Antwort auf: Konzertimpressionen und -rezensionen

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Vicenza, Chiesa di San Michele ai Servi – 27.09.2018

Franz Hauk, Orgel

BACH: Toccata und Fuge d-Moll BWV 565
KERLL: Capriccio sopra il Cucù
STORACE: Ballo della Battaglia
PASQUINI: Toccata con lo scherzo di Cuccò
PACHELBEL: Fuga C-Dur („Nachtigall“)
MOZART: Fantasia f-Moll KV 608
BACH: Choralvorspiel „Wachet auf, ruft uns die Stimme“ BWV 645
BACH: Choralvorspiel „Wer nur den lieben Gott lässt walten“ BWV 647
LEFÉBURE-WÉLY: Sortie Es-Dur

Zum Auftakt im Urlaub in Norditalien gab es im Rahmen des XX: Festival Concertistico Internazionale – Organi storici del Vicentino, das vom 9. August bus zum 16. Dezember an diversen Orten stattfindet, ein etwas über eine Stunde dauerndes Orgelkonzert in einer der zahlreichen Kirchen von Vicenza mit dem deutschen Organisten Franz Hauk. Wie der Liste der gespielten Stücke (es folgten noch ein oder zwei Zugaben) unschwer zu entnehmen ist, war es wenigstens teils ein ziemlich tierisches Programm mit eher leichteren Stücken von ordentlichem Unterhaltungswert. Eine feine Sache, doch ist Orgelmusik insgesamt mir noch immer sehr wenig vertraut, so dass ich eigentlich überhaupt nichts weiter sagen kann. Das erste von gleich zwei Konzerten, in deren Genuss ich völlig ungeplant kam.

Matinée al Chiericati – Vicenza, Palazzo Chiericati – 30.09.2018

Archi dell’Orchestra del Teatro Olimpico:
Filippo Lama (Einstudierung), Rececca Innocenti
Violine
Nicola Sangaletti Viola
Leonardo Duca Cello
Fabio Maini Klarinette

SCHUBERT: Streichtrio Nr. 1 B-Dur
BRAHMS: Klarinettenquintett h-Moll Op. 115

Am Sonntagmorgen um 11, dem Tag, an dem die Reise mich dann schon weiter nach Treviso führte, fand im Salone d’Onore, dem grossen Saal im ersten Stock des Palazzo Chiericati, eins der Matinée-Konzerte statt, die das Orchester des nebenan liegenden Teatro Olimpico veranstaltet. Das Theater ebenso wie der Palazzo stammen von Palladio, dem vermutlich wichtigsten Sohn der Stadt. Der Palazzo stand einst direkt neben der Anlegestelle der Schiffe, die auf dem damals noch schiffbaren Bacchiglione von Chiogga und/oder mit Abzweigung in den Naviglio del Brenta von Venedig her kamen. Der Palazzo mit der repräsentativen Fassade und den offenen Loggien, von denen aus das Treiben an der Anlegestelle beobachtet werden konnte, sollte das erste sein, was bei der Ankunft von Vicenza erblickt wird.

Filippo Lama, der beim Konzert die (erste) Violine spielte, wirkt beim Orchester als „Tutor“, was immer das genau heisst. Jedenfalls studierte er mit den anderen das unvollendete Streichtrio von Schubert und das grosse Klarinettenquintett von Brahms ein. Auch das ein kurzes Konzert, sehr unterhaltsam, mit viel Gusto gespielt vor dem wie üblich eher unruhigen Publikum, das in raschelnden Jacken da sass (es waren ja nur noch 20-25 Grad, da braucht man halt schon die Dauenjacke) und hustete. Dennoch auch das schön, vor allem wegen dem feinen Stück von Brahms, das ich im Konzert vor vielen Jahren mal gehört habe, seither aber auch auf Aufnahmen nicht – muss ich bald wieder nachholen. Bei Schubert war der zweite Satz, das (unvollendete?) Andante, ziemlich toll. Das Orchester wird übrigens vom Pianisten Alexander Lonquich geleitet, den ich schätze (z.B. Mozart mit Frank Peter Zimmermann oder auch – im Konzert letzte Saison – die fünf Cello-Sonaten von Beethoven mit Nicolas Altstaedt).

