Re: Lieder ohne Worte – Delias Kreis der Davidsbündler

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claraschumann

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19. Nikolaj Rimsky-Korsakow – Sheherazade Op. 35

Die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts, die Zeit der Spätromantik also, war nicht nur durchzogen vom hier oft erwähnten Musikerstreit zwischen Konservativen und Neudeutschen, nein, im Osten tat sich gar Großes.

Im Zuge des aufkommenden europäischen Nationalismus war unter Künstlern und Komponisten der eigene kulturelle Hintergrund immens wichtig geworden.
Das von Natur aus an Musikern reiche Böhmen brachte Antonin Dvorak und Bedrich Smetana in die erste Riege der zeitgenössischen Komponisten, mit den exemplarischen Werken der mit böhmischer Melodik und Rhythmik durchsetzten „Aus der neuen Welt“-Sinfonie und dem Zyklus „Mein Vaterland“ zu dem die weltberühmte „Moldau“ gehört, um die Eigenständigkeit der Herkunft zu untermauern.

Russland brachte hier vorallem sein „Mächtiges Häuflein“ ein, die Gruppe der Fünf, das eine explizit russisch-nationale Musik erzielen wollte, die explizit russische Themen bearbeitete.
Namentlich gehörten dem Haufen an, Modest Mussorgsky, bekannt durch seine Bilder einer Ausstellung, César Cui, Alexander Borodin, Mili Balakirew und zuletzt natürlich Nikolaj Rimsky-Korsakow.
Die Gruppe schloß sich 1862 in Sankt Petersburg zusammen mit dem Ziel sich von den anderen zeitgleich schöpferisch tätigen, russischen Komponisten abzugrenzen, namentlich Peter Tschaikowsky und Sergej Rachmaninov (der sogar bis zu Eric Carmen durchgedrungen war), die sich nach dem Geschmack des Haufens zu sehr an westlichen Vorbildern orientierten.

Der hier vorgestellte Vetreter dieser Gruppe der Fünf, der 1844 geborene Rimsky-Korsakow, enstammt einer angesehenen Militärsfamilie, in der alle männlichen Mitglieder traditionell besonders in der russischen Marine tätig waren. Da seine Eltern aber früh auf seine musikalische Begabung aufmerksam geworden waren, wurde er allerdings auch auf diesem Gebiet, seiner eigentlichen Bestimmung, gefördert.
Die 15 Opern, die er unter anderem geschaffen hatte, zeichneten sich nicht durch den üblichen Einsatz eines Spannungsbogens oder der Dramatik aus, sondern durch die Inszenierung eines musikalischen Märchens.
In dem Bereich in dem Korsakows Arbeitsweise als einzigartig gilt verwendete er zwei musikalische Sprachen zur Unterteilung seiner Charaktere in menschliche und magische Gestalten.
Erstere würde er diatonisch und lyrisch untermalen und natürlich russische Volksweisen einbinden; zweitere chromatisch, oftmals auch durch eine eigens erfundenen Tonleiter.
Der Charakter des Komponisten gibt über den Grund dieser dualistischen Handhabung Aufschluss. Rimsky-Korsakow wurde als außergewöhnlich kühl und als religiöser Skeptiker beschrieben, gleichzeitig gestaltete er gerne religiöse Zeremonien und war fähig, sich dem Naturmystizismus hinzugeben.

Sein Opus 35 ist nun die sinfonische Dichtung Sheherazade, die 1888 geschaffen worden war.
Das Orchesterwerk, das auf der Erzählung Tausendundeine Nacht beruht, zeichnet sich durch zwei typische Merkmale der russischen Musik und speziell der Kompositionen von Rimski-Korsakow aus: eine farbenfrohe Instrumentation und eine im russischen Reich weit verbreitete Begeisterung für alles orientalische.

