Re: Mikkos 7" Faves

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mikko
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The Rolling Stones – Let’s Spend The Night Together / Ruby Tuesday (Decca, 1967)

Meine erste Stones Single. Ich muss sagen, mein Interesse an Beatmusik kam sehr plötzlich im Frühjahr 1967. Das hing wohl auch mit dem Beginn der täglichen SF-Beat Sendung im März 67 zusammen. Vorher gab es im Berliner Radio nur die „Schlager der Woche“ im RIAS und so eine ähnliche Sendung beim SFB. Doch das war alles noch recht betulich und sehr durchsetzt mit deutschem Schlager. Die tägliche Stunde SF-Beat war die erste Sendung, die ausschließlich englische und amerikanische Beatmusik spielte. Hin und wieder auch mal ne deutsche Band. Aber Beat musste es schon sein. Ausserdem war die Präsentation mit Jingles, Trailern und auf-die-Intros-Quatschen absolut neu im hiesigen Radio. Die Macher der Sendung – obwohl gewiss selbst keine Jugendlichen mehr und auch nicht unbedingt Beat Fans – wussten ganz gut, wie man Teenager anspricht und sie auch ernst nimmt. Es gab da zwar schon lange die Sender der Besatzungsmächte, AFN und BFBS. Meine erste Fremdsprache war jedoch Latein, und so verstand ich die Sprecher dort kaum und fand sie darum anfangs wenig attraktiv. Das änderte sich erst mählich im Verlauf der Jahre 67 und 68. Diese lange Vorrede soll deutlich machen, warum ich mich plötzlich so sehr für diese Musik interessierte. Davor befand ich mich – auch mangels älterer Geschwister oder Freunde – im Zustand unschuldiger Beatmusik Abstinenz. Lediglich von den Beatles hatte ich mal gehört. Auch von Drafi und Manuela. Aber das ist ein anderes Kapitel. Die Stones waren also absolut neu für mich. Dafür aber um so aufregender! „Let’s Spend The Night Together!” – Dass damit nicht allein ein gemütliches Beisammensein bei Limonade oder Tee gemeint war, ahnte sogar ich, der ich gerade meine ersten Erfahrungen mit „Peter Pim & Billy Ball“ sammelte. Und „Ruby Tuesday“ kam meiner Vorliebe für eher gefühlvolle, melodische Beatsongs sehr entgegen. Diese Stelle am Anfang, wo Mick so ziemlich tief geht mit der Stimme, dazu die fast altmodische Flöte, da überkommt mich noch heute ein wohliger Schauer. Und wenn dann das Schlagzeug einsetzt und das Tempo unmerklich anzieht, prickelt es überall auf meiner Haut. Für mich ist diese Single eine Doppel-A-Seite.


The Move – I Can Hear The Grass Grow / Wave The Flag And Stop The Train (Deram, 1967)

Auch im SF-Beat zum ersten Mal gehört. Dieser Song und diese Single haben wesentlich dazu beigetragen, dass ich eine so große Vorliebe für psychedelische Beatmusik, für Freakbeat (wie das erst viel viel später genannt wurde) entwickelt habe. Dieser Bass betonte Rhythmus, die kleinen Breaks und Tempowechsel, die elektrische Gitarre abwechselnd rifflastig wie später im Power Pop oder so kleine freakige Figuren spielend, nicht wirklich Soli. Dazu die Gesangsmelodie, eingängig wie bei einem Kinderlied und fast gleichzeitig leicht entrückt im Zwischenteil, wenn Hall und Echo die Extravaganz des Songs noch verstärken. Diese Single ist ein Juwel der Popmusik! Absolut großartig und fast perfekt. Die Flipside ist ähnlich kinderliedartig strukturiert. Allerdings weniger zwingend eingängig und nicht so unwiderstehlich. Dies war die zweite Single der Move aus Birmingham, die ganz bewusst angetreten waren, um im Popgeschäft Erfolg zu haben. Mit Tolkien, Elfen und Psychedelia als alternativer Lebensform oder gar Bewusstseinserweiterung hatten sie nichts im Sinn. Roy Wood sagte mal in einem Interview, diese Texte habe er im Prinzip schon Jahre zuvor in der Schule geschrieben. Nette kleine relativ sinnfreie Kindergedichte. Nicht zuletzt die von ihrem Manager Tony Secunda angezettelten Aufsehen erregenden Live und TV Auftritte, bei denen Autos, Fernsehgeräte und Anderes zertrümmert wurde, verschafften der Band ständig Schlagzeilen. Darüber sollte man jedoch nicht vergessen, dass The Move eine hervorragende Live Band waren und ihre Platten zu den besseren gehören, die in jener Zeit in England erschienen. Und auf diese folgten noch etliche sehr erfolgreiche Singles, die zum großen Teil noch heute hörenswert sind.