An den nächsten Stationen, Treviso und Udine, wo ich nur drei bzw. zwei Nächte war, gab es wie in Vicenza einiges zu sehen, Udine gefiel mir insgesamt sehr gut (Vicenza ist zu touristisch, Treviso zu provininziell, aber beides sind Städte, in denen man einiges anschauen kann, in Treviso gab es z.B. in der Casa dei Carrarresi gerade eine hochkarätige Ausstellung mit Malerei des Cinquecento „Da Tiziano a Van Dyck“ und im obersten Teil des Gebäudes zudem eine tolle Fotoausstellung mit Hundebildern des Magnum-Photographen Elliot Erwitt. Ein Besuch ist auch das Museo Civico Lucio Ballo wert, das Kunst aus dem 20. Jahrhundert und vornehmlich aus der Gegend zeigt (einigen Namen begegnete ich dann in Udine in der Casa Cavazzini noch einmal, wo es zudem gerade eine ziemlich tolle Ausstellung mit Kunst – Installationen, Videos – aus Korea zu sehen gab). In Udine sollte man natürlich die Tiepolo-Galerie im Palazzo Patriarcale nicht verpassen, aber generell gefiel mir dort die Stimmung sehr gut. In Treviso fand ich übrigens den einzigen wirklich lohnenswerten Musikladen der Reise, er heisst Mezzoforte und ich deckte mich mit ein paar Jazz-CDs und ein klein wenig Klassik ein (die Läden, die ich in Vicenza, Udine und Triest fand, waren entweder enttäuschend oder nicht für mich – ausser natürlich die Filiale von La Feltrinelli in Triest, die Läden sind ja eigentlich immer gut).

Triest, Teatro Lirico Giuseppe Verdi – 6.10.2018

Orchestra della Fondazione Teatro Lirico Giuseppe Verdi di Trieste
Lera Auerbach
Klavier & Leitung

HAYDN: Ouvertüre „L’isola disabitata“
MOZART: Klavierkonzert Nr. 20 d-Moll KV 466 (Kadenzen: Auerbach)

AUERBACH: Eterniday (Homage to W.A. Mozart)
HAYDN: Symphonie Nr. 49 f-Moll („La Passione“)

In Triest war ich dann fünf volle Tage (sechs Nächte) und das war eine gute Entscheidung. Einerseits bietet die völlig untouristische Stadt ziemlich viel (dass die ganze Uferpromenade wegen der stets am zweiten Wochenende im Oktober stattfindenden Regatta La Barcolana völlig verstellt war, hätte nicht sein müssen, war am Ende aber auch nicht weiter schlimm), andererseits war es nach den drei ziemlich provinziellen Städten eine gute Abwechslung. Am Samstagabend, meinem zweiten Abend dort, ging es ins grosse Theater (die Oper, von der Fassade abgesehen nach Plänen vom gleichen Architekten wie La Fenice in Venedig), wo die Pianistin Lera Auerbach mit dem Orchester des Hauses auftrat. Das Programm wurde schon am Freitag geboten, es bot einen etwas seltsamen Mix von Werken der Wiener Klassik und Auerbach selbst, deren „Eterniday“ nach der Pause erklang, ein ca. zwanzigminütiges Werk für ein Streichquartett (2 v, vla, vc, b), Celesta (glaub ich) und grosse Trommel sowie Streicher. In der Klangsprache bewegt sich das wohl irgendwo zwischen Schostakowitsch und stilleren zentral- und osteuropäischen Klängen (Kancheli, Pärt, was weiss ich). Auerbachs Auftreten als Dirigentin fand ich nicht sehr ansprechend, aber das war unerheblich, denn das Orchester schien mir sehr ordentlich, gerade in der feinen Haynd-Symphonie zum Abschluss, und der grosse Brocken im ersten Teil stellte Auerbach auch als Pianistin vor. Da ging es im feinen d-Moll-Konzert Mozarts viel flamboyanter zu, mit grösseren Gesten und mehr Bewegung als kurz davor hier in Zürich mit Till Fellner/Bernard Haitink, die KV 482 aufführten (s.o.). Der Clou – oder die Katastrophe? – waren aber Auerbachs zwei eigene Kadenzen, ausufernd, die harmonische Sprache der Wiener Klassik weit hinter sich lassend, vermutlich doppelt so ambitioniert und pompös als die Kadenzen von Busoni, die ich wissentlich nie gehört habe (gibt es Aufnahmen, in denen sie erklingen?) … sie waren ermüdend (die zweite weit mehr als die erste, obwohl sie kürzer war – hatte der Effekt des Neuen sich da schon etwas abgenutzt?), sie waren unpassend, aber schlecht waren sie nicht, und sei es, weil sie zum Denken anregten. Am Ende fragte ich mich, ob Auerbach vielleicht nicht – analog zu ihrem Arrangement von Schostakowitschs 24 Préludes Op. 34 für Klavier und Bratsche – sogar das ganze Konzert besser komplett neu arrangiert, in ihre eigene Tonsprache übertragen hätte? Blasphemie? Warum denn, ein unverkrampfter Umgang mit den kanonischen Werken kann doch nicht schaden, gerade wenn dabei etwas Neues entsteht, eine Fortschreibung vielleicht. Das eigene Werk von Auerbach gefiel mir zudem ziemlich gut – ich habe aber leider keine Ahnung, ob es über ihre ECM-CD von letztem Jahr („Arcanum“, mit Kim Kashkashian als Partnerin in der erwähnten Bearbeitung von Schostakowitschs Op. 34 sowie in Auerbachs Sonate für Viola und Klavier, die den Titel „Arcanum“ trägt) hinaus schon Aufnahmen von bzw. mit ihr gibt.

