Antwort auf: Funde aus dem Archiv (alte Aufnahmen, erstmals/neu veröffentlicht)

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Cal Tjader – Catch the Groove: Live at The Penthouse 1963-1967 | Die erste CD war die letzten Tage schon diverse Male im Player und gefällt sehr. Diese Veröffentlichung betrachte ich wenigstens teils als eine Art Abkehr von den grossen/bewährten Namen (die Les McCann auf Resonance gehört da vielleicht auch dazu?) – und umso schöner, dass das so gute Musik ist! Es gibt sechs Sets von Tjaders Working Bands, 1963 mit Clare Fischer (p), Fred Schreiber (b), Johnny Rae (d/timb) und gegen Ende gibt es noch etwas Latin mit Bill Fitch (cga/perc). So ähnlich ist das auch für die restlichen Sets: es geht mit Tjader plus p/b/d los, irgendwann wechselt man vom „Jazz“ zum „Latin“ und dann stösst der fünfte Musiker dazu, der ab dem zweiten Set stets Armando Peraza (cga/bgo) ist. Das zweite und dritte Set – der Rest von CD 1 – stammen von einem Gig im Mai 1965, mit einer Woche Abstand (wöchentliche 25minütige Radio-Sets, so ähnlich wie bei den Jamal-Aufnahmen aus dem Penthouse). 1965 bestand die Band aus Lonnie Hewitt (p), Terry Hilliard (b), Rae und Peraza. Insgesamt gibt es auf dem 3-LP- oder 2-CD-Set nicht ganz zweieinhalb Stunden Musik – und das ist in hervorragender, glasklarer Aufnahmequalität.

Auf CD 2 gibt es zwei Sets vom Juni 1966 zum Einstieg. Das ist die Band, die auch im Booklet am besten dokumentiert ist, denn Carl Burnett ist der einzige beteilige Musiker, der für ein Statement zur Verfügung stand und über alle anderen Sidemen des Line-Ups, zu dem er gehörte, ein paar Worte sagt (es gibt weitere Würdigungen von Vibraphon- und Percussion-Survivorn sowie von Kindern beteiligter Musiker: v.a. von Tjaders eigenen aber auch von Brent Fischer, Brian Montgomery und Linda Zulaica). Also: Juni 1966 hören wir Tjader mit Al Zulaica (p), Monk Montgomery (Kontrabass), Burnett (d) und Peraza. Zum Zeitpunkt der letzten Session im Juni 1967 – Tjader spielte inzwischen jeden Frühling in Seattle – war Montgomery dann zurück in der Band mit seinen Brüdern, Stan Gilbert übernahm am Bass.

Musikalisch kann man leicht hören, was in den Liner Notes von verschiedener Seite bestätigt wird: wie wahnsinnig tight diese Combo über die Jahre war, egal in welchem Line-Up. Dass Tjader unter Musikern grössten Respekt genoss, überrascht da auch nicht weiter. Poncho Sanchez äussert sich auch dazu, wie Tjader – obwohl er schwedischen und weissen US-Ursprungs war – von den Latino-Musikern akzeptiert wurde, wie auch er als mexikanisch-stämmmiger Amerikaner die Cubaner und Puertoricaner erst überzeugen musste und diese ihm kaum glauben wollten, dass nicht wenigstens ein Elternteil aus Cuba oder Puerto Rico stammte. Im Repertoire finden sich Jazz-Tunes wie „Take the ‚A‘ Train“, „In You Own Sweet Way“, „It Never Entered My Mind“ (mit den dreien geht’s los), „Bag’s Groove“ oder „Lush Life“, Klassiker wie „Love for Sale“, „On Green Dolphin Street“, „I Can’t Get Started“ oder „The Shadow of Your Smile“ und natürlich allerlei Latin-Nummern, von Jobim und Bonfá („O Morro Não Tem Vez“, „Manha De Carnaval“), vom Leader selbst und seinen Sidemen. Ich kenne von Tjaders Diskographie gar nicht so viel: die ganz frühen Sachen, sieben oder acht Fantasy-Alben, drei oder vier Verve-Alben. Jedenfalls scheint diese neue Doppel-CD eine gute Ergänzung zu sein, zumal auf den Verve-Alben eher selten die Working Group als solche zu hören war – und genau das gibt es hier, und es macht wirklich grossen Spass, das zu hören.

Ein paar Sachen aus dem Booklet (28 Seiten, recht klein bedruckt): Carl Burnett schreibt, er habe anfangs auch ein wenig Vibraphon gespielt – in L.A. u.a. auch mit Roy Ayers, der dann auch mal am Klavier sass … und weil Tjader auch gerne Schlagzeug spielte, tauschten Burnett und er manchmal ihre Plätze (gemäss der Dokumentation aber nicht auf diesen Aufnahmen); im Penthouse spielte Burnette auch mit Freddie Hubbard, Gene Harris und Eddie Harris: „a nice comfortable club where the people appreciated you. Cal always had a good following there.“
Die Musiker aus Tjaders Band waren anscheinend vornehmlich Familienmenschen und brachten auch mal ihre Kinder mit auf Tour, das wird im Booklet anderswo erwähnt und von Brent Fischer (dem Sohn von Clare) bestätigt. „When Cal and Dad played at famous jazz clubs, I was the only one under 21 watching. […] Throughout their years together, there was immense respect and camaraderie between my father and Cal.“

He [Monk Montgomery] didn’t always share his thoughts on the artists he worked with, but he spoke highly of Cal Tjader. He made sure that we knew the importance of how jazz influenced other cultures and that having the ‚flavor‘ of different cultures add their contributions to jazz was really meaningful
~ Brian Montgomery, Sohn von Monk Montgomery

Poncho Sanchez erzählt, wie er mal ein Break versaut hat und sich danach bei Tjader entschuldigt hat. „He said, ‚Yay! Yay!‘ And he started clapping. I was thinking what the hell’s wrong with him? He goes, ‚Thank God you’re human. I’ve never hear you made a mistake until today.‘ That’s just one example of why I had so much respect for him: He told me, ‚Thank God you’re human'“ (Interview mit Zev Feldman, 2022).

