Antwort auf: Return of the GrievousAngel: Persönliche Schätze aus der weiten Welt der Kunst

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Ginga eiyū densetsu (Ishiguro Noboru; 1988-1997)

Werde ich nach meiner liebsten und der für mich besten Anime-Serie gefragt, habe ich tatsächlich zwei verschiedene Antworten parat. Eigentlich mache ich diese grundsätzliche Unterscheidung für mich nicht, deswegen ist meine liebste auch gleichermaßen meine beste – in diesem Fall weise ich aber gerne daraufhin, dass die beste Anime-Serie für mich jene ist, die die Stärken des Mediums am effektivsten und beeindruckendsten ausspielt. Das bringt uns auch schon zu einer OVA (steht für Original Video Animation – also keine Serie aus dem Fernsehen) namens Ginga eiyū densetsu, international unter der wörtlichen Übersetzung Legend of the Galactic Heroes bekannt.

Diese 110 Folgen fassende OVA wurde über einen Zeitraum von fast zehn Jahren vom Dezember 1988 bis zum März 1997 veröffentlicht und basiert auf den gleichnamigen Science-Fiction-Romanen von Tanaka Yoshiki. Wiewohl die Serie im Lauf der Zeit durchaus eine loyale, glühende Anhängerschaft gewonnen haben dürfte und wie unzählige andere Anime-Franchises mit diversen Spin-Offs und Remakes geschmückt wurde, so nimmt sie nach wie vor im populären Diskurs eine verhältnismäßig winzige Fußnote ein.

Auf den ersten Blick ist Ginga eiyū densetsu ein Sci-Fi-Epos, das einen am Beginn der Ereignisse bereits 150 Jahre andauernden galaktischen Krieg zwischen dem monarchischen Imperium und der demokratisch geführten Allianz freier Planeten schildert. Dieser Eindruck wird verstärkt, startet man, ganz der Chronologie verpflichtet, mit dem als Ouvertüre fungierenden Spielfilm mit dem poetischen Titel Waga yuku wa hoshi no taikai („My Conquest Is the Sea of Stars“) ins Rennen. Ein wildes Gefecht tobt, man sieht Figuren, hört Namen und irgendwas scheint im Gange zu sein. Bevor man sich zurechtfinden kann, laufen schon wieder die Credits ab.

So läuft das dann auch in den ersten Folgen der Serie. Beide Seiten mit ihren charismatischen Protagonisten werden mehr oder weniger endlich vorgestellt, auf Seiten des Imperiums kommt den Aristokraten zunächst eine tragende Rolle zu. Die Figuren haben Namen wie Reinhard von Lohengramm oder Oskar von Reuenthal und auch die galaktischen Kriegsschiffe und Schauplätze sind mitunter germanisch bzw. nordisch beeinflusst – der Untertitel der Serie liest sich auch in der Originalversion wie folgt: „Heldensagen vom Kosmosinsel“ (sic).

Wenn man mit beiden Seiten und ihren charismatischen Hauptfiguren von Lohengramm bzw. Yang Wenli schließlich einigermaßen vertraut ist, kann es losgehen und man sich in dieser Welt verlieren wie in keiner anderen mir bekannten Sci-Fi-Welt. Das liegt in erster Linie daran, dass dieses Universum, seine Bewohner und die Geschichte so detailreich und liebevoll geschrieben wurden, dass einem die zahlreichen Charaktere mit der Zeit wie Bekannte vorkommen und die Geschichte der Ereignisse lückenloser aufbereitet scheint als bei so manchem Staat auf dem afrikanischen Kontinent, über den nicht viel überliefert ist. Dabei ist es gerade eine Stärke des fantastischen, sehr präsenten Erzählers, immer wieder auf spätere Ereignisse hinzuweisen, die gezeigt werden könnten (oder aber auch nicht), darüber zu spekulieren, ob ein anderer Ausgang einer Situation nicht einen ganz anderen Verlauf der Geschichte herbeigeführt hätte oder auch die Gedanken und Gefühle der handelnden Figuren zu beschreiben. Immer wieder werden Hintergründe erläutert, Teile der Historie erklärt und Szenen beschrieben, denen man gar nicht beiwohnen durfte oder von denen irgendwann behauptet werden wird, dass sie sich so zugetragen haben könnten.

Was auf den ersten Blick wie gesagt wie eine hohle epische Soap Opera missverstanden werden könnte, löst sich im Verlauf als die intelligenteste, poetischste und philosophischste Serie auf, die ich bis jetzt gesehen habe. Optisch gibt es für mich nichts zu meckern und die Intrigen, die beizeiten gesponnen werden, erinnern mich im besten Sinne an das von mir ebenfalls geliebte Berusaiyu no bara („The Rose of Versailles“). Die Schicksale und detailliert geschilderten Hintergründe der einzelnen Charaktere sind bewegend, die gelegentlichen Schlachten weitestgehend ein Zeugnis strategischer Raffinesse und verhandlungstechnischem Geschick, kein kriegsverherrlichendes, großes Spiel von Muskeln und Effekten, obwohl es zwischenzeitlich auch sehr brutal zugehen kann. Unbemerkt drängt sich die Frage auf, ob eine Demokratie mit ihren offensichtlichen Schwächen einer im besten Gutdünken geführten Diktatur unter einem gütigen Herrscher und unter besonderen Umständen nicht doch unterlegen sein könnte. Das bringt mich zu einem weiteren Aspekt, der den Anime für mich so grandios macht und keinen wirklichen Spoiler darstellt: Selbstverständlich kann man sich in jeder erdenklichen Hinsicht zwischen den beiden Mächten positionieren, aber die in ihrer jeweiligen Weise auf das Beste bedachten Absichten und die philosophischen und moralischen Standpunkte der beiden Protagonisten machen eine Deklarierung in klassischer Sicht des bösen Imperiums und der guten, für Autonomie, Freiheit und Demokratie kämpfenden Allianz zumindest in meinen Augen nicht möglich. Und wenn die 110. und letzte Folge schließlich ihr Ende findet, möchte man direkt wieder neu beginnen.

Ich hoffe, ich habe jetzt keinen Blödsinn erzählt und in Berufung auf meine nicht mehr ganz frische Erinnerung keine wesentlichen Punkte vergessen, die Ginga eiyū densetsu für mich zu einer der lohnendsten Erfahrungen in meinem bisherigen Leben und eben zum ultimativen Anime machen. Ist aber auch egal, denn ein enthusiastischeres Urteil kann ich kaum sprechen. Wer mit dem Medium zwar gut kann, von dessen Stärken aber nicht restlos überzeugt ist, könnte hier womöglich eine gute Entdeckung machen. Es wird einem zwar viel abverlangt, dieses Opfer wird aber ungleich großzügiger vergütet. Ginga eiyū densetsu ist Liebe und Hass, Loyalität und Verrat, Idealismus und Pragmatismus, Exzess und Mäßigung, Wahrheit und Lüge, stille Poesie und rauschende Gewalt und zu guter Letzt eine Empfehlung von Herzen.

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