Triest, Ridotto del Teatro Verdi (Sala „Victor de Sabata“) – 8.10.2018

Giuseppe Albanese Klavier

CLAUDE DEBUSSY
5 Préludes: Des Pas sur la neige, Brouillard, La Terrasse des audiences du clair de lune, La Sérénade interrompue, Ondine
aus Images (1er série): Reflets dans l’eau
2 Préludes: Feux d’artifice, Ce qu’a vu le vent d’Ouest

Suite bergamasque
Pour le piano
L’Isle joyeuse

Encores: Ravel: La Valse + unbekanntes Stück

Zwei Tage später spielte der Pianist Giuseppe Albanese (der einen Posten am Konservatorium von Triest innehat, und wie bei Fellner in Zürich sassen wohl zahlreiche Studenten im Publikum) im Rahmen des 17. Festival Pianistico der Associazione Chamber Music Trieste ein ganz der Klaviermusik Claude Debussy gewidmetes Rezital. Ich tue mich – von Marcelle Meyers Aufnahmen und wenigen andern abgesehen – mit der Klaviermusik Debussys immer noch relativ schwer. Sie scheint mir oft flach, emotionslos, sie zieht an mir vorüber. Als ich das Konzert entdeckte, dachte ich, dass das Live-Erlebnis vielleicht neue Zugänge öffnen könnte – und ich hoffe, dass dem so ist, denn das Konzert war sehr toll. Im ersten Programmblock wurde mir bald klar, wie physisch die Musik ist, allein schon wegen ihrer Schwierigkeit. Leichter verständlich fand ich auf jeden Fall den zweiten Konzertteil mit den beiden mehrteiligen Werken, in denen Debussy sich auf die Cembalo-Musik von Couperin oder Rameau bezieht, die mir bisher viel näher ist als Debussys Klaviermusik. Auch hier öffnete das Konzert mir die Augen und Ohren. Ob ich, wieder daheim beim CD-Regal, daran anknüpfen kann, weiss ich noch nicht, aber ich werde hoffentlich bald einmal die Zeit und Laune haben, es auszuprobieren. Das Ende des Konzertes mit der Toccata und der noch virtuoseren „Isle“ fand ich dann ziemlich irre. Und dass er dann gleich noch Ravels „La Valse“ nachlegte, obwohl er sich längst alle Finger kreuz und quer gebrochen haben musste … Albanese war aber an dem Punkt völlig entspannt, er hatte sein Programm – soweit ich das hörte ohne Schnitzer – überstanden und war wohl darüber selbst nicht unglücklich. Toll!

