Antwort auf: Who’s Gladys Thompson, anyway? (Auf der Suche nach Chuck Thompson, Jazz-Drummer)

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redbeansandrice

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Es gibt ein paar neue Highlights in der Kirtland Bradford Forschung… Zunaechst gibt es Lebenszeichen der Familie Carr aus dem 1910er Zensus… Die Kernfamilie in Gunnison, Colorado, ist seit 1900 von 9 auf 4 Mitglieder geschrumpft, der Vater ist gestorben, von den Erwachsenen ist neben der Mutter nur noch Bruce da, dazu die 13jaehrige Ora, die drei Jahre spaeter den kleinen Kirtland bekommen sollte, und der verwaiste Cousin Harlow. Die 16jaehrige Irene lebt mittlerweile mit ihrer Schwester, der 23jaehrigen Carra in Denver, zur Untermiete in der Familie der weissen Goldschuerfers Ephriam Gilman. Carra hat scheinbar einen Job, der reicht, um wenigstens eine der Schwestern durchzubringen…

Am 4 Februar 1913 stirbt dann der 15jaehrige Harlow in Boise, Idaho, als Beruf wird Rancharbeiter angegeben. Das ist 9 Tage vor Kirtlands Geburt im gleichen Ort – Ora und Harlow waren also mittlerweile beide in Boise, wo ihre Schwester Edna wohnte. Auch Beatrice, die zweitaelteste scheint hier zu sein, jedenfalls unterschreibt sie Harlows Totenschein. Ich lese das so, dass vermutlich die Mutter gestorben war, und sich die grossen Schwestern soweit es ging kuemmerten – jedenfalls hatte man wohl die Zelte in Gunnison abgebrochen, Harlow arbeitete auf einer Ranch und Ora war hochschwanger. Die bislang naechsten Lebenszeichen der Familie sind dann aus San Diego 1919 und 1920.

Das eigentliche Highlight in der heutigen Lieferung ist allerdings der Totenschein von Kirtlands Tante Carra Viola Allen aus dem Jahr 1944… Wir erinnern uns: Bei ihrer Heirat mit Charlie Ward 1926 hatte Kirtlands juengere Tante Irene die Adresse 1804 E 109th St angegeben, Kirtland hingegen bei seiner Einreise nach Hawaii 1935 die Adresse 1824 E 109th St angegeben. Ein Tippfehler? Und wer wohnte unter diesen Adressen? Jetzt ist es ja so, dass in der Heiratsurkunde fast nichts stimmt, Vor- und Nachname der Braut sind falsch geschrieben, im Alter ein Zahlendrehen 23 vs 32, die Namen der Brauteltern voellig fiktiv, bei den Eltern des Braeutigams steht dagegen „Birthplace unknown“ bei Vater und Mutter, was auch kurios ist, mehr als den Bundesstaat braucht man nicht… Kirtlands Mutter Ora war als Zeugin dabei. Alles in allem also ein Dokument, in dem einen Tippfehler in einer Hausnummer nicht voellig ueberraschen wuerde… Schliesslich ist noch zu sagen, dass das nur Irenes Adresse ist, denn Charlie ist in der Navy.

Die beiden Adressen East 109th St Nummer 1824 und Nummer 1804 liegen 50m auseinander und mitten im Zentrum von Watts, 300m von den Watts Towers (deren Entstehung ein spannendes Thema fuer sich ist, wiki). Die Towers waren damals allerdings noch lange nicht fertig und auch die Haeuser waren ziemlich neu. Wer wohnt also dort und was haben sie mit den Karrs zu tun? Bei der 1824 ist die Antwort einfach. Hier wohnte Schwester Carra mit ihrem Mann Claude D Allen. Im 1930er und 1940er Zensus sind nur die beiden als Bewohner eingetragen, aber das heisst ja nicht, dass dort nicht noch andere Familienmitglieder zumindest vorruebergehend Unterschlupf fanden – so wie Irene… oder Ora spaeter dann Kirtland… Jedenfalls hat zumindest der ab 1927 verwaiste diese Adresse 1936 als Heimatadresse verwendet, und ich bin geneigt zu vermuten, dass er dort zumindest teilweise aufgewachsen ist.

