Startseite › Foren › Das Konzert-Forum: Wann, wer und wie › Und so war es dann › Solomon Burke, Cirque Royal, 09.12.2007
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Vorweg gesagt: für mich das Konzert des Jahres, trotz starker Konkurrenz, und zugleich einer der außergewöhnlichsten Auftritte, die ich bisher überhaupt als Konzertbesucher erleben durfte.
Der bestuhlte Cirque Royal, mein liebster Veranstaltungsort in Brüssel, war leider nicht zur Gänze gefüllt. Dass die Nachfrage nach Karten nicht erdrückend war, zeigt sich bereits daran, dass die erst vor zwei Wochen georderten Karten mir Plätze in der zweiten Reihe mittig direkt vor dem Thron des King of Rock`n`Soul bescherte (Luftdistanz knappe 5 Meter). Thron? Tatsächlich stand in der Nähe des Bühnenrandes ein riesiger rot ausgeplüschter, von roten Rosenbuketts gesäumter, mit den Initialien „SB“ versehener Sessel. Als sich der Raum verdunkelt hatte, nahmen vor dem Thron drei Bläser Aufstellung, links daneben eine von Burke’s Töchtern als background voice, rechts daneben ein Gitarrist sowie drei so knapp wie eng gewandte Violindamen, im Hintergrund Bass, Hammond und Schlagzeug, während Burke im Rollstuhl zum Thron gefahren wurde. Dann gingen die Lichter an und Burke, mit Schlips im glitzernden Anzug, mit seiner nahezu erschütternden Korpulenz den Thron spielend ausfüllend, eröffnete den Abend mit „How I Got To Memphis“ von seinem letzten Album „Nashville“ (welches ich an anderer Stelle in diesem Forum schon ausführlicher empfohlen habe). Zwar las Burke gelegentlich vom Teleprompter ab, im übrigen hinderte ihn seine eingeschränkte körperliche Bewegungsfreiheit nicht daran, den ganzen Abend souverän mit dem Publikum zu kommunizieren, auf Zuruf spontan Songs zu intonieren, mit wenigen Gesten über die Band zu regieren und zugleich zu demonstrieren, dass er den Auftritt von Herzen genoss. Sein Talent, einen Saal mit seinem völlig unprätentiösen, im besten Sinne nahbaren Charme und seiner überquellenden Herzlichkeit auszufüllen, mag auf seiner Predigererfahrung fußen; verbunden mit der immer noch enorm präsenten und ins Mark gehenden Stimme einer der letzten lebenden Soul-Legenden hat man wenig Chancen, sich der emotionalen Faszination seiner Lieder zu entziehen.
Bei „Don’t Give Up On Me“ oder „A Change Is Gonna Come“ erdrückte einen der Vortrag förmlich mit seiner emotionalen Wucht, so dass so mancher Besucher tatsächlich Tränen in den Augen hatte; bei auf die Beine zielenden Songs wie „You’re The Kind Of Trouble“ (ebenfalls von „Nashville“) oder „Cry To Me“ (von seinem 64er Atlantic-Debüt „Rock ’n’ Soul“) hielt es das Publikum nicht lange in den Sitzen; Burke unterstützte das Aufflammen des zunächst noch durch Respekt gebändigten Tanzdrangs, indem er eine Dame, die auf Zuruf ihren Wunschsong zu hören bekam, zu sich zum Tanz auf die Bühne bat und diese dem Begehr des Königs nach einigem verlegenen Zögern tatsächlich Folge leistete. Aber nicht genug dieses barrierefreien Denkens: einige Songs später kündigte Burke an, wer wolle, könne sich nun mit ihm fotografieren lassen. Nach einigen Momenten ungläubigen Zögerns fanden sich nicht wenige Konzertbesucher auf der Bühne ein zur Audienz mit Foto, Handschlag, Umarmung gar; spätestens ab diesem Punkt war die auf Konzerten in aller Regel recht strikt einzuhaltende Grenze zwischen Künstler und Saal völlig im Verschwinden begriffen; nachdem ich das mir benachbart sitzende Pärchen in spe auf deren Wunsch ausgiebig beim Plausch mit Burke über ihre etwaigen Paarungs- und Partnerschaftsabsichten abgelichtet hatte (er könne, versprach er lockend, die beiden gerne sofort hier und jetzt trauen), bat mich der Maestro schließlich, in seinem Namen Rosen von der Bühne herab an die holde Weiblichkeit zu verteilen. Und wie könnte man ein solches Begehr abweisen, ich war also die nächsten fünf Minuten auf der Bühne – während er meiner trügerischen Erinnerung nach „What A Wonderful World“ vortrug – mit dem Werfen und Verehren von Rosen beschäftigt, erntete dafür Seinen (garantiert heilenden und seeligmachenden) Handschlag – und, so hoffe ich inständig, auch einige Fotos von Nachbars Apparat, auf deren Email-Zusendung ich nun ungeduldig warte.