Sheherazade handelt von der gleichnamigen Ehefrau des Sultans, die diesem innerhalb der Zeit von 1000 und 1 Nacht Geschichten erzählt und damit ihr Leben rettet.
Das Werk teilt sich auf in vier Sätze:

—  Das Meer und Sindbads Schiff – Largo e maestoso
—  Die Geschichte vom Prinzen Kalender – Lento (Adagio)
—  Der junge Prinz und die junge Prinzessin – Andantino quasi allegretto
—  Das Fest in Bagdad, Das Meer, Das Schiff zerschellt, Epilog

Das Hauptthema, am prominentesten natürlich im berühmten dritten Satz vertreten, stellt Sheherazade als Erzählerin dar und bindet die vier verschiedenen Sätze aneinander, obwohl Rimsky-Korsakow die einzelnen Episoden der Erzählungen lose und ohne direkte Verbindung zueinander ausgewählt hatte.
„Sie sind in allen vier Sätzen der Suite verstreut: das Meer und Sindbads Schiff, die phantastische Erzählung des Prinzen Kalender, Prinz und Prinzessin, Festtag in Bagdad und das Schiff, das am Felsen mit dem ehernen Reiter zerschellt. Als verbindender Faden dienten mir die kurzen Einleitungen zum ersten, zweiten und vierten Satz und das Intermezzo im dritten, die für Violine Solo geschrieben sind und gewissermaßen die Scheherazade selbst darstellen, wie sie dem grausamen Sultan ihre wundervollen Märchen erzählt.“

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Die Fabel vom Sieg der Menschlichkeit über die Gewalt findet sich als eine die Geschichten verknüpfende Handlung in der weltberühmten Sammlung indischer, persischer und arabischer Erzählungen aus Tausendundeiner Nacht, die in Europa erstmals zu Beginn des 18. Jahrhunderts in einer französischen Übersetzung bekannt wurden. Während viele Künstler im Westen das exotische Ambiente des Ostens vor allem deshalb angeregt haben mag, weil es ein aufregendes, Ablenkung und Befriedigung verschaffendes Element in den tristen Alltag des technisierten und industrialisierten städtischen Lebens brachte, faszinierte Rimski-Korsakow die Rahmenhandlung: das Schicksal der Scheherazade selbst, die gefangen in einer von Vergeltung und Gewalt bestimmten Welt einfühlsam und geschickt um ihr Leben kämpft. Ihr Sultan Schahriar ist verbittert über die Treulosigkeit seiner ersten Gattin und verdammt alle weiblichen Wesen als unzuverlässig und falsch. Er nimmt Rache, indem er jede weitere Frau, die ihm zugeführt wird, nach dem Beischlaf in der ersten Nacht umbringen läßt. Als Scheherazade an die Reihe kommt, vermag sie als Märchenerzählerin stets die Neugier des Sultans auf neue Geschichten zu wecken. Dieser schiebt ihre Hinrichtung immer weiter hinaus, und nachdem Scheherazade dies über tausendundeine Nacht hindurch gelungen ist, hat sich die destruktive Einstellung des Sultans in Zuneigung, ja Liebe verwandelt. Schahriar macht Scheherazade zu seiner Sultanin.

Rimski-Korsakows humanistische Grundhaltung und die Utopie, die seinen Werkkonzepten zugrunde lag, wurden in der Realität indes oft enttäuscht, weil das rücksichtslose Regime der russischen Herrscher sich nicht so leicht besänftigen ließ. „Wieviel Blut ist schon geflossen!“ klagte Rimski-Korsakow noch 1906 in einem Brief an seinen Schüler und Freund Maximilian Steinberg. Auch wenn er sich in seinen späten Jahren als „großen Skeptiker“ charakterisierte und „einen großen gemeinsamen Plan, der sich auf alle Kräfte stützt“ vermißte, hinterließ er neben seinen Opern mit der Orchestersuite Scheherazade ein Dokument der Hoffnung auf den Triumph von Phantasie und Menschlichkeit über sinnlose Greueltaten.
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Quelle, unterer Absatz

Auf das dieses großartige Werk hier mal bei dem ein oder anderen (Rossi? ;-) ) hervorgeholt wird, damit dieser tatsächlich oft vergessene Komponist ebenso nach oben kommt und vielleicht endlich eine Stimme im parallel laufenden Lieblingskomponisten-Thread erhält.

Mehr dazu dann mal wieder diesen Samstag, auf stone.fm.

Teil 1
Teil 2
Teil 3
Teil 4
Teil 5

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