An diesem Punkt koennte man beschliessen, dass die 1804 einfach ein Schreibfehler oder eine Fehlinformation war… Es gibt zwei Gruende, das nicht zu tun: Erstens wohnten dort ziemlich interessante Leute, und zweitens taucht der Familienname Ward zumindest indirekt in dieser Familie auf. Es waere also denkbar, dass Irenes Mann Charlie ein Neffe oder dergleichen der Bewohner von Hausnummer 1804 war, der dort vielleicht vorruebergehend wohnte und so die Nachbarstoechter kennenlernte… Im Haus Nr 1804 wohnte der Bauunternehmer und spaeter Pfarrer Paul G Bontemps, Spross einer bedeutenden kreolischen Familie aus New Orleans, der in eine noch bedeutendere Kreolenfamilie eingeheiratet hatte, ein entfernter Schwager von Kid Ory. Als seine Tochter Ruby in den 20er Jahren heiratete, trug sie unter Rasse „Creole“ ein, waehrend ihr Mann „Negro“ angeben musste. (Das war so ein charmantes Formular, wo man bei Bedarf das Wort „White“ durchstreichen musste, und durch etwas passendes ersetzen.) Tatsaechlich wissen wir auch ohne meine Recherchen sehr viel ueber die Familie Bontemps, denn der Sohn Arna Bontemps war einer der bedeutendsten Schriftsteller der Harlem Renaissance. [Ich muss zugeben, dass mir der Name nicht sagte, ich kannte nur Langston Hughes, Arna war dahinter wohl sowas wie die Nummer drei… Charlie Parker ist halt auch viel bekannter als Sonny Stitt.] Entsprechend, gibt es Doktorarbeiten ueber die Jugend von Arna Bontemps, in denen das schwierige Verhaeltnis des Vaters zur afroamerikanischen Bewegung beleuchtet wird, sein Verhaeltnis zum Jazz, er war Hobbymusiker, und vieles mehr. Ein einschneidender Moment in der Entwicklung des jungen Dichters war etwa der Besuch seines Grossonkels Buddy Ward, einem echten Original aus New Orleans… Arna schrieb einen Roman und ein Musical basierend auf Buddy’s Geschichten, aus dem Musical kennen wir alle den Song „Come Rain or Come Shine“ (lyrics sind allerdings von Johnny Mercer)… Arna ging 1924 nach New York, das war zu frueh um Kirtland noch zu treffen. Aber irgendwie gefaellt mir die Idee, dass der Waisenjunge Kirtland in diesem kultivierten Haus ein und aus ging… Jedenfalls war Carra scheinbar eine Art von sozialem Aufstieg gelungen, und es scheint plausibel, dass der junge Kirtland daran teilhatte.

edit: die Geschichte von Arna Bontemps, Paul Bontemps und Onkel Buddy Ward ist so oder so spannend, hier steht viel dazu, zB:

[..] Buddy turned out to be everything Paul Bontemps sought to avoid. Buddy used the word „nigger“ with a casual ease that Paul openly condemned, and he brought loud, drunken friends to the house. In Arna’s estimation, „they were not bad people.“ But they were „what my father described as don’t-care folk.“ And, to make matters worse for Paul, „Buddy was still crazy about the minstrel shows and minstrel talk that had been the joy of his young manhood. He loved dialect stories, preacher stories, ghost stories, slave and master stories. He half-believed in signs and charms and mumbo-jumbo, and he believed whole-heartedly in ghosts.“ Paul Bontemps had a word for such a person, and that word was „colored.“ To his distress, Buddy and Arna spent long hours together; his son loved the old man and was fascinated by his stories of the South.

The conflict between Paul Bontemps and Uncle Buddy was nothing less than a struggle for young Arna’s soul. It was one man’s West against another man’s South; it was disciplined practicality against joyful folkways. It was hope for an integrated future versus love of a racial past. And as the years passed, Arna began to understand the dynamics of that struggle. When his father sent him to the Adventist academy in the San Fernando Valley, Arna „took it that my father was still endeavoring to counter Buddy’s baneful influence.“ There was more to it than that: Paul needed to take a well-paying masonry job outside the city, and the San Fernando Academy offered an excellent academic environment for his smart son. No doubt, though, Paul Bontemps hoped the distance between Arna and Buddy would be advantageous. Hence, his admonition to Arna: “ ‚don’t go up there acting colored.‘ „

(wie gesagt, eine direkte Verbindung zu Charlie Ward gibt es bis auf weiteres nicht – aber es waere chic)

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