Weiter ging es mit einem Streifzug durch sein Schaffen – und zugleich durch die Geschichte des Souls -, teils auf Zuruf, mit Songs wie „Sittin’ On The Dock Of The Bay“, „Doggone“ (von der „Proud Mary“-LP), „Soul Searchin’“, „Diamond In Your Mind“ sowie dem mitreißenden „None Of Us Are Free“ (jeweils von „Don’t Give Up On Me“) oder einer wunderbaren Version von Bobby Bare’s „Detroit City“. (Da ich nur fünf LPs von ihm kenne, kann ich eine erschöpfende Setliste leider nicht besteuern). Zum guten Schluss erklang natürlich „Everybody Needs Somebody To Love“, zu dessen Grooves er unglaublicherweise das gesamte Publikum zu sich auf die Bühne lud. Tatsächlich war der Platz um ihn und die Band recht schnell gut gefüllt mit tanzenden Menschen. Bevor Burke schließlich langsam durch all die Tanzenden hindurch von der Bühne gefahren wurde, stimmte er nach gut anderthalb Stunden eines wirklich unbezahlbaren Auftritts zum Abschied „When The Saints…“ an und reichte das Mikro – nach einigen erfolglosen Übergabeversuchen an schüchterne belgische Mädchen – schließlich einem breit lächelndem schwarzen Fan, der den Gesang souverän weiterführte, bis der Rest der Band schließlich von der Bühne ging.
Ich kann mich an kaum ein Konzert erinnern, in dem mich Musik so unmittelbar berührt und gepackt hat und in der ein Musiker sich so offenherzig und zugänglich und zugleich charismatisch seinem Publikum geschenkt hat. Obwohl und weil Burke glücklicherweise nicht sonderlich viele Worte über seinen Glauben verlor und insbesondere nie ins bibelbasierte Predigen verfiel: näher kann man – auch und gerade als Atheist – nolens volens einer gottesdienst-gleichen emotionalen Vereinnahmung wohl nicht kommen. Bevor ich hier aber mit weiterem Schwärmen noch in die Untiefen von Spritualität oder Esoterik drifte, nur eins zum Schluss: Ich kann nur jedem innigst empfehlen, sich die Gelegenheit zum Besuch eines seiner in Europa sicherlich raren Auftritte (von „Schauspiel“ oder „Show“ kann hier keine Rede sein) nicht entgehen zu lassen.Wer weiß, wie oft der King of Rock ’n‘ Soul uns noch auf der Bühne Audienz gewähren kann.
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WerbungVon Solomon Burke dazu gebeten zu werden, daß man Unmengen von Rosen an Frauen austeilt: Das ist das erste Mal, daß ich einen Forumianer beneide. Jesus fuckin‘ Christ. Klasse, Sonic!
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A Kiss in the DreamhouseBin ebenfalls neidisch, klingt nach einem Riesenvergnügen.
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God told me to do it.Toller Bericht, SJ. War in Brüssel exakt so wie in Berlin vor rund vier Jahren, samt Dramaturgie, Publikum auf der Bühne und Rosenkavalier-Charme. Ein unvergesslicher Abend. Mußte er im Cirque Royal auch links und rechts gestützt werden, als er die Bühne betrat und erst recht beim Abgang? Das Gehen muß die Hölle für ihn sein. In den Tourbus trug man ihn dann in einer Art Sänfte. Auch sein laut vernehmbares Ächzen während des Auftritts gab zu Sorgen Anlass. Gerade unter diesem Aspekt ist es hocherfreulich, daß er immer noch in der Lage ist, diese Tour-Strapazen auf sich zu nehmen. Laß‘ doch die Photos bitte bei Gelegenheit mal sehen.
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Sehr schön, Sonic! Wirst Du ein paar Fotos hier veröffentlichen?
