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Interessanter Rück- und Ausblick von Spex-Ex Dietmar Dath:

F.A.Z., 19.12.2006, Nr. 295 / Seite 40

Wie wir „Spex“ zerstört haben

Von Dietmar Dath

18. Dezember 2006
Mitte 2004 fing es schließlich an, lästig zu werden, daß man als ehemaliger verantwortlicher Redakteur der Kölner Monatszeitschrift „Spex“ bei jeder Erstbegegnung mit freien Musikjournalisten, Werbetanten der Plattenindustrie, DJs und unabhängigen Filmfestivalorganisatoren schulterklopfende Glückwünsche des immergleichen Wortlauts abwehren mußte: „Na, du bist ja noch rechtzeitig abgehauen“, „Boah, das muß so kaputt sein, für diesen Münchner Typen zu arbeiten.“ Gemeint war die Arbeitssituation in einer Redaktion, die zur unheimlichen Wirkung des eigenen Namens in einem respektvollen, durch komplizierteste Nachfolgeverschlingungen vermittelten Verhältnis stand.

Ende der siebziger, Anfang der achtziger Jahre gab es in Deutschland (wie zuvor in England und Amerika) eine Handvoll junger Publizistinnen und Publizisten, die der Blitz des Einfalls streifte, man könne in den Hervorbringungen kulturindustrieller Randzonen – etwa kleiner Plattenfirmen – eventuell mehr kulturelle Wirklichkeit, mehr wertvollen Dreck, mehr zuckendes Feuer zu fassen kriegen als beim Durchnudeln der gängigen Feuilletonthemen. Ein paar dieser vifen Geschöpfe, darunter Dirk Scheuring und Clara Drechsler, fanden in Köln zueinander und brachten im September 1980 die erste „Spex“ heraus.

Was den Anfang ausmachte

Was darin stand, begriff kein Mensch; aber daß es todernst gemeint war und von extremem Dazwischenquatschbedürfnis gepeitscht, schrie der Welt daraus entgegen. Welch immense Wohltat so etwas zu einer Zeit gewesen sein muß, da jede einigermaßen interessante Lebensäußerung vom schleichenden Gift der totalen Dialogbereitschaft betulich linksliberaler „Demokratenspinner“ (Drechsler) zugekleistert wurde, könnte angemessen nur beschreiben, wer mit den Engelszungen des jungen Rainald Goetz zu reden versteht. Auch er war bald dabei, wie Diedrich Diederichsen, Jutta Koether, Andreas Banaski (“Kid P.“) und andere Leute, die bewiesen, daß man über Popmusik (und überhaupt alles andere) entgegen allen journalistischen Benimmregeln der Altvorderen schreiben darf, wie man will, wenn man’s kann.

Eine Festanstellung im bürgerlichen Sinnbetrieb strebte niemand der damals Beteiligten an; man behielt sich vor, Interessen, Absichten und Gesten zu wechseln, wenn sie einmal nicht mehr brannten. So wurden aus Redaktionsmitgliedern schließlich vom Hauptgeschehen abdriftende Hausgeister und Herausgeber. Jüngere rückten nach, rissen ab oder bauten um, was sie vorfanden, und die Zukunft schien als stete fleißige Vernichtung der Vergangenheit und mithin permanente Herstellung absoluter Gegenwart auf unabsehbare Zeit gesichert.

Warum ich mein Heil in der Flucht suchte

„Spex“ hat bewirkt, daß man über bestimmte Themen heute in Deutschland ein bißchen weniger ahnungslos schreibt als vorher; aber dafür oft auch verbiesterter und geschmackslehrmeisterlicher. „Spex“ ist schuld, daß ein paar Autorinnen und Autoren bei schlechtester Bezahlung ihren Beruf lernen konnten, die danach unterschiedliche, mehr oder weniger auskömmliche, mehr oder weniger erwachsene Standbein-Spielbein-Kompromisse eingegangen sind, um ihren sich wandelnden Schreibhaltungen Rechnung zu tragen. Ich zum Beispiel bin zur „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ gegangen, nach einem Jahr freien Geschreibsels, das mit meinem Ausscheiden als Verantwortlicher aus der „Spex“-Redaktion im Jahr 2000 begann. Damals starb das Konstrukt „Getragen wird die Zeitschrift von ehemaligen Redaktionsmitgliedern“; die Herausgeberaufgabe erwies sich als zu riskant, um sie weiterhin als Liebhaber-Nebentätigkeit verdienter Ehemaliger verantworten zu können.