Zürich, Tonhalle-Maag – 12.10.2018

Tonhalle-Orchester Zürich
Paavo Järvi
Leitung
Khatia Buniatishvili Klavier

DEBUSSY: Prélude à l’après-midi d’un faune
RACHMANINOV: Klavierkonzert Nr. 2 c-Moll Op. 18

BRAHMS: Symphonie Nr. 2 D-Dur Op. 73

Zugaben: BRAHMS: Ungarische Tänze Nr. 1 und Nr. 3

Kaum zurück – ich fuhr am Donnerstag vor knapp zwei Wochen heim, die Fahrt über Mailand ist fast tagesfüllend, aber das (Zug-)Fahren gehört zum Reisen mit, Fliegen ist mir immer weniger geheuer und hilft der Welt auch herzlich wenig – ging es am Freitagabend in die Tonhalle. Der Grund für die frühe Rückkehr bzw. die zweieinhalb Wochen Urlaub, um gut zwei Wochen zu verreisen, war eben, dass ich den Quasi-Einstand von Paavo Järvi miterleben wollte, der seinen Posten als Chefdirigent des Tonhalle-Orchesters zwar erst in einem Jahr antritt, aber diese Saison schon zweimal da ist und mit den zwei Programmen, die am an diesen Tagen aufgeführt wurden (das erste besteht aus Liszts erstem Klavierkonzert mit der Solistin Zee Zee und Mahlers fünfter Symphonie – das habe ich leider verpasst, wobei mich da nur Mahler wirklich interessiert hätte) geht er gerade mit dem Orchester auf eine grössere Asien-Tournee.

Los ging es mit Debussy – und sofort wurde deutlich, wie klar und konturiert es hier zur Sache geht. Mit Elan ging es zur Sache, mit klaren Konturen, aber auch in enger Verzahnung mit dem Orchester – das wirkte keinesfalls so, als gebe hier nur einer den Ton an (wie man manchmal über Järvi liest). Die Rezension in der NZZ, mit der ich nicht einverstanden bin, ist mit „Muskulöse Zukunft“ überschrieben. Dann stiess Khatia Buniatishvili dazu, Rach 2 – Edelkitsch oder grosses Drama? Spielt es eine Rolle? Es gab tatsächlich, wie John Rhodes schreibt, ein paar Unstimmigkeiten im Zusammenspiel, die an der emotionsgeladenen Herangehensweise von Buniatishvili gelegen haben mögen, die sich auch hier wieder völlig der Musik hingab. Das glitzerte, atmete, bebte – und beeindruckte schon sehr. Als Zugabe spielte Buniatishvili dann, wenn mich nicht alles täuscht, dann Bachs Arie „Schafe können sicher weiden“ – ein raffinierter Schachzug, denn das Stück klang nach dem knalligen Rachmaninov fast wie ein Schlaflied und zeigte, wie zart Buniatishvili auch zur Sache gehen kann.

Nach der Pause gab es dann – schon wieder, dachte ich – die zweite Symphonie von Brahms, über die man da und dort liest, sie sei seine beliebteste. Bei mir ist sie das gerade nicht, die Hauptthemen des ersten Satzes sprechen nicht zu mir. Ich hörte die Symphonie schon im letzten Winter mit David Zinman am Pult seines alten Orchesters, wo ich eben die manchmal fehlende Präzision auch wahrnahm – was wohl an Zinmans nicht mehr so präziser Schlagtechnik lag. Bei Järvi nichts davon, die Symphonie kam kantig daher, mit klaren Konturen aber auch Liebe zum Details, er holte und bremste die einzelnen Stimmen, das Orchester folgte ihm, brachte, was er wollte. Die Aufstellung übrigens – und das lässt für die Zukunft hoffen – in der alten Stereo-Geigen-Formation, in der die Celli, die mich in Zürich immer wieder sehr stark dünken, das Orchester aus der Mitte hinaus stützen können, statt dass die vorne rechts am Rand des Klangkörpers sitzen. Jedenfalls dünkte mich diese Interpretation insgesamt dann doch ziemlich toll, auch wenn die Symphonie nach wie vor keine ist, die mir besonders nahe wäre.

Sowohl die NZZ wie auch Rhodes auf Seen and Heard International berichteten auch über das erste Konzert von Järvi mit der Fünften von Mahler. Peter Hagmann schrieb nur über das erste Programm. Fazit ist: auch da, wo es kritische Töne gibt, überwiegt bei weitem die Hoffnung – es ist allenthalben die Rede vom Aufbruch. Und so empfinde ich das ja auch – ich war ja Ende 2016 bei Järvis Debut am Pult des Tonhalle-Orchesters und fand schon damals: Das ist genau der Mann, den das Orchester braucht. Ich freue mich sehr darauf, das in den kommenden Jahren zu beobachten – und ich freue mich auf seinen zweiten Gastauftritt später in der gerade gestarteten Saison, bei dem auch die diesjährige artist in residence mitwirken wird, die Geigerin Janine Jansen, die ich noch nie im Konzert gehört habe.

