Antwort auf: 1968 im jazz

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friedrich

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vorgarten

friedrichUnd Rock gewann ja auch künstlerisch immer mehr an Komplexität und konnte ernst genommen werden. Um da mitzuhalten, mussten Bläser im Jazz sicher ziemlich tief Luft holen. Da schielte der Jazz wohl manchmal etwas neidisch in diese Richtung. Oder ist das eine allzu steile These?

über mangelnde komplexität im jazz musste man sich ende der 60er wohl kaum beschweren. auch klingt „neidisch“ so, als ginge es um eine charakterfrage, wo es doch wahrscheinlich eher darum ging, dass jazz clubs schlossen, festivals plötzlich vor allem rock acts einluden, die plattenfirmen es sich sehr einfach ausrechnen konnten, was sich verkaufen wird und was sehr viel weniger. einen job zu haben oder im nächsten jahr schon nicht mehr, das kann einen ja schon umtreiben. aber natürlich gab es musiker, die im rock nicht nur den kommerz und die arbeitsmöglichkeiten sahen, sondern auch die neuen sounds, die lautstärke, ein medium für politischen protest, ein kommunikationsmittel einer neuen generation (und da ist miles natürlich nochmal ein anderer fall als coryell).
wie das alles zusammenläuft, auseinanderbricht, sich infrage stellt, kriege ich weniger in steile thesen verpasst, als dass es mir spaß macht, genauer hinzuhören. 1968 ist ganz bestimmt kein jahr, in dem viele großartige jazzaufnahmen entstanden sind – aber bestimmt eines der vielfalt, des ausprobierens, der ratlosigkeit und der aufregenden widersprüche.

friedrichEin rising electric guitar star am Jazzhimmel des Jahres 1968 war wohl der hier schon mehrfach erwähnte George Benson. Was machte der eigentlich 1968?

in der ersten hälfte des jahres spielt er quasi auf jeder blue note session mit: hank mobley (REACH OUT), larry young (HEAVEN ON EARTH), lee morgan (TARU), lou donaldson (MIDNIGHT CREEPER) – dann ist er auch schon leader (s.o.). die wärme und flüssigkeit von bensons spiel hat ja schon eine spezifische qualität, dafür musste man dann auch schnell CTI erfinden.

Nein, über mangelnde Komplexität im Jazz konnte man sich Ende der 60er nicht beklagen. Aber man konnte sich auch immer weniger über mangelnde Komplexität im Pop beklagen.

Ich drücke es mal anders aus: Die Entwicklungen in Pop, Rock und natürlich auch im R&B (James Brown, Sly Stone, Curtis Mayfield, Issac Hayes …) der damaligen Zeit waren wohl eine Herausforderung. Würde ich etwas von Wirtschaft und Technik verstehen, könnte ich vielleicht sagen: da gab es technische und künstlerische Innovationsschübe, die zu deutlichen Qualitätsteigerungen führten, mit denen sich die Gunst des Publikums verschob und damit auch die wirtschaftlichen Verhältnisse auf dem Musikmarkt in Bewegung kamen. Jazz tat sich damit offenbar etwas schwer.

Die Frage „Was machte George Benson 1968?“ hatte ich ja teilweise schon selbst beantwortet. Ich kenne das Album The Shape Of Things To Come bloß oberflächlich. Aber der Titel scheint zumindest für George Benson selbst durchaus zukunftsweisend zu sein. Ja, genau (auch) dafür hat Creed Taylor CTI erfunden und damit nicht nur wirtschaftlichen Erfolg gehabt. Viellecht ist die Frage „Was machte Creed Taylor 1968?“ gar nicht so dumm.

„spezifische Qualität“

– das klingt ja fast schon gemein! ;-)

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„Für mich ist Rock’n’Roll nach wie vor das beste Mittel, um Freundschaften zu schließen.“ (Greil Marcus)