Re: Klassik: Fragen und Empfehlungen

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kingberzerk

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CleetusWelche Aufnahme von Carmen sollte es sein? Karajan oder Callas?

Vermutlich suchst Du ein Geschenk? Ich kenne mich zwar bei „Carmen“ nicht so aus, konnte aber „Maria Callas“ von Jürgen Kesting aus dem Regal ziehen. DAS würde ich verschenken. Dazu gibt es auch zwei mal zwei CDs (erschienen bei EMI) – tolles Spektrum, Spitzen-Buch.

Von Karajan und Solti sind prima Operndirigenten, aber Soltis Tempi mochte ich noch nie, nur bei Wagner. Hinzu kommt, dass Solti bei Decca mit Toningenieuren arbeitete, die den Aufnahmen eine harte Note in der Abmischung gaben.

Karajan als Operndirigent mag ich sehr gern, die Details stimmen, das Ensemble in diesem Fall auch – das Orchester ohnehin. Für Puristen ist natürlich wichtig, welche Fassung aufgenommen wurde, und Kesting weist darauf hin, dass in der Callas-Fassung die Rezitative ins Hintertreffen geraten.

Jürgen Kesting: „Maria Callas“. Claasen, Düsseldorf 1990:
(…) Ihren ersten Klavierunterricht erhielt Maria mit acht Jahren. Sie konnte später alle Rollen am Klavier selber ohne Hilfe eines Korrepetitors studieren. Mit zehn Jahren sang sie Arien aus Carmen, und es heißt, dass Passanten unter dem Fenster stehen blieben, wenn sie „La Paloma“ und andere Lieder sang (…)

(…) Knapp vier Wochen nach der letzten „Norma“ (24. Juni 1964) begann sie, unter der Leitung von Georges Prêtre, mit der Aufnahme von Georges Bizets „Carmen“. Ihre Partner waren Nicolai Gedda als Don José, Andréa Guiot als Micaëla und Robert Massard als Escamillo. Es ist ihre einzige Aufnahme einer französischen Oper, für welche leider die Standard-Version mit den Rezitativen von Ernest Guiraud gebraucht wurde. Erst Leonard Bernstein, Sir Georg Solti und Claudio Abbado haben, gut ein Jahrzehnt später, die von Oeser und Dean erarbeiteten Fassungen mit gesprochenen Dialogen eingespielt.

Die Guiraud-Fassung beraubt eine phantasievolle Darstellerin der Möglichkeit, die Figur auch durch dialogische Nuancen lebendig werden zu lassen. Stimmlich ist sie in akzeptabler Form, auch wenn die Höhen hart sind und der Klang der Stimme bei den Versuchen dynamischer Abstufungen immer wieder gefährdet ist (…)

(…) Im Studio hat Maria Callas 16 Opern aufgenommen – darunter Werke, die sie, wie „La Bohème“, „Manon Lescaut“, „Pagliacci“ und „Carmen“, nie auf der Bühne gesungen hat; auf Mitschnitten liegen insgesamt 34 ihrer 47 Rollen vor (…) Nicht nur, weil Studiomikrophone anders hören als die im Opernhaus, müssen die Mitschnitte und die Platten nach unterschiedlichen Parametern beurteilt werden und nicht bloß mit der kritiklosen Bewunderung der Fans, für die es, wie David A. Lowe es formuliert, eine „uninteressante Callas-Aufnahme nicht geben kann“. Auf der Verfasser steht nicht an, zuzugeben, dass er viele nur mit Irritation, unter Schmerzen und selbst mit Unbehagen hören, einige sogar kaum ertragen kann. Zu leugnen, dass es schon aus der mittleren Zeit der Sängerin – etwa seit 1954 – Aufnahmen mit verstörenden Unsicherheiten, mit tremulösen Spitzentönen, harschen Klängen und Vokalverfärbungen gibt, wäre Indiz für fetischistische Bewunderung. Wer endlich Maria Callas noch nie gehört hat und den Initiationsritus mit „Maria Callas: The Legend – The Unreleased Recordings“ versuchen würde, müsste die ganze Legende für ein Lügengebäude halten (…)

(…) Mit großem Werbe-Nachdruck wurde Ende 1964 die „Callas-Carmen“ angekündigt. Rodney Milnes beurteilt sie in „Opera on Record“ sehr kritisch. Es fehle dem Portrait an Charme (den Mérimées Novellenfigur auch nicht besitzt) und der Stimme an Gewicht in der tiefen Lage. Zudem sei ihr Französisch „individuell“. Gemeint ist wohl: Es ist nicht idiomatisch. Doch hat dies weniger mit der Fähigkeit zu korrekter Aussprache zu tun als mit stimmlichen Problemen. Callas muss viele Vokale dem Zustand der Stimme anbequemen, sie guttural einfärben. Ardoin bezeichnet die Aufnahme als eine Bewunderung abnötigende Leistung, und das erscheint mir wieder wie ein liebevolles Plädoyer. Die vielen prägnant und musikalisch erarbeiteten und ausgeführten Details fügen sich nicht zu einer Einheit. Die Produktion wirkt (auf mich) artifiziell. Sie ist, anders als die „Tosca“-Aufnahme, kein technisches Kunstwerk, sondern ein Kunstwerk mit geraubter Aura, zumal Georges Prêtre die auch editorisch anfechtbare Fassung äußerlich, geradezu knallig musiziert.

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Tout en haut d'une forteresse, offerte aux vents les plus clairs, totalement soumise au soleil, aveuglée par la lumière et jamais dans les coins d'ombre, j'écoute.