Neue Konzertreihe Zürich – Zürich, Tonhalle-Maag – 22.10.2018

Arcadi Volodos Klavier

FRANZ SCHUBERT
Sonate E-Dur D 157
Six Moments musicaux D 780

SERGEI RACHMANINOV
Préludes cis-Moll op. 3/2, Ges-Dur op. 23/10 & h-Moll op. 32/10
„Zdes‘ choroso“ (Wie schön dieser Platz) op. 21/7 (Arr. A. Volodos)
Étude-Tableaux c-Moll op. 33/3

ALEXANDER SCRIABIN
Mazurka Nr. 3 e-Moll op. 25/3, aus Neuf Mazurkas (1899)
Caresse dansée op. 57/2
Enigme op. 52/2
Flammes sombres op. 73/2
Poème op. 71/2
Vers la flamme op. 72

Ich hatte im Hörthread schon ein paar schnelle Kommentare geschrieben, weil ich ja wusste, dass soulpope, der dasselbe Programm demnächst auch hören wird, auf Eindrücke gespannt war. Müde war ich, verdammt müde – was schade war, aber Volodos war gut genug, als dass ich nicht abdriftete. Schubert in der ersten Konzerthälfte – ich nannte es im Hörthread „russischen Schubert“ und bleibe dabei, obwohl ich das mit Worten schwer fassen kann. Schroff war das nicht unbedingt, aber mit grosser Breite zwischen lauten, intensiven Passagen und sehr leisen, zerbrechlichen. Was ich auch schon erwähnte, ist die unglaubliche Anschlagkultur von Volodos: auch die lautesten Passagen sind makellos gespielt und im nur noch gehauchten Pianissimo ist ebenfalls alles deutlich artikuliert, bei der grössten Zartheit, auch wenn alles nur noch vorbeizuhuschen scheint: nichts wird verwischt, alles ist da, man kann die Töne fast mit den Händen greifen.

Nach der Pause ging es dann wirklich russisch weiter und – auch das erwähnte ich schon – ich merkte, dass mir zumal bei den kleinen Stücken Rachmaninov bisher in aller Regel näher ist als Skrjabin, auch wenn ich von letzterem schon längst über die zehn Sonaten hinaus fasziniert bin. Seine Stücke erschliessen sich mir jedenfalls noch nicht so unmittelbar, wie ich bei Rachmaninov den Eindruck hatte. War mir in beiden Konzerthälften vielleicht am besten gefiel, war gerade die Zartheit, die bei Schubert aber auch in Stücken der zweiten Konzerthälfte fast schon unerträglich wurde. So zerdehnt schienen die hingehauchten Töne, dass es kaum auszuhalten war, wie ganz feines Glas, das jeden Moment zu bersten droht, aber dann eben doch nicht zerbricht.

Was bei dem Konzert, dem ich nicht die Höchstnote geben würde – wegen einer irgendwie doch nicht vollständig gelungenen Dramaturgie und vielleicht auch einem da und dort nicht ganz eingemitteten Auftritt – zudem wirklich sehr klar wurde war, dass Volodos einfach sein Ding macht, nicht nach links oder recht guckt sondern kommt, spielt und wieder geht. Dabei ist sein Kleidungsstil vielleicht sowas wie die Konzertbühnen-Version der Schlampigkeit von Jazzern wie Tony Malaby oder Tim Berne – nicht unsympatisch, aber dennoch ein klein wenig irritierend, weil ja nun mal vor Jahrzehnten der Beschluss gefasst wurde, in der Unterhaltung tätig zu sein, also ein Leben darauf aufzubauen, dass andere Leute einen dabei beobachten, wie man Dinge tut, in die diese Leute wiederum Dinge hineindeuten oder die diese Leute vielleicht gern selbst tun können würden … eben: nicht unsympathisch, aber es fällt halt doch auf und man fragt sich, ob es denn gut sei so oder halt doch nicht so richtig.

