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RAMONES – Too Tough to Die (1984)
Ich liebe die Ramones. Wie fast keine andere Band auf der Welt. So sehr, dass ich jedes Jahr mindestens einmal vom unaufschiebbaren Bedürfnis überfallen werde, alle Studioalben chronologisch und am besten am Stück zu hören. Und danach den End of the Century-Dokufilm nachzulegen. Diesen simplen Kerlen beim Reden und Joey beim Singen zuzuhören, erfüllt mein Herz mit einer Form der Freude, die ich bis heute nicht so ganz zuordnen und die ich auch sonst mit nichts wirklich vergleichen kann.
Die LP, die mich neben dem klassischen Trio am meisten begeistert, ist seit dem ersten Kontakt Too Tough to Die. Als ich mich damals ein bisschen informierte, wirkte es so, als wäre das Album 1984 als großer return to form gefeiert worden – zumindest hier im Forum habe ich aber längst den Eindruck gewonnen, als würde Too Tough to Die einfach als eine der ordentlicheren Platten der der mittleren und späten Phase der Band gelten.
Meine Begeisterung wurde bereits durch das Artwork entfacht. An welcher Karriereabzweigung muss man wohl richtig abgebogen sein, um so über den Dingen zu stehen, dass man sich bei ultramarinblauem, ultrastylischem und ultraviolentem (sowieso) Licht bei Nacht und Nebel am Eingang eines Tunnels ablichten lässt. Fehlt im Prinzip nur noch ein unglückseliger Obdachloser in der Ecke, der gleich die Prügel seines Lebens beziehen darf, und die Erinnerung an meinen liebsten nichtanimierten Film aller Zeiten ist perfekt. Über Joeys nonchalante Pose kann man vielleicht streiten, im Kontrast zu seinen auf toughe Haltung bemühten Kollegen rechts habe ich da aber keinerlei Einwände. Generell alles ein „lucky accident“, dieser gelungene Schnappschuss. Der Typ links, der sich vielleicht aus Respekt vor den anderen Herrschaften etwas ziert und mit eher zaghafter Positur auffällt, ist übrigens Richie Ramone.
Dieser hatte den Drumsessel von Marky geerbt, nachdem der aufgrund anhaltender Alkoholeskapaden aus der Band geworfen wurde. Glaubt man Johnnys Autobiographie, waren die Ramones nach dem letzten kommerziellen Flop Subterranean Jungle wohl nach wie vor too tough to die, aber auch too tired to give a shit. Das krampfhafte Streben nach den oberen Chartsregionen war dementsprechend endgültig ad acta gelegt und den dominierenden Pop-Einflüssen weitestgehend adieu gesagt, dabei wendete man sich eher den härteren Spielarten wie dem Anfang der 80er beliebten Hardcore-Punk und Heavy-Metal zu.
Mit diesem Schwung, der der letzten LP etwas abhandengekommen ist, rauscht das Album auch gleich ordentlich los. Auch, weil sich die Rhythmusabteilung Dee Dee und Richie schnell eingestimmt hat und Joeys gereifte Stimme sich gut an das härtere Klangbild adaptiert. Immer wieder mischt sich auch Gesellschaftskritik in die Texte, am deutlichsten auf den späten Stücken Planet Earth 1988 und Richies Humankind, auf denen Joey gegen Regierung, soziale Ungleichheiten und verkommene Werte wettert.
In höchstem Maß skurril ist aber, dass inmitten wuchtiger Riffs und apokalyptischer Zukunftsvisionen ausgerechnet vier Stücke das Gerüst der LP bilden, die nicht so recht reinpassen wollen. Auf der einen Seite ein direkt aufeinanderfolgendes Pop-Triumvirat. Wo härtere Gitarren und Drums für einen neuen Anstrich sorgen, ist es ausgerechnet die Pop-Hymne Chasing the Night, die trotz oder dank cheasy Synthesizer und Joeys Gesang die glücklichsten Momente evoziert. Auch die nicht weniger hymnenhaften Howling at the Moon (Sha-La-La) mit präsentem Keyboard-Einsatz und Daytime Dilemma (The Dangers of Love) samt herzzerreißender Melodramatik („She caught him with another / It turns out it was her mother / What a tragedy / Can things be what they seem / Is this just some crazy dream / Things may never ever be the same again“) sorgen für eine charmierende, cineastische Pop-Grandezza.
Dass diese drei aufeinanderfolgenden Stücke mit etwas über 4 Minuten unter den fünf längsten Cuts der Studioalben firmieren, ist ähnlich bizarr wie der Fakt, dass der andere, vorhin erwähnte Leistungsträger mit dem knapp einminütigen und instrumentalen Durango 95 das kürzeste Stück der Band-Geschichte ist. Auf diesem liefert Johnny an der Gitarre eine seiner besten Performances, bevor der Übergang in Dee Dee’s raubeiniges Wart Hog reibungslos vonstattengeht.
Zieht man in Betracht, dass der Großteil vom Rest absolut in Ordnung geht, darf Too Tough to Die durchaus zurecht als letzte ganz große LP der Ramones bezeichnet werden. Wo sich Aufbruchsstimmung, grimmige Gesellschaftskritik und mit Ex-Drummer Tommy Ramone der richtige Produzent treffen, da liegt ein großartiges Werk zwischen Heavy Metal-Brachialität und Pop-Feuerwerk versteckt, das ein wenig mehr Wertschätzung verdienen würde.
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