Antwort auf: Funde aus dem Archiv (alte Aufnahmen, erstmals/neu veröffentlicht)

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Dodo Marmarosa – On the Coast 1945-1947, 1952 (Uptown, 2 CD, 2018) | Wegen meiner Bemerkung zum Dolphy-Release von Resonance kam mir noch die andere CD in den Sinn, die ebenfalls schon 2018 erschien, aber erst Ende Dezember und damals nur in den USA greifbar … eine grossartige Zusammenstellung, die gerade zweimal lief. Die Liner Notes sind schon recht informativ, aber sie halten sich nicht an die Abfolge der Sessions (gehen aber auf diese in der Regel ein), während die Anordnung der Stücke eben auch nicht chronologisch ist. Aber bei einer solchen Schatztruhe von Aufnahmen eines der ersten unmittelbaren Bud Powell-Nachfolgers (die anderen sind Joe Albany, George Wallington – beide wie Marmarosa mit sizilianischen Wurzeln – und Al Haig) ist das vernachlässigbar, denn es geht ja um die Musik und die hat es mehr als in sich! Die traurige Story von Marmarosa wird in wenigen Abschnitten umrissen – von Matrosen verkloppt, vermutlich danach geschädigt, er musste eigentlich dauernd beaufsichtigt werden, sonst war er plötzlich weg (und arbeitete dann auch plötzlich bei der Wäscherei am Bügeleisen). Sein Spiel wurde aber u.a. von Artie Shaw sehr geschätzt, er tauchte auch später hie und wieder auf, es gibt eine ältere Uptown-CD mit einem Mitschnitt, wo er zurück in Pittsburgh ist, 1958, und dann natürlich die Trio- und Quartett-Aufnahmen mit Gene Ammons von 1962 (Sam Jones, Marshall Thompson), die auf dem Fantasy-Twofer bzw. dessen CD-Reissue „Jug and Dodo“ greifbar sind.

Auf CD 1 ist Lucky Thompson der zentrale Sideman (drum ist das 2-CD-Set für @redbeansandrice Pflicht, falls Du’s nicht eh längst hast!). Er spielt schon bei der ersten Band mit, einer Session der Boyd Raeburn All Stars mit Ray Linn, Britt Woodman, Harry Babasin und Jackie Mills (und auf einem Stück Frankie Laine), die im März 1946 mitgeschnitten wurde. Der nächste Broadcast stammt vom Mai oder Juni 1946 und präsentiert das Lucky Thompson Quartet (mit Marmarosa, Babasin und Mills) neben dem Trio von Vivien Garry (sie spielt Bass, Wini Beatty sitzt am Klavier, als Hahn im Korb ist Arv Garrison an der Gitarre dabei – ein sehr guter Mann, dem man auch mal ein wenig nachspüren müsste, was wohl im Gegensatz zu Garry auch mit Aufnahmen machbar ist). Es gibt je zwei Stücke zu hören – und ja, schön hat man Garry nicht weggelassen, auch wenn es Thompson ist, der mit einem wunderbaren „Body and Soul“ die Lorbeeren heimnimmt. Weiter geht es mit zwei Solo-Stücken von ca. Februar 1946 erneut fürs Radio aufgenommen.