The Herd – From The Underworld / Sweet William (Hansa, 1967)

Was habe ich diese Single geliebt! Stundenlang saß ich vor unserem alten Röhrenradio im Wohnzimmer, setzte den Tonarm des „Musikus 105“ von Telefunken mit seinen 8 Pond Auflagegewicht immer wieder in die Startrille der Platte, und lauschte ergriffen. Dann veränderte ich die Geschwindigkeit am Plattenspieler bis runter zu 16 UpM, nur um genau zu hören, was die da sangen. Und auch um zu erkennen, welche Instrumente da involviert sind. Ich wollte den Song, die Aufnahme bis ins kleinste Detail verstehen, nachvollziehen. Dass dies bei 45 UpM erfolgreicher gelingt, merkte ich allerdings schnell. Die Geschichte vom Hades und der ewigen Verbannung in die Unterwelt war mir aus dem Geschichtsunterricht der siebten Klasse geläufig. Diese musikalische Umsetzung durch The Herd gefiel mir aber viel besser als der relativ trockene Schulunterricht. Wieder war es der Bass, der mich besonders gefangen nahm. Und natürlich auch die gesamte theatralische Produktion mit dieser Kirchenorgel, den Glocken am Anfang, dem einbrechenden Fuzzgitarrenriff, dem bombastischen Schlagzeug und den überirdischen (oder sollte ich sagen unterirdischen?) Bläsern und Streichern. Eine absolut großartige Popsingle! Dass dies eine Studioproduktion war, die sich so live kaum umsetzen ließ, wusste ich damals natürlich nicht. Die B-Seite der Single zeigte aber, was diese Band eigentlich konnte und wollte. Ein grooviges, jazziges Stückchen R&B aus der Feder von Andy Bown und Peter Frampton mit ungeheurem Drive gespielt. Klasse! Als Song nicht besonders spektakulär, aber sei’s drum. Die A-Seite dagegen wurde geschrieben von Ken Howard und Alan Blaikley (gleichzeitig auch Manager der Band), die schon etliche Hits für The Honeycombs, The Tremeloes, Dave Dee & Co. etc. verfasst hatten. Schön ist übrigens auch das Video (nannte man damals natürlich nicht so) zu „From The Underworld“, das mit relativ simplen Effekten (Negativ, Solarisation) den Charakter der Musik unterstreicht. Die Band hatte noch einige Hits (u.a. das sehr gute „Paradise Lost“ mit Jazz Anklängen), löste sich aber bereits Ende 68 auf. Frampton gründete mit Steve Marriott Humble Pie, und was später aus ihm wurde ist wohl allgemein bekannt. Andy Bown spielte eine Zeitlang bei Status Quo.

Obschon diese drei Singles große Hits waren, dürfte eine deutsche Pressung in „mint“ mit Bildhülle nicht so ganz preiswert sein. So um die 20 bis 30 Euro wird man ausgeben müssen, denke ich. The Herd sind wahrscheinlich auch etwas günstiger zu haben.

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