst in den USA nicht unumstritten. Zum einen ‘überwacht’ dieses Marktforschungsunternehmen (in diesem Fall) speziell das Verhalten von Radiohörern und nicht auch jenes von Internetnutzern, iPodern oder gar Musikkonsumenten und Konzertbesuchern, zum anderen sind manche der verschickten und ausgefüllt zurückzusendenden ‘Diaries’ im Zusammenhang mit den nachfolgenden Auswertungen und Aussagen doch recht kurios – oder waren dies.

So wurden zum Beispiel Hörer einmal nur der kommerziellen Frühstückradioshows befragt, welche Art Musik sie denn zum Tagesstart am liebsten hören – quasi als Hintergrundrauschen täglicher morgendlicher Verrichtungen. Dass hier häufig Country music genannt wurde, spricht dann allerdings nicht gerade für diese Musik wenn man bedenkt was der durchschnittliche amerikanische Hörer hört wenn er sich nebenbei duscht, sich wäscht, Zähne putzt, gurgelt, sich rasiert, sich föhnt, und danach (mit oder ohne Familie und Haustieren) frühstückt, während er Radio hört, Zeitung liest und diverse Kanäle mit TV-News staunend verfolgt – meist alles gleichzeitig. Da ist dann das ‘Geräusch’ Country music nicht viel mehr, als das Brummen des Kühlschranks oder das säuseln der Klimaanlage. Nicht einmal Country music verdient eine solche Behandlung.

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