Antwort auf: Don Byas (1912-1972)

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friedrich

Registriert seit: 28.06.2008

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„…something is there, manifest and stubborn … beyond (or before) the meaning of words … something which is directly the (singer’s) body, brought to your ears in one and the same movement from deep down in the cavities, the muscles, the membranes, the cartilages … as though a single skin lined the inner flesh of the performer and the music he sings.“

Roland Barthes from „The Grain of the Voice“

… da gibt es etwas, klar und beharrlich … jenseits (oder vor) der Bedeutung von Worten … etwas, das unmittelbar der Körper (des Sängers) ist, das in einer und derselben Bewegung von tief aus den Körperhöhlen, den Muskeln, den Membranen und Knorpeln in deine Ohren dringt … so als ob eine einzige Haut das Fleisch des Vortragenden und die Musik, die er singt, umhüllt.“

Roland Barthes aus „Die Körnung der Stimme“

Aus den liner notes einer Ben Webster Re-Issue zitiert. Die etwas holprige Übersetzung ist von mir.

Wie beschreibe ich den Klang von Don Byas? Das schwere und gleichzeitig schöne an einer Beschreibung ist, dass sie eigentlich nicht möglich ist. Bei Ben Webster hatte ich es ja schon versucht, aber auch da gelingt es eigentlich nur, den Gegenstand einzukreisen ohne ihn richtig zu fassen zu kriegen. Dazu ist er zu vielschichtig und flüchtig und entzieht sich eindeutigen Begriffen.

Vielleicht hilft ein Vergleich weiter. Ben Webster und Don Byas als Antipoden zu betrachten ist nicht passend. Da bietet sich statt Webster eher der understatete Lester Young an – den kenne ich aber noch nicht gut genug. Aber auch im Vergleich Webster – Byas werden ihre jeweiligen typischen Eigenschaften besser erkennbar. So zart Ben Webster auch sein kann, gibt es bei ihm auch immer etwas raues und rohes, eine männliche Robustheit, die auch mal derbe wirken kann. Auch nutzt er das Klangspektrum des Saxophons weit aus, vom Hauchen bis zum Growl.

Don Byas hingegen immer samtig zart. Lang gezogene ineinander gleitende Töne, von denen jeder einzelne für sich schon ein geschmeidig modelliertes Stück Musik ist. Sein Spiel ist immer in einer tänzerischen Bewegung, schwillt an und ab, nimmt mal für ein paar Töne Tempo auf und bremst wieder ab. Byas dehnt und staucht die Töne, er macht einen kleinen Schlenker, setzt hier und da einen kleinen Akzent oder verziert einen Ton mit einem kleinen Vibrato. Don Byas ist ein Charmeur auf dem Saxofon.

Ich hatte ja schon laut darüber nachgedacht, dass dieses sehr emotional wirkende Art des Spiels offenbar mit Bebop und Cool aus der Mode kam. Dieses Spiel ist nicht nervös und akrobatisch oder kühl und zurückhaltend. Hier gibt es mehr Gefühl als Verstand, diese Musik will gefallen, berühren und sogar verführen. Aus heutiger Sicht wirkt das auch mal sentimental oder sogar melodramatisch. Aber vielleicht ist man einfach durch eine moderne, eher kühle und sachliche Ästhetik dafür verdorben? Ornament ist hier kein Verbrechen und weniger ist hier nicht immer mehr. Für mich jedenfalls eine tolle Entdeckung!

Don Byas – Lover Man (Aufnahmen 1953 und 55, Compilation 1993)

Kürzlich in der Mittagspause zog ich bei einem kleinen Plattenladen in der Gegend diese gebrauchte CD aus der Ramschkiste. Das Cover mit der blonden Mademoiselle mit den üppigen Lippen und dem freizügigen Dekolleté, der um 90 Grad gedrehten Trikolore (das ist dann die Flagge der Niederlande, oder? ;-) ) und den Herzchen ließ nicht viel erwarten, aber der Preis war heiß und etwas Arbeits-Frust ließ mich den Geldbeutel zücken. Das erwies sich als Glücksfall!

Die CD enthält drei Sessions mit 24 Tracks von Ende 1953 und Mai 55 für das Vogue-Label (hier eigentlich sehr gut wiederveröffentlicht von BMG), mit u.a. Martial Solal und Pierre Michelot sowie bei der 55er Session einem Sudi „Fats“ Lallemand am Vibraphon. So viele Aufnahmen ich inzwischen von Don Byas kenne, so sehr kann ich mich doch immer wieder für was noch nicht gehörtes von ihm begeistern. Vielleicht ist es die hier etwas bessere Klangqualität, die auch seine Begleiter etwas besser zu Geltung kommen lässt, vielleicht ist Byas hier auch besonders gut in Form und vielleicht ist es auch die abwechslungsreiche Mischung der Stücke. Wahrscheinlich alles von dem. Auf jeden Fall ist das mit das beste, was ich von ihm kenne.

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„Für mich ist Rock’n’Roll nach wie vor das beste Mittel, um Freundschaften zu schließen.“ (Greil Marcus)