Re: Spex

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friedrich

Registriert seit: 28.06.2008

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Mark Terkessidis in der SPEX über Relevante Musik:

„Die Musik ist längst kein Medium mehr, in dem sich gesellschaftliche Brüche ausdrücken. (…) sie ist nicht mehr Teil einer Kommunikation via Stil, in der die Musik eine zentrale Ausdrucksqualität des Protests darstellt und nicht bloß ein illustratives Element. Was die Geschichte betrifft, so können wir uns heute unserer Zeitgenossenschaft nicht mehr sicher sein, weil wir die Geschichte nicht als Fortschritt, sondern als heterogen, überfüllt und ungleichzeitig erleben, wenn nicht gar als schieres Zerfallsprodukt. Wie kann „Musik zur Zeit“ also noch bestimmt werden, wie stellt man in einer solchen Situation die Relevanz von Musik fest?“

(…)

Nun besitzt Popmusik aber weiterhin eine Energie, die nicht in Kommerzialisierung aufgeht. All die Leute, die Musik machen, sie vertreiben, Venues gestalten oder über Musik schreiben, sind ja nicht in diesem Geschäft, weil es hier viel Geld zu verdienen gäbe. (…) Sogar wenn Musik nur zur Ausstellung von Individualität via Geschmack dient, stellt sich, wie Diedrich Diederichsen in Über Pop-Musik beobachtet hat, das Problem Relevanz doch: Mein Geschmack ist irrelevant, wenn das was genau zu mir passt, überhaupt keine allgemeine Bedeutung mehr hat. (…) Wenn ich an einer Energie teilhaben möchte, die über mich und den Kommerz hinausgeht, die aber gleichzeitig nur in Ausnahmefällen im (…) etwas „einbringt“, dann ergibt sich mein Lohn doch gerade über die Feststellung der Relevanz dieser Energie.

(…)

Schließlich bleibt die Einbettung der Musik, ihr Kontext, ein Kriterium der Relevanz. Nur die Einbindung von Popmusik in eine gesellschaftlichen Bruch, ihre Bindung an Jugend- , Gegen- und Subkultur hat ihr ehedem ihre enorme Bedeutung verliehen. Heute ist dieser Kontext schwieriger zu bestimmen. kleinteiliger, und hängt auch mehr davon ab, welche Beziehungen die Musik selbst aktiv herstellt. Es gelingt mir aber nicht, die Relevanz der zehntausendsten Post-Indie-Band zu erkennen, die „klingt wie …“ und deren affektive Einbettung sich in einem Universum von Leggings, Hütchen und Bärten erschöpft. Dagegen mag ich zwar Lady Gagas Musik nicht besonders, aber die Art, wie sie Fäden in alle Richtungen zieht, um immer neue ästhetische Atmosphären zu erfinden, erscheint mir (…) diskussionswürdig. (…) D’Angelo spielt bestimmte Soul-Varianten vergangener Tage sogar besser als seine Vorbilder, sein Können steht außer Frage. Aber beim Hören fühle ich mich immer wie in einer Lounge voller cocktailschwenkender Zombies. Man kann das genießen wie ein schönes Abendessen. Aber relevant ist es nicht.“

Und abschließend noch eine wilde Liste von seiner Meinung nach relevanten Künstlern: „Africa Express, Blick Bassy, Edward, Afrikan Sciences, Maurice Louca, Mohamad, Sherwood & Pinch, die Labels Pan oder Sichtexot, Azealia Banks, Holly Herndon, Matana Roberts, Treedeon, Nat, Birchall, Kamasi Washington, Vijay Iyer, Richards Pinhas, Francois Tusques.“

Ich kenne kaum einen davon

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“There are legends of people born with the gift of making music so true it can pierce the veil between life and death. Conjuring spirits from the past and the future. This gift can bring healing—but it can also attract demons.”                                                                                                                                          (From the movie Sinners by Ryan Coogler)