Re: Lieder ohne Worte – Delias Kreis der Davidsbündler

#5893799  | PERMALINK

claraschumann

Registriert seit: 04.01.2007

Beiträge: 3,860

6. Johannes Brahms & Joseph Joachim – Doppelkonzert

Neben Clara hatte Johannes Brahms vorallem in dem nur zwei Jahre älteren Geigenvirtuosen Joseph Joachim einen großen Freund und musikalischen Weggefährten, um nicht zu sagen Wegbereiter, mit dem der Kreis sich quasi schließt. 1831 in Pressburg/Ungarn als Sohn jüdischer Eltern geboren, wurde Joachim bereits in jungen Jahren unter die musikalischen Fittiche von Felix Mendelssohn genommen. Er besuchte ab 1838 das Wiener Konservatorium bei Joseph Böhm (1795-1876) und setzte seine Ausbildung 1843–1849 in Leipzig fort. Er ist 16 Jahre alt als sein Mentor verstirbt, der parallel zu ihm die Karriere von Robert Schumann in die Wege geleitet hatte.
Mit 22 Jahren trifft er den 20-jährigen Johannes Brahms auf dessen erster Konzerttournee an. Seine eigene musikalische Reputation ist zu diesem Zeitpunkt bereits gefestigt, Brahms ist das New Kid In Town und bittet Joachim um Rat. Dieser vermittelt ihn zuerst an Franz Liszt, nachdem dieser jedoch nicht reagierte, schickt er Brahms an die Haustür von Robert Schumann, der Rest ist dann Geschichte.

Die Freundschaft und der gegenseitige Respekt der beiden hielt, gleich der Verbindung Clara-Johannes, bis an beider Lebensende an, auch wenn es sich weder der notorisch sozial inkompetente Brahms noch der nicht minder schwierige Joachim mit einander leicht gemacht haben.
Dem wohl bekanntesten, brisantesten und tiefsten Zwischenfall in der Männer-Kumpanei verdanken wir dabei die Existenz des Doppelkonzertes, welches Brahms 1887 während eines Sommerurlaubes am Thuner See komponierte.

Zur Situation:
Joseph Joachim war in einen heftigen Ehestreit mit seiner Frau Amalie geraten, weil er sie in einem Anfall von schwerer Eifersucht der Untreue und des Ehebruchs bezichtigte. Brahms, der Junggeselle, der mit beiden gut befreundet war, hatte dabei faktisch zwar das richtige getan und Amalie in einem Brief sein Vertrauen ausgesprochen, d. h. sie von den Vorwürfen freigesprochen und die Schuld auf Joachims Eifersucht geschoben, doch dieses tat er so nüchtern und undiplomatisch ohne seinen Freund darüber zu aufzuklären, dass es kurz darauf zum Eklat kam, als Amalie eben diesen Brief im Scheidungsverfahren vor Gericht in der Öffentlichkeit gegen Joseph Joachim benutzte, um ihre Unschuld zu unterstreichen. Joachim fühlte sich daraufhin durch den Komponisten verraten und kündigte ihm die Freundschaft. Sieben Jahre lang herrschte Funkstille zwischen beiden.

Den Grundstein zum „Versöhnungswerk“, wie Clara es nannte, legte Brahms in musikalischer Hinsicht allen Kritikern zum Trotze in gewohnt traditioneller, ja fast schon aus der Mode gekommenen Form. (Siehe dazu „Brahms, der Konservative“). Noch heute wird das Doppelkonzert als unzeitgemäß bezeichnet, weil Ende des 19. Jahrhunderts Konzerte dieser Form, für Violine, Violoncello und Klavier so gut wie ausgestorben waren und alle zu den Neudeutschen in die Oper rannten. :-)

Formal besteht es aus drei Sätzen, einem Allegro, einem Andante und einem abschließenden Vivace Non Troppo. Der erste ist 16 min, die beiden anderen jeweils halb so lang. Nach der Fertigstellung sandte Brahms sein Werk dem geschiedenen Freund zu mit der Bitte um eine Beurteilung und noch wichtiger um Joachims Zustimmung bei der Uraufführung den Part der Solovioline zu übernehmen. Er erhielt tatsächlich eine Zusage.
Am 18.10.1887 kam es in Köln zur Premiere, Brahms selbst dirigierte, Joachim fidelte. Und um das Booklet meiner CD zu zitieren:

[So] wurde der alte Freundschaftbund erneuert und das Konzert zum eigentlichen Dokument der Versöhnung. Dass (…) das Violoncello mit einer Kadenz beginnt, hat denn auch Symbolcharakter: In dem brummigen Part stellt sich der als „knorrig“ und schwierig geltende Komponist selbst mit seiner ausgestreckten Friedenshand dar.

Auf meiner Aufnahme fideln Isaac Stern an der Violine und Leonard Rose am Violoncello.

Teil 1, Teil 2, Teil 3,
Teil 4

--