Re: John Coltrane

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This charming man

Registriert seit: 04.05.2003

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Napoleon DynamiteNa. Ich versuche es mal trotzdem, auch wenn du die Pflastersteine um „Interstellar Space“ herum recht unglücklich anordnest. Es wird schwierig, aber nun:

Vergiss den Begriff Spiritualität bei Coltrane, tops. Vergiss die Avantgarde, vergiss den Begriff Free Jazz. Free Jazz ist Cecil fuckin‘ Taylor, ist an Schoenberg orientierte, systematische Theorie. Ist kalte, europäische Technik. Sind Ornette Colemans und Don Cherrys Versuche Instrumenten Ausdruck abzuwringen, ohne Achtung deren Beschaffenheit und Funktionalität. Sind die Bemühungen europäischer Hansdampfe (Willem Breuker! Peter Brötzmann!). Ohne Swing, ohne Blues. Soll heißen: Ohne Jazz. Avantgarde? Ist kein musikalischer Begriff. Kinkerlitzchen, keine Definition möglich ohne Abgrenzung. Was ich sagen will: Free Jazz verhält sich für mich zum Jazz, wie Bluesrock zum Blues. Musikformen, für die vollste Verachtung angebracht ist, da sie nicht nur schlecht sind, sondern noch mehr sich in einer Tradition wähnen, an der sie nicht teilhaben. Hier lasse ich nicht mit mir diskutieren, und lasse keine Gnade walten.

Spiritualität? „Illegale Substanzen“? Damit verhält es sich schwieriger, da es sich um Aspekte handelt, die für mich (gerade in Hinblick auf Musik) nicht die geringste Rolle spielen, und bei denen es mir schwer fällt, Einfühlungsvermögen zu entwickeln. Soviel: „Interstellar Space“ ist eine musikalisch konzentrierte, Platte mit tonaler und harmonischer Schärfe (Atonale Bemühung? Free Jazz? Forget it!) die eben auch das verlangt: Ein konzentriertes Ohr. Ein offenes Ohr? Das ist nicht mein Vokabular.

Besser etwas zur Musik, und warum sie für mich einen so hohen Rang einnimmt: An ihr ist nichts Verschwurbeltes, Coltranes Spiel ohne Überfluss, ohne Überschmückung. Rashied Ali (Was ist hier „walderprobtes Schlagwerk“, atom? Alis Spiel ist letztgültig verfeinert, eine emotionale Reaktion auf Coltrane, die Elvin Jones zu diesem Zeitpunkt nicht mehr bewerkstelligt hätte!) spielt free mit einer Hellhörigkeit, die sämtliche Vorwürfe von strukturellem Fehlen absurd erscheinen lässt. Die Platte ist letztendlich ohne jegliches Schmückwerk hörbar, ohne jegliche Vorkenntnis. Denn:Trotz technischer Verfeinerung (die ist hier unleugbar), trotz musikalischer Präzision, deren Ausdruck das Ergebnis von Jahren ist, trotz einer vorausgehenden Entwicklung, die nachvollzogen gehört, ist die Musik dieser Platte letztendlich reiner, direkter Ausdruck. Dem Beginn des Jazz, und va. dem Herzen. Am Ende ist „Interstellar Space“ – ist Coltrane – WC Handy in seiner Hütte. Ein Mann, der nach Ausdruck sucht, dessen Leben Blues ist, dessen Herzschlag den Swing diktiert. No less. Das ist für mich Jazz: Die Erprobung von Neuem, unter Berücksichtigung von ALLEM, was davor war (und deswegen ist Mingus für mich auch nicht Prog Jazz, otis. Weil Mingus nicht nur Mingus ist, sondern musikalisch alles im Jazz vor ihm berücksichtigt). Mit Coltranes letzter Musik war der Jazz am Ende, weil er wieder den Anfang bildete: Eine rein emotional fassbare Natürlichkeit. Ein Widerspruch? Listen again, mit dem Ohr an der Geschichte.

Wie ich sie hörte? Bisher viermal in meinem Leben, unter höchst emotional angespannten Umständen. Diese Platte wirkt.

Wollte damals schon auf diese bedenkenswerten Ausführungen antworten, habe das dann aber aus den Augen verloren und bin nun eher zufällig wieder daraufgestoßen. Mea culpa.
Deine Charakterisierung von „Interstellar Space“ in Ehren (W.C.Handy hätte sich nicht schlecht gewundert): ich komme nicht dahinter. Habe die LP seither ein paarmal gehört, doch schreckt mich bei aller offenkundigen Intensität letztlich dasselbe ab, was mir bereits den rückhaltlosen Genuß von „A Love Supreme“ oder „Ascension“ zwar nicht völlig vergällt, so doch trübt: Tranes Inbrunst der späten Tage, seine Selbstauflösung und quasi-religiöse Unbedingtheit beim Spielen. Er selbst nannte das ja Spiritualität, später „meine Heiligkeit“, wie Du sicher weißt. Was Dich also anzieht/berührt (die pure Emotionalität, der prophetische Impetus, das Eins-sein-wollen-mit-dem-Universum), widerstrebt mir. Nichts gegen Verinnerlichung (gerade im Jazz), aber diese nach außen gestülpte Innerlichkeit, dieses Mein-Herz-ist-eine-Kerze-in-Eurer-Nacht-Improvisieren hat fast etwas Musik-Missionarisches. Das Schlagwerk, walderprobt oder nicht, ist mir zu freisinnig/eilfertig und der Tastenbeistand von Gattin Alice ebendas: beiständig. Sorry, es klappt bei mir nicht (anders als bei „Out To Lunch!“, dessen ganze Größe sich mir indes auch erst in den letzten Monaten erschlossen hat, auch dank „Hat And Beard“ – dank Hat and Beard sowieso). Ein persönliches Manko womöglich, eine Skeptik-Barriere, die eine Konzentration auf das Nur-Musikalische erschwert. Wie auch immer: atom hatte Recht, das klappt nicht mehr zwischen uns. Auch Santanas Spruch, der späte Coltrane bringe den Hörer „näher zu Gott“, scheint so daneben nicht. Ich passe.
Deine etwas burschikos-beiläufige Abfertigung des sogenannten Free Jazz sowie diverse Spitzen etwa in Richtung „kalter europäischer Technik“ mögen in der Tendenz richtig sein, bedürften aber doch genauerer Explikation. Eine Seite, die ich jetzt nicht umblättern möchte. Ich habe Hunger…

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