Zürich, Opernhaus – 23.10.2018

Die Gezeichneten
Oper in drei Aufzügen von Franz Schreker (1878-1934)
Libretto vom Komponisten

Musikalische Leitung – Vladimir Jurowski
Inszenierung – Barrie Kosky
Bühnenbild – Rufus Didwiszus
Kostüme – Klaus Bruns
Lichtgestaltung – Franck Evin
Choreinstudierung – Janko Kastelic
Dramaturgie – Kathrin Brunner

Herzog Antoniotto Adorno / Der Capitaneo di giustizia – Christopher Purves
Graf Andrae Vitelozza Tamare – Thomas Johannes Mayer
Lodovico Nardi, Podestà der Stadt Genua – Albert Pesendorfer
Carlotta Nardi, seine Tochter – Catherine Naglestad
Alviano Salvago – John Daszak
Guidobald Usodimare – Paul Curievici
Menaldo Negroni – Iain Milne
Michelotto Cibo – Oliver Widmer
Gonsalvo Fieschi – Cheyne Davidson
Julian Pinelli – Ildo Song
Paolo Calvi – Ruben Drole
Diener – Jungrae Noah Kim
Ein Jüngling – Thobela Ntshanyana
Ein Mädchen – Sen Guo
Erster Senator – Nathan Haller
Zweiter Senator – Dean Murphy
Dritter Senator – Alexander Kiechle

Philharmonia Zürich
Chor der Oper Zürich
Statistenverein am Opernhaus Zürich

Weil ich keine ordentliche Besprechung dazu hinkriege, sei auch hier noch der gestrige Opernbesuch (wieder müde, noch müder eigentlich) rasch erwähnt. Die Kritiken waren nicht so gut, gestern fand die letzte Aufführung statt – wobei ich mich fragte, ob vielleicht das eine oder andere, besonders der bemängelte Mangel an Feinheiten, was die Lautstärke betraf, in der Zwischenzeit verbessert wurde. Es handelt sich immerhin um den ersten Auftritt von Vladimir Jurowski an der Oper Zürich. Allerdings fand ich Barrie Koskys Kontrast-Inszenierung – ein fast schon klinisch grell ausgeleuchteter Einheitsraum, dem jegliches Erotische, Sexuelle, Abgründige, Obsessive vollkommen abgeht – nicht sehr überzeugend, auch wenn die Grundidee, dass diese so dichte, das Publikum schwebend umgarnende, ja verführende Musik auf der Bühne nicht auch noch ein Pendant braucht, an sich schon überzeugte. Aber die Lösung, die Kosky fand, kann dann eben doch nicht die Antwort sein.

Das Ensemble auf der Bühne fand ich alles in allem aber hervorragend, bis in die kleinen Rollen stark. Daszak und Naglestad glänzten in den Hauptrollen, vor allem letztere hat wohl die schönsten Passagen in der ganzen Oper zu singen, mal allein, dann im Duett mit Alviano oder dem Tamer Mayers. Die Textverständlichkeit war nicht sehr gut, was aber wohl auch an Schrekers Musik liegt (Naglestads bemängelten Akzent etwa fand ich nicht weiter schlimm), die halt sehr üppig ist und den Stimmen manchmal den Raum nimmt.

Und die Musik? Man liest von Korngold, Zemlinsky und Schreker – den abgesägten österreichischen jüdischen Komponisten, die vielleicht der deutsch-österreichischen Musik des 20. Jahrhunderts eine ganz andere Richtung gegeben hätten, wenn nicht das elende Untermenschentum der Germanenteutonen an die Macht gespült worden wäre und so vielem in Zentraleuropa den Garaus gemacht hätte. Ich kenne da nur Korngold ein wenig, und so üppig-überladen schien mir Schrekers Musik nie zu sein, auch nicht so deutlich auf die Wirkung hin gerichtet. Eher schienen mir eine unterschwellige, stark zu spürende Wellen am Werk zu sein, die durchaus das Zeug dazu haben, süchtig zu machen (ohne jedoch das ungute Gefühl zu erzeugen, dass man dabei komplett manipuliert würde, was ich ja bei Wanger so verdammt unangenehm finde). Süffig ist das, warm, weich, und vor allem enorm farbenreich – und in der Tat traditioneller als es der zweiten Wiener Schule lieb sein konnte, das wiederum leuchtet sofort ein.

Auf Tonträger habe ich von Schreker noch praktisch nichts („Die Gezeichneten“ unter James Conlon, und irgendwo wohl noch das frühe Kammermusikwerk „Der Wind“ – beides noch nicht angehört) – eine andere Inszenierung der „Gezeichneten“ oder einer anderen Schreker-Oper würde ich aber sofort wieder anschauen gehen.

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"Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #151: Neuheiten aus dem Archiv – 09.04., 22:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tba