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Sonic Juice bat mich der Maestro schließlich, in seinem Namen Rosen von der Bühne herab an die holde Weiblichkeit zu verteilen. Und wie könnte man ein solches Begehr abweisen, ich war also die nächsten fünf Minuten auf der Bühne – während er meiner trügerischen Erinnerung nach „What A Wonderful World“ vortrug – mit dem Werfen und Verehren von Rosen beschäftigt, erntete dafür Seinen (garantiert heilenden und seeligmachenden) Handschlag – und, so hoffe ich inständig, auch einige Fotos von Nachbars Apparat, auf deren Email-Zusendung ich nun ungeduldig warte.
Ich kann mich an kaum ein Konzert erinnern, in dem mich Musik so unmittelbar berührt und gepackt hat und in der ein Musiker sich so offenherzig und zugänglich und zugleich charismatisch seinem Publikum geschenkt hat. Obwohl und weil Burke glücklicherweise nicht sonderlich viele Worte über seinen Glauben verlor und insbesondere nie ins bibelbasierte Predigen verfiel: näher kann man – auch und gerade als Atheist – nolens volens einer gottesdienst-gleichen emotionalen Vereinnahmung wohl nicht kommen.
Na, das ist doch mal ein Konzertbericht! Es geht doch nichts über einen Künstler, der sein Publikum zu nehmen weiß. Da können sich all die obercoolen „Hauptsache, der Sound ist perfekt“-Klampfer und -Klimperer noch ’ne Scheibe von abschneiden … Kein Wunder, dass das dein Konzert des Jahres war. Und ein wirklich schöner enthusiastischer Bericht, Sonic!
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C'mon Granddad!Ich hoffe diesen außergewöhnlich herzerfüllenden Bericht, im Januar- oder Febraurheft im Rolling Stone mit eins, zwei Bildern, in den Händen halten zu können. Glückwunsch zu dem Konzert, SJ!
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Man braucht nur ein klein bisschen Glück, dann beginnt alles wieder von vorn.Freut mich wirklich für Dich, Sonic. Toller Bericht!
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Ohne Musik ist alles Leben ein Irrtum.Vielen Dank für Neid und Zuspruch! Fotos werde ich sehr gerne einstellen, wenn sie mir denn tatsächlich zugeschickt werden.
topsMußte er im Cirque Royal auch links und rechts gestützt werden, als er die Bühne betrat und erst recht beim Abgang? Das Gehen muß die Hölle für ihn sein. In den Tourbus trug man ihn dann in einer Art Sänfte. Auch sein laut vernehmbares Ächzen während des Auftritts gab zu Sorgen Anlass. Gerade unter diesem Aspekt ist es hocherfreulich, daß er immer noch in der Lage ist, diese Tour-Strapazen auf sich zu nehmen.
Leider war es mit Stützen nicht getan, er wurde in einem Rollstuhl zu seinem Thron gefahren und wieder abtransportiert. Bei seinem Abgang ließ er es sich aber nicht nehmen, auf Krücken gestützt, noch ein paar Takte mitzugrooven, bevor er sich in den fahrbaren Untersatz niederließ.
Man kann es wohl gar nicht hoch genug schätzen, dass er sich unter diesen Voraussetzungen noch auf die Bühne begibt.--
I like to move it, move it Ya like to (move it)Kompliment, Sonic, Kompliment.
Gibt es die Nashville auf Vinyl?--
FAVOURITESOtis, meines Wissens ist „Nashville“ wie auch der Vorgänger „Make Do With What You Got“ bislang nur auf CD erschienen, was ich sehr bedauere.
„Don’t Give Up On Me“ gibt es erfreulicherweise als Doppel-LP, damit werde ich Dir aber vermutlich nichts neues sagen können.--
I like to move it, move it Ya like to (move it)Ihr habt es so gewollt…
Sein Töchterchen:
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I like to move it, move it Ya like to (move it)The King And I!
Und schließlich mein Lieblingsfoto, der König beim Flirt:
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I like to move it, move it Ya like to (move it)Sehr fein, Sonic. Schön vor allem Dich mit dem Meister zu sehen. Glückwunsch nochmals für den Konzertbericht des Jahres!
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Man braucht nur ein klein bisschen Glück, dann beginnt alles wieder von vorn.Grandios, Sonic. Hat dein Nachbar gut gemacht, das mit den Fotos. Obwohl auf dem hier
http://photos-111.ll.facebook.com/photos-ll-sctm/v156/80/91/663168111/n663168111_233973_8631.jpg
sieht es so aus, als hätte Solomon ’ne Wärmflasche unter der Weste … Sehr befremdlich.--
C'mon Granddad! -
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