Re: Lieder ohne Worte – Delias Kreis der Davidsbündler

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claraschumann

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So, weil ich die kommende Woche weg sein werde, leg ich hier gleich ein paar Vorräte an. ;-)

4. Johannes Brahms – Sinfonie Nr. 4 in E Moll, op. 98 (1884-1885)


Grabenkämpfe gab es zu allen Zeiten in der musikalischen Geschichte der Menschheit. Im 19. Jahrhundert spaltete sich die Gesellschaft grob in die Schumann’sche „Davidsbündler-Liga“ und die Wagner-Liszt’sche Gruppe der „Musik der Zukunft“. Gekämpft, gelästert und gegunkelt wurde mit allen Bandagen und Mitteln, nach dem Tode Schumanns ’54 und Wagners ’83 führten die Witwen Clara und Cosima, die beide ihre Ehemänner um mindestens 40 Jahre überlebten, den Hahnenkampf munter gegeneinander weiter.
Einer, der dabei fast unter die Räder gekommen wäre, war Johannes Brahms, der 20-jährig an der Haustür der Schumanns anklopfte und bei selbigen einen Freudentaumel auslöste, als hätten sie direkt einen Engel erblickt. Bekannt ist der 1853 erschienene Aufsatz „Neue Bahnen“, den Robert Schumann in seiner „Neuen Zeitschrift für Musik“ über Brahms verfasst hatte, in dem er den jungen Hamburger lobprieß und ihn als „Berufenen“ beinahe in den Himmel hob, was den introvertierten, schüchternen Brahms allerdings in schwere Sinneskrisen stürzte, weil er befürchtete den von Schumann propagierten Idealen nicht zu genügen, was widerum dazu führte, dass er in einem Anfall von völlig überzogener Selbstkritik seine ersten Werke vernichtete.
Die Liga der Musik der Zukunft hatte davon natürlich Wind bekommen und lehnte im Zuge dessen, dass Schumann sich prinzipiell gegen sie aussprach, widerum prinzipiell alles ab, was Schumann gut fand. Weil dieser bekannterweise nicht mehr Einfluss auf die von ihm begonnene Geschichte ausüben konnte, nahmen die Dinge dann ihren Lauf.

Auftritt Johannes Brahms in der breiteren Öffentlichkeit, ausgestattet mit all den richtigen Zutaten, zur richtigen Zeit am falschen Ort.
Jeder hatte eine Meinung, eine bestimmte Position, die der Musiker Johannes Brahms für sie einnahm oder darstellte. Und so kam es bedauerlicher Weise dazu, dass ausgerechnet der Komponist, der fast wie kein anderer ein derartiger, schüchterner Einzelgänger war und Musik einzig allein aus sich selbst heraus erschuf (immer derart echt in seinen Emotionen, dass Clara einmal schrieb, „Würde er doch nur einmal so sprechen, wie er spielte…“) – einer der sich kurz gesagt alleine schon durch seine Persönlichkeit für nichts weniger eignete als für die Gründung einer neuen eigenen Schule – munter als Spielball hin und her geworfen und von Hans von Bülow und Eduard Hansslick als Idol adoptiert wurde, die beide mit fast aller Macht eben unbedingt eine Brahms-Lehre zu etablieren versuchten, worauf die Wagnerianer widerum nur warteten um diese dann genüsslich zu zerpflücken und in die Mangel zu nehmen.
Nietzsche, der nun zu Guter Letzt auch noch seinen Senf dazu geben musste, bezeichnete Brahms dann als „Zufallprodukt“, der von der einen Partei gebraucht wurde, damit sie ein Gegenstück zu Wagner präsentieren konnten.
Notabene: All dies geschah natürlich ohne jegliche Authorisation des Betroffenen. Der wollte eigentlich nur Musik machen.

Aber nun nach langer Vorrede nun endlich zur Musik. :-)
Brahms schuf insgesamt vier Sinfonien.
Die hier vorgestellte vierte Sinfonie entstand, wie angeben in den Jahren ’84/’85 in ziemlich schneller Abfolge zur dritten, nachdem er doch alleine für seine erste Sinfonie noch gute zwölf Jahre gebraucht hatte.
Als Brahms nach Fertigstellung die Sinfonie Freunden auf seinem Klavier vorspielte, reagierten Clara und Eduard Hanslick zuerst mit Ablehnung. Letzterer soll ausgerufen haben: „Den ganzen Satz über hatte ich die Empfindung, als ob ich von zwei schrecklich geistreichen Leuten durchgeprügelt würde.“
Aber auch Johannes selbst sagte über seine Arbeiten: „Nun möchte ich noch die vermutlich sehr überraschende Mitteilung machen, dass meine Sinfonie lang und nicht gerade liebenswert ist.“
Nun weiß ich nicht an wem es liegt, aber mir sagt die vierte außerordentlich gut zu und ich halte sie für eine der zugänglichsten, verspieltesten Werke im Sinfoniebereich überhaupt. Sie besteht formal aus vier Sätzen und ich liebe jeden einzelnen davon. Majestätisches wie im vierten Satz von Mendelssohns Schottischer fehlt hier, dafür gibt es viel Virtuoses, eine Fülle von Melodien und… hach ja… ehrlicher Emotionen.

Es gibt viele verschiedene, gute Interpretationen, man kann beim Kauf einer Aufnahme eigentlich nichts falsch machen.

P.S.
Es gab zu dieser Zeit natürlich auch ein paar löbliche Ausnahmen des obigen Schemas. Antonin Dvorak und Edward Grieg waren so klug und weitsichtig, dass sie sowohl Wagner als auch Brahms wertschätzten, Peter Tschaikowsky, der Brahms nachweislich einen herzlosen Bastard nannte, war wenigstens so ehrlich und verabscheute beide. Männer halt… :-)

Erster Satz Teil 1, Teil 2
Zweiter Satz Teil 1, Teil 2
Dritter Satz
Vierter Satz

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