Re: Euer Lieblingsjahrzehnt

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choosefruit
low fidelity

Registriert seit: 23.05.2015

Beiträge: 5,978

@ wahr

In deiner Denkweise sind mir zu viele Sticheleien gegenüber Hörer, die aktueller Musik nicht den gleichen Stellenwert wie du beimessen und eine andere Herangehensweise haben. Und so haftet an deinem Beitrag unterschwellig oder gar beabsichtigt diese „Hörer, die hauptsächlich alte Musik mögen, sind reaktionär und unwissend“-Botschaft. Ich hatte vor einiger Zeit an anderer Stelle etwas geschrieben und finde die Worte auch für dieses Thema zutreffend, deswegen tipp ich es erneut: In der subjektiven Wahrnehmung gibt es kein „falsches“ oder „richtiges“ Musikhören, sondern lediglich das eigene Musikhören. Wenn jemand meint, früher klang Musik besser, ist dies für sein Hören ebenso „richtig“, wie es sich auch richtig für die Hörer anfühlt, welche der Ansicht sind, alte Musik würde müffeln. Natürlich ist dies oft schwierig nachzuvollziehen, aber wenn für einen Moment versucht wird, dies einfach zu akzeptieren, statt die eigene Hörgewonheit als überlegen anzusehen und auch darzustellen, würden Meinungen weniger absolut klingen. (Ich weiß, ich halte mich auch zu selten daran)

Eine Frage: Welche aktuellen Alben/Tracks sind für dich Ausrufezeichen der aktuellen Kultur? Ausrufezeichen, die den Zeitgeist perfekt vertonen? Denn dann wäre die weitere Frage, welchen Zeitgeist wir denn heute überhaupt haben? Oder welchen unmittelbaren Bezug zur Gegenwart möchte mir ein aktueller Track vermitteln, der zum Inhalt die Liebe zum Wandern hat? Und was ist mit Musik, die heute aktuelle Themen bzw. immer noch aktuelle Themen schon vor 30 oder 50 Jahren ansprach? Ist Dylans „Masters Of War“ weniger aktuell, nur weil der Song nicht heute geschrieben wurde?

Außerdem: Ein 50 Jahre altes Album kann für mich beim ersten (oder auch tausendsten) Hören genauso neu sein und sich genauso neu anfühlen und genauso neu klingen wie heute veröffentlichte Musik. „Sister Ray“ klingt für mich heute ähnlich verstörend und bahnbrechend, wie es wohl 1968 gewirkt haben muss. Ja, Musik ist imstande, ihre Aussage zu konservieren.

Es ist lediglich ein selbst festgelegter Stellenwert, der entscheidet, und keine Allgemeingültigkeit. Und deswegen funktioniert es so gut, dass Person A beim Hören von „Led Zeppelin II“ genauso stimuliert wird und das gleiche Maß an Auseinandersetzung mit Musik erfährt, wie Person B, die lieber „To Pimp A Butterfly“ lauscht. Und beide, ohne sie gegeneinander ausspielen zu müssen, die gleiche Freude beim Hören empfinden. Und es sich für beide „richtig“ anfühlt. Egal ob Gegenwartsbezogenheit oder nicht. Denn das ist, wie der Name schon sagt, eine Komponente, die lediglich etwas zur Aktualität aber nich zur Qualität aussagt und deswegen für mich sekundärer Natur ist.

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