Dann folgt erneut das Quartett, diesmal aber unter Marmarosas Leitung und mit einem viel besseren Bassisten, Ray Brown (weiterhin Mills am Schlagzeug), die Session fand am 11. Januar 1946 statt und erschien auf dem Label Atomic – zwei weitere Stücke ohne Thompson stehen am Anfang von CD 2. Auf CD 1 folgen dann zwei Trio-Stücke mit Barney Kessel und Gene Englund, in denen rasch klar wird, wie gut Marmarosa und Kessel harmonieren, auch sie erschienen auf Atomic, hier ist nur das Aufnahmejahr (auch 1946) bekannt. Danach hören wir erneut das Thompson Quartett mit einer Session für Down Beat, bei der sechs Stücke entstanden. Jetzt ist Red Callender am Bass dabei, auch er deutlich flexibler als Babasin. Dann folgen als letzte Stücke eines mit Miss Danna (voc) und dem Marmarosa Trio (unbekannte Musiker and Gitarre und Bass), die Hälfte einer Single auf IRRA – ich glaub dazu steht in den Liner Notes nichts, aber sie sind so unübersichtlich, dass ich gar nicht erst suchen mag. Und zuletzt hören wir Marmarosa mit Lyle Griffin and His Orchestra, auch hier nur ein Stück, mit Al Killian (t), Griffin (tb), Hal McKusick (as), Thompson (ts), Babasin (b) und Cee-Pee Johnson (tom-tom). Auch zu diesen letzten Stücken steht wieder nur „1946“ dazu, das Griffin-Stück erschien ebenfalls auf einer Atomic-Single.

Die CD 2 öffnet wie erwähnt mit den zwei Trio-Stücken von Dodos Atomic-Session vom 11. Januar 1946, dann folgen zwei MacGregor Transcription-Platten (#518 und #598) mit insgesamt zehn Stücken im Trio mit Kessel und Englund, aufgenommen am 16. Juli 1947 – ganz feine Aufnahmen! Danach ist die Band von Ray Linn mit einem Marmarosa-Stück zu hören (er spielt nicht mit, Gitarrist Al Hendrickson, Flötist Harry Klee – hier auch am Altsax – und Drummer Jackie Mills sind die halbwegs bekannten Namen neben dem Leader an der Trompete, zudem sind Joe Hoard-tb, Mahlon Clark-cl, Tommy Todd-p und Phil Stephens-b dabei, das Stück erschien auf Encore, es wurde 1946 aufgenommen). Danach folgen vier sehr schöne Stücke der Barney Kessel All Stars, eine Atomic-Session (vier Stücke) vom 7. Juni 1945 mit einem super aufgelegten Herbie Steward am Tenorsax, Johnny Whyte-vib, Morris Rayman-b und Louis Fromm-d.

Zum Abschluss gibt es erneut Jams mit grösseren Bands, zunächst die Just Jazz All Stars von der Jubilee Transcription #229 (ca. Ende April 1947): Howard McGhee-t, unbekannt-tb, Steward-ts, Arnold Fishkin-b, Mills-d, und auf dem zweiten, überlangen (7 Minuten) Medley von „Rose Room“ und „In a Mellow Tone“ Woody Herman an der Klarinette. Den Ausklang machen dann zwei sehr lange Stücke (zusammen fast 24 Minuten), die Marmarsoa am 17. August 1952 mit den Lighthouse All-Stars des Bassisten Howard Rumsey dokumentieren. Mit dabei sind auch Shorty Rogers-t, Milt Bernhart-tb, Jimmy Giuffre-ts und Larry Bunker-d.

Für alle, die am Bebop Interesse haben, inklusive Übergang vom Swing (Lucky Thompson, Jackie Mills), aber auch an der zweiten Generation der Bebop-Pianisten, ist das eigentlich ein Muss! Die einen oder anderen Tracks kennt man ev. von anderen Compilations, für mich war das praktisch alles neu, und umso begeisterter bin ich gerade! Marmarosa, Thompson, Kessel sind allesamt super drauf, Steward war für mich die grosse Überraschung, kleine gibt es u.a. von Britt Woodman (ein tolles Solo in der ersten Session), Woody Herman und auch mit dem Trio von Vivien Garry. Schade nur, dass die Liner Notes nicht so super sind wie z.B. bei den Mingus- oder Allen Eager-Sets von Uptown … aber in den letzten Jahren wurden sie eh verstärkt – und ganz wie mein obiger Name-Dropping-Abriss – beschreibend, eher denn analysierend, ergänzend, vertiefend.

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