Antwort auf: Funde aus dem Archiv (alte Aufnahmen, erstmals/neu veröffentlicht)

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gruenschnabel

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nail75

gypsy-tail-wind

Wer glaubt, dass die späten Weather Report live sicher sperriger waren als auf Platte, wird hier eines Besseren belehrt.

Ja, live setzen sie manchmal zu einer Art Schaulaufen an, das mir z.T. missfällt. Von daher überzeugen mich weder die „Legendary Live Tapes“ noch die „8:30“ in Gänze.

gypsy-tail-windIch glaube, die grosse „Falle“ bei WR ist ja, dass alle denken, das Zeug mit Jaco sei gut … dabei ist eigentlich alles davor besser, wenigstens wenn man vom Jazz her kommt und nicht von der Muzak-Fusion, die halt damals auch recht gross war. Nicht, dass ich Shorter oder WR dieser zuorden würde, für mich gibt es da immer wieder Dinge zu entdecken, die mich faszinieren – aber es ist eine völlig andere Musik, die da entsteht, auskomponiert, durchdacht – mit dem freien Geist der Anfangsjahre hat das nicht mehr viel zu tun.

Ob „alle“ das denken, stelle ich mal stark in Frage. Im RS-Forum z.B. habe ich außer von mir selbst bislang kaum Gutes über die Jaco-Jahre gelesen. Aber ich komme natürlich auch nicht vom Jazz, sondern klar vom Rock. Neulich hat hier mal jemand sinngemäß geschrieben, es sei schwer vorstellbar, dass sich Leute das heute noch mit Freude anhören könnten. Ich müsste das mal wieder testen (meine WR-Phase war vor wenigen Jahren mal), aber ich vermute, dass ich alles andere als „fertig“ damit bin.
Sicher wurde die Musik im Laufe der Zeit tendenziell stärker auskomponiert als z.B. auf den ersten beiden Alben. Diese Tendenz gab es schon vor Jacos Einstieg. Und gefälliger wurde sie sicherlich auch. Ich wüsste nicht, ob z.B. Zawinul das mit dem „freien Geist“ so teilen würde. Er und wohl auch Shorter sahen das wohl eher so, dass die Combos vor Jaco einfach noch nicht so stabil funktionierten und auch stilistisch noch nicht wunschgemäß ausgerichtet waren. Die Unzufriedenheit über qualitative Schwankungen der Live-Gigs ist mir in Erinnerung. Der „freie Geist“ ergab sich also womöglich aus einer stets suchenden Haltung heraus – was man ja durchaus schätzen kann. Jaco war aber dann wohl so eine Art „Missing piece“ für sie.

nail75Das stimmt komplett, ich finde die frühe Band, die noch ganz eindeutig in der Tradition von Miles Davis elektrischen Bands steht, wesentlich besser und interessanter. Dadurch dass der große kommerzielle Erfolg mit Jaco kam, gilt das gemeinhin als die „Hochphase“, siehe beispielsweise:
https://de.wikipedia.org/wiki/Weather_Report
Wenn man die Kreativität zum Maßstab nimmt, dann reicht nichts an „Live in Tokyo“ heran, jedenfalls meiner Meinung nach :)

Ich kann sehr gut nachvollziehen, dass die ersten Jahre/Alben mit Pastorius recht schnell als „Hoch-“ oder auch „Blütephase“ wahrgenommen wurden. Da rastete mit Jaco etwas ein, was ich eine „spektakulär glückliche Konstellation“ nennen würde.
Mich würde übrigens sehr – und gerne auch detailliert/vertiefend – interessieren, woran du die unübertroffene Kreativität der „Live in Tokyo“ festmachst.

gypsy-tail-wind
Ich mag ja WR ziemlich lang, eben auch bis in die Jaco-Phase hinein, inkl. des Live-Sets, das nail oben erwähnte. Aber die frühen Sachen, experimentell, mit offenem Gestus gespielt und irgendwie sehr räumlich, finde ich endlos faszinierend, später ist das einfach gut gemachte Musik, aber es atmet in etwa soviel wie das Werk von Steely Dan (also gar nicht, es steht einfach da, in seiner ganzen Pracht, ist aber quasi auch bereits gerahmt und hinter Glas oder gleich in eine Plexiglaswürfel gegossen, dami tman es drehen und wenden von allen Seiten bewundern kann).

Ich vermute, dass meine Bedenken hinsichtlich deiner Formulierungen ins Grundsätzliche gehen. Aber lieber fragend: Hat deine Plexiglas-Assoziation in erster Linie mit den zuvor ins Spiel gebrachten Begriffen „komponiert“ und „durchdacht“ zu tun?
Mit „gerahmter Pracht“ habe ich hingegen überhaupt keine Schwierigkeiten. Ich nehme es zwar bei WR überwiegend nicht so wahr, aber ja: Musik kann das wohl auch (wie vieles andere) sein, und ich kann mich für ausgestellt Prächtiges ohne Mühe erwärmen. Kann es für meine Begriffe gar nicht häufig genug geben.
Der Aspekt der ‚Bewunderung‘ hingegen ist bei den Jaco-Sachen kein großes Ding für mich. Wobei: Doch, klar, ich bewundere da wohl ziemlich viele Sachen, die in den besten Momenten fantastisch zusammenspielen (wie für mich auf den ersten Alben noch nicht in der gleichen Weise) – aber das ist eine Art von Bewunderung, die ich dann wohl jeder Musik entgegenbringen könnte, die vergleichbar stimmig und mitreißend ist. Auch auf den gefälligeren Studioalben nehme ich den Aspekt des Erheischens von Bewunderung aber praktisch kaum wahr. Mitunter jedoch – wie oben erwähnt – auf „8:30“.

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