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Herr Rossi@Hal Groves: Lena als „Erweckungserlebnis“ für aktuelle Musik ist sicher ungewöhnlich, aber warum nicht. Gibt es aber sonst aktuelle Musik, dass Dich begeistert? Informierst Du Dich gezielt über Neuerscheinungen (und wie)?
Naja, ein „Erweckungserlebnis“ (;-)) für aktuelle Musik ist Lena für mich nicht gewesen; das war eher Adam Green im Jahr 2005, auf den Freunde mich aufmerksam gemacht haben. Die sind auch meistens meine „Informanten“ für spannende Neuerscheinungen, weil sie mich und meinen zickig-eigenwilligen Musikgeschmack kennen. Das ist eine ganz schön bequeme Haltung, ich weiß, aber ich habe festgestellt, dass ich in Kritiken kaum jemals wiederfinde, was ich für Musik bzw. beim Hören von Musik empfinde. Ich habe in einem alten Thread, in dem es um Nostalgie als Rechtfertigung für einen von manchen als schlecht empfundenen Musikgebrauch ging, eine schöne Unterscheidung zwischen „Kopf-Hörern“ und „Herz-Hörern“ gefunden; ich bin ein absoluter „Herz-Hörer“ und kann daher die Sprache von Kritikern für mich nicht dechiffrieren.
Wirklich begeistert bin ich sonst von keinem neueren Popact (es sei denn, man kann Belle and Sebastian dazuzählen; auf die bin ich ebenfalls 2005 gestoßen). Das hat sicher ganz wesentlich damit zu tun, dass für mich der Pop rein musikalisch (!) im Grunde auserzählt ist; nach über 50 Jahren sind m. E. alle Stile und Genres durchdekliniert, was zu der kuriosen Situation führt, dass beispielsweise unter dem Label „Stoner-Rock“ Musik daherkommt, die praktisch genauso vor 20 Jahren als „Grunge“ bezeichnet wurde. Ich will gar nicht dagegen polemisieren, meinetwegen kann man das gerne machen; aber man kommt halt nicht an der Tatsache vorbei, dass heutige Acts sich den Vergleich mit den „Großen Alten“ gefallen lassen müssen. Und wenn in früheren Jahrzehnten eine bestimmte Art, Pop bzw. Rock (oder was auch immer) zu interpretieren, einen gültigen Standard gesetzt hat, dann werden heutige Epigonen sich die Frage gefallen lassen müssen, warum sie das noch einmal machen. Gov’t Mule z.B. ist ne nette Band, aber die Grateful Dead haben das alles schon mal gespielt, und damals war das wenigstens noch neu.
Die heutigen Popacts können freilich gar nichts dafür, dass das so ist, aber sie müssen damit umgehen und sich dazu verhalten. Um mal ein – zugegebenermaßen extremes – Beispiel aus einem ganz anderen Metier anzuführen: Theodor W. Adorno, der ja nicht nur Philosoph und Soziologe, sondern in jüngeren Jahren auch Komponist war, schuf Werke, denen bescheinigt wurde, dass sie genauso gut waren wie die von Alban Berg. Das war eigentlich ein gewaltiges Kompliment, nur hatte es einen entscheidenden Haken: Alban Berg hatte diesen Maßstab bereits gesetzt, und Adorno erfüllte ihn lediglich, ohne etwas Eigenes hinzufügen zu können. Das wusste er, und darum hörte er mit dem Komponieren auf.
Das soll bitte nicht als „Aufforderung“ oder so missverstanden werden, dass alle Bands, die keine absoluten Genies sind und das Rad nicht neu erfinden können, mit der Musik aufhören sollen. Pop und Rock funktionieren auch als Gebrauchs- und Unterhaltungsmusik weiterhin sehr gut, gerade auch live. Aber wenn ich vor der Frage stehe, ob ich das wenige Geld, das mir zur Verfügung steht, für neue Acts ausgeben will, bin ich streng und schaue, was ich schon habe und was diejenigen, die etwas Neues anzubieten haben, dem hinzufügen könnten.
Adam Green und Lena haben in dieser Hinsicht etwas gemein: Sie beide verfügen über viel Charme (die eine noch mehr als der andere ;-)), aber auch über einzigartige Stimmen, die ich – vor allem in Kombination mit der Musik, die sie darbieten – so noch nicht gehört habe. Dazu sind ihre Alben stilistisch außergewöhnlich abwechslungsreich, was den Umstand, dass auch sie den Pop nicht neu erfunden haben, vollkommen wettmacht. Das macht ihre Platten für mich zu einem Muss.
Herr RossiDas kann ich verstehen. Aber Du kannst doch auch die meisten Neuerscheinungen auf Vinyl kaufen, auch Lena.
Na klar, deshalb habe ich Stardust auf Vinyl ja auch schon vorbestellt. :lol:
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"Edle, freie Unbefangenheit bei Allem. ... Alle übrigen Vollkommenheiten sind der Schmuck unsrer Natur; sie aber ist der der Vollkommenheiten selbst. ... Sie ist mehr als Leichtigkeit, sie geht bis zur Kühnheit: sie setzt Ungezwungenheit voraus und fügt Vollkommenheit hinzu. Ohne sie ist alle Schönheit todt, alle Grazie ungeschickt: sie ist überschwenglich, geht über Tapferkeit, über Klugheit, über Vorsicht, ja über Majestät." (Baltasar Gracián) =>mehr<=