In die Bresche sprang mit viel Enthusiasmus Alexander Lacher von der Piranha Media GmbH in München, der alles erneuern, überholen, verschärfen, vertiefen und verchromen wollte, was im „Spex“-Fahrzeugpark so herumstand. Ich mochte dabei nicht helfen: Nach Monaten am Rand der Pleite, lustigen Auflagenschwankungen zwischen „geht so“ und „kein Stück“, zähen Verhandlungen um winzigste Artikel über möglicherweise irgendwie korrupte Bands auf eventuell nicht wirklich korrekten Labels und beginnendem Haarausfall erwies sich der neue, Lachersche Kurs planloser Generalüberholung als mit meiner konservativen marxistischen Grundhaltung unvereinbar. Als der neue Boss, statt sich anstandshalber persönlich zu melden, eine freundliche Dame bei mir anrufen ließ, die mir gewunden vorschlug, „doch noch zwei Monate als Übergang oder so“ an meinem Stuhl zu kleben, redigierte ich rasch einen letzten hervorragenden Artikel von Tom Holert und suchte mein Heil in der Flucht.

Was „Spex“ mit Scientology verbindet

Sechs Jahre lang hat der neue Verantwortliche Uwe Viehmann seither mit tapferen Kollegen und dem eigentlichen Kapital des Magazins, den freien Schreiberinnen und Schreibern, gegen eine Krise angewurstelt, die schon in den Jahren zuvor wenig mit Mangel an Talent und Liebe, aber viel mit veränderten ökonomischen Bedingungen und den abschmelzenden letzten nicht restlos von Profitwahn und Selbsthaß versauten Inselchen im Kulturleben zu tun hatte.

Gegen Ende meiner „Spex“-Zeit rief eine Person von einer als nonkonformistisch gehandelten Plattenfirma bei mir an und beschwerte sich ohne einen Anflug von Ahnung der Unangemessenheit solcher Klage ausführlich darüber, wie enttäuscht man in ihrem Haus über einen abfälligen Artikel sei; man habe doch so fleißig inseriert. Diese Sorte Unverschämtheit gab es in der Gründungsphase von „Spex“ und in dem Nischenweltchen, das dieses Heft anfangs bediente, nicht. Heute sitzen selbst in der kreativsten Krawallbude traurige Leibeigene, die Erfolgsquoten und Abschlüsse melden müssen, genau wie bei Scientology.

Was nun geschehen soll

Von einem Kleinunternehmer wie Alexander Lacher zu verlangen, daß er „Spex“ zum Fels in dieser Schlammflut der Verzweiflung zurechthauen kann, ist ein bißchen unfair – und so sah es bei „Spex“ eben bald aus wie in jeder anderen Kulturklitsche mit Karies in den Angestelltenverträgen: Wer gehen mußte, wurde unter Androhung einzubehaltender Honorare zur Ablieferung von Arbeitsmaterial aufgefordert, Umzüge wurden im Stottertakt angekündigt und widerrufen, Menschen zu Vorstellungsgesprächen eingeladen und nie über irgendein Ergebnis informiert, langjährigen Beschäftigten mutete man unbezahlte Mehrarbeit wie das Entwerfen neuer Heftkonzepte zu, um ihre Eignung für künftige Aufgaben bei schwindenden Ressourcen zu überprüfen.

Geredet wurde über all das nur hinter vorgehaltener Hand, über das Ganze legten sich Lähmung, Peinlichkeit, Verwirrung: „Schreib das lieber nicht, du gefährdest Jobs.“ Jetzt hat Lacher die ganze bisherige Kölner Redaktion abgeschafft, und sein neu gekürter Steuermann Max Dax, der in Zukunft in Berlin etwas machen soll, das immer noch „Spex“ heißen wird, ist so zuversichtlich, wie wir es alle waren, als wir uns 1990, 1998 oder 2000 auf Glanz und Horror dieses Magazins eingelassen haben. Alle Beteiligten haben „Spex“ immer wieder aufgebaut und immer wieder kaputtgemacht; genau das war der Witz daran.

In dem Ding, das für März und fortan alle zwei Monate angekündigt ist, werden gute und miese Artikel stehen – das ist in Ordnung und nicht so wichtig. Diejenigen Leute aber, die Lacher bräuchte und nie kriegen wird, werden anders als wir Alten früher nicht versuchen, das, was „Spex“ wollte, im selben Rahmen fortzusetzen, sondern riskieren, was die „Spex“-Erfinder 1980 riskiert haben: etwas Neues, Eigenes, Richtiges.

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