Re: Lieder ohne Worte – Delias Kreis der Davidsbündler

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claraschumann

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18. Johannes Brahms – Sinfonie Nr. 1 in c-Moll, op. 68

„You have no idea how it feels to hear a genius‘ footsteps behind you, part 1“

Gut Ding will in der Welt der Sinfonik Weile haben, vergleiche die „Schottische“ und die „Neunte“, und so reiht sich die erste Sinfonie von Johannes Brahms mit einer nach verschiedenen Quellen geschätzten Enstehungszeit von 12-14 Jahren verdienstvoll ein in den Pantheon der großen Orchesterwerke.

Erste Skizzen werden um die Zeit des Jahres 1862 datiert, zur Uraufführung kam es am 4. November 1876 in Karlsruhe.
Was war in der Zwischenzeit passiert?
Ein Erbe Beethovens wurde gesucht, Robert Schumann fand ihn im jungen Johannes Brahms, eine hohe Erwartungshaltung, die, wie ich schon oft geschrieben habe, den anfangs 20-jährigen in tiefe Selbstzweife stürzte, die zur Vernichtung einiger, vieler Frühwerke führte.
Die parallel laufend Grundsatzdiskussion über zeitgemäße musikalische Formen, in deren Verlauf die Sinfonik von seitens der Neudeutschen gleich als ganz tot erklärt worden war, tat ihr übriges.

In Brahms‘ Freundes- und Kollegenkreis, namentlich Clara Schumann, Joseph Joachim und sein Verleger Fritz Simrock (der später von Joachim fälschlicherweise des Seitensprungs mit dessen Frau bezichtigt werden würde, siehe Doppelkonzert), herrschte dabei rege Anteilnahme und Interesse am Verlauf der Brahms’schen Arbeit an einem Sinfoniewerk.
Über regelmäßige von Brahms zugesandte Skizzen tauschten sich besonders Clara und Joseph aus, zeigten offen Bewunderung, aber auch manchmal „Befremdung“ über die typische Grobheit und Härte einiger musikalischer Passagen. Brahms selbst waren jegliche Konversationen in Bezug auf etwaige sinfonische Arbeiten unangenehm bis zuwider und er vermied sie wo er konnte. Auf eine direkte Anfrage Joachims, was mit der Sinfonie wäre, an der er arbeitete, antwortete Brahms lapidar, sie sei eben noch nicht fertig. Dies war im Jahre 1863.
Dennoch ist klar davon auszugehen, dass Brahms die Idee und den Willen zu einem klaren Sinfonischen Werk „nach alter Tradition“ konstant mit sich herumtrug und sie auch nicht loslies.

Als entscheidender Durchbruch gilt heute ein Urlaub auf Rügen im Jahre 1876, als Johannes Brahms bereits 43 Jahre alt war. Im September lies er Clara zwei fertige Sätze zukommen, vermutlich den ersten und den letzten. Die beiden langsamen Zwischensätze wurden am 10. Oktober dazugesetzt und die gesamte Sinfonie wurde fertig präsentiert.
Hatte die Arbeit nun über ein Jahrzehnt verschlungen, ging es ab diesem Punkt Schlag auf Schlag. Der Tag der Uraufführung war bereits festgesetzt als es noch darum ging, die Partitur zu redigieren, drucken und vom Orchester einstudieren zu lassen. Brahms zeigte dabei eine ehrgeizige Verbissenheit, die hier keine Einwände mehr zuliesen. Er selbst übernahm noch einmal letzte Korrekturen, nahm Kürzungen vor, die er dann doch wieder rückgängig machte, er duldete es nicht, sein Werk aus seiner Kontrolle zu geben.

Schließlich aber kam es doch wie geplant zur Uraufführung am 4. November 1876 unter dem Taktstock des Kapellmeisters Otto Dessoff. Drei Tage später übernahm Brahms selbst eine zweite Aufführung in Mannheim.

*

Als Vertreter der „Absoluten Musik“ arbeitete Johannes Brahms seine erste Sinfonie (wie auch alle folgenden) streng viersätzig aus.
Überliefert ist, dass die direkten, zeitgenössischen Reaktionen durchaus positiv ausfielen, der Ansatzpunkt für kritische Auseinandersetzung und Erörterungen bezüglich dieses Orchesterwerkes liegen dabei natürlich im vierten Satz begraben.
„Jeder Esel merkt es,“ würde Brahms zu Protokoll geben.
Heutzutage einigt man sich auf die Beschreibung: Brahms komponiert mit Beethoven, nicht gegen ihn. Brahms hätte seine Absicht mit Sicherheit verschleiern können, wenn ihm daran gelegen gewesen wäre, ein Plagiat zu vertuschen. Allein die Tatsache, dass er dies nicht getan hat, so dass die Nähe zu Beethoven wirklich „jeder Esel merkt“, spricht für den respektvollen, huldigenden Umgang mit demjenigen, dem er die Stirn bieten muss.

Die Sinfonie besitzt insgesamt einen tief ernsthaften Charakter.
Es gibt keinen Freudentaumel, kein „Alle Menschen werden Brüder“ etc… Alles ist in Bezug auf den direkten Ausdruck zurückhaltend und hart, doch das Werk schlägt auf einer anderen Ebene zu, wie es nur Brahms schafft. Das abgewandelte Schluss-Satz-Hauptmotiv dringt hervor auf erhabenster Ebene ohne sich dafür Effekte oder Pomp eigen machen zu müssen, einer Erlösung gleich. Wer spätestens hier nicht zutiefst ergriffen ist, ist gefühlstaub.

Was bleibt vom Sternenhimmel, wenn die Sonne scheint. Eben.
Lasst sie untergehen und das Schauspiel beginnt. Nirgendwo leuchten Sterne schöner als auf einem nachtschwarzen Himmel.
In einem Satz gesagt, den Robert Schumann eigentlich seiner Frau zukommen lies, der hier aber genauso passt:

„Deine Härte ist deine Stärke.“

Platz 3 im Ranking. :-)

Aufnahme:
Staatskapelle Dresden unter Kurt Sanderling

Erster Satz, Teil 1
Teil 2
Zweiter Satz
Dritter Satz
Vierter Satz Teil 1
Vierter Satz Teil 2

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