Cal was unique. He was able to play the most complicated rhythmical patterns in the world. Those rhythmical scales began in the continent of Africa and were later crystallized in the island of Cuba. That’s what we were playing when Cal came in and he was able to comprehend these extremely complex rhythmic patterns. Of course, he was also a drummer. On the vibes, he did a tremendous job. We recorded one of his ballads, a bossa nova, „Samba do Suenho,“ which I play now constantly because it’s one of the most beautiful bossa novas I ever heard in my life.
Cal was a wonderful person. That’s why we hit it off. We were both conscientious of what we were doing. We were both artists with our own orchestra. He loved what he did, and I loved what I did. We bonded together and it was a wonderful bond. He was a musician I have the deepest respect for. As a human being, he was absolutely the best. I always have him in my hear. He lives in my heart and pays no rent.

~ Eddie Palmieri (Interview mit Zev Feldman, 2022)

Und Poncho Sanchez erzählt auch die Geschichte vom Ende Tjaders, auf Tour in Manila; wie Tjaders Frau Pat ihn und die anderen aus der Band ins Hotelzimmer gerufen habe, Tjader mit blauen Lippen und blauen Fingern dagesessen sei, ein Arzt einen Krankenwagen bestellt inkl. Rollstuhl bestellt habe. Tjader lief herum, „Oh, come on man, just give me some pills. I’ll be okay.“ habe er gesagt, Sanchez habe ihn dann in den Rollstuhl gesetzt und zum Lift gekarrt. „We knew he as in trouble. He told me, ‚Ponch, I’d rather be playing ‚Wachi Wara‘ than being in this goddamn chair right now.‘ That was a joke, because Cal hated to play ‚Wachi Wara.‘ He had to play it every night. He wouldn’t even call it ‚Wachi Wara‘ anymore. He’d just turn around and say, ‚Guys, it’s time for the national anthem.‘ Of course, we knew that he meant ‚Wachi Wara.‘ Anyway, when he made that joke, I said, ‚Cal, it’s not a time to be funny. Be quiet.‘ This was happening when I’m pushing him to the damn ambulance. That’s what kind of guy Cal was.“

Joe Locke ist der Meinung, das allein die Platte mit Stan Getz reiche, um Tjader als Teil der „rarefied company of the best vibists in the history of jazz“ zu betrachten. Als die Beastie Boys ihn für „Hello Nasty“ gebucht hatten, sei er überrascht gewesen, ins Studio zu kommen und zu hören, dass im Kontrollraum „Jazz at the Blackhawk“ von Cal Tjader life.

Gary Burton wurde auch noch angefragt, aber da er Tjader nicht kannte, erzählt er uns einfach seine Version davon, wer die wichtigsten Vibraphonisten waren, „before Bobby Hutcherson and I arrived in the ’60s, ’70s and onward“: Lionel Hampton, Red Norvo, Milt Jackson – und Cal Tjader.

Terry Gibbs hat mehr zu erzählen: Er traf Tjader um 1947 herum, als er (Gibbs) mit Budy Rich spielte. Tjader erzählte, dass er im Trio dieses unbekannten Pianisten, Dave Brubeck, Schlagzeug spiele, aber angefangen habe, mit dem Vibraphon herzumzuspielen („fooling with the vibes“, schreibt Gibbs) und ob Gibbs – nur ein Jahr älter, aber schon ein paar Jahre als Profi am Vibraphon im Geschäft – ihm nicht vielleicht ein paar Stunden geben könne. Gibbs hatte einen Schlüssel für den Club, in dem er gerade spielte und sie gingen after hours rein und er zeigte Tjader ein paar Dinge, darunter auch die „little licks I picked up by stealing from Dizzy, Charlie Parker and Bud Powell. I don’t think he knew as much about them because he was living in San Francisco and I was in New York, so I was there with those guys. I learned from them.“ „And the wildest thing is – and this was told to me by Tito Puente who was my close friend – he said that Cal Tjader, for not being a Latin, was as good as any Latin band leader. He said he really knew what he was doing in Latin music. This was a big compliment. And as a jazz player, he was really, really good. I always thought that he was in that same class. […] At the Concord Festival in 1980, he gave me a great compliment. He told the audience that I was the one who taught him how to play the vibes. I didn’t teach him how to play the vibes. I showed him a few things. Cal Tjader played like Cal Tjader.“ Gibbs kam schon bald zum Schluss, dass Tjader einer der besten Vibraphonisten sei, kaum hatte er angefangen war er schon „in the same class as Milt Jackson and I were in.“ Und Gibbs betont auch nochmal, wie sehr Tjader von allen Vibraphonisten respektiert wurde. (Guter Entschluss, Gibbs‘ und nicht Burtons Statement ans Ende des Booklets zu setzen.)

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