Antwort auf: Spex

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friedrich

Registriert seit: 28.06.2008

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Eine Freundin teilte mir vor einigen Tagen per Mail mit, dass die SPEX eingestellt wird. Ich ließ mich zu einer spontanen Reaktion hinreißen, die ich mir erlaube, hier mal wiederzugeben:

Ich glaube mir fiel Anfang 1981 die aktuelle Ausgabe der Zeitschrift SOUNDS in die Hände. Darin schrieben ein damals noch junger und unbekannter Autor namens Diedrich Diederichsen und andere über Popmusiker, deren Namen und Musik ich zuvor noch nie gehört hatte, teils verstand ich aber auch nicht einmal, worüber sie überhaupt schrieben und was sie damit sagen wollten. Was sollte das sein, die „Einstürzenden Neubauten“? Was bedeutete das Wort „idiosynkratisch“? Was ist eine „Metaebene“? Aber gerade das wirkte natürlich geheimnisvoll und verführerisch. Wenig später kam ein noch mehr subkulturell wirkendes, auf billigem großformatigen Zeitungspapier gedrucktes Magazin namens SPEX aus Köln dazu. Das war in einem Vorort von Hamburg, wo ich aufwuchs sogar nur schwer zu bekommen und machte es umso begehrenswerter. Wegen – vermutlich auch u.a. durch DDs Texte und Themen – sinkender Auflage, wurde die SOUNDS 1983 eingestellt. Von da an war über Jahre die SPEX das Zentralorgan des Popmusikfans, der es besser wissen wollte als alle anderen und damit das Maß aller Dinge. Auch DD wurde wenig später Autor und Chefredakteur der SPEX. Begierig lasen meine zwei besten Freunde und ich jeden Monat die Plattenkritiken und pilgerten daraufhin nach Hamburg, um das Taschengeld für obskure und nur in kaum weniger obskuren Läden erhältliche Schalplatten auszugeben, die wir später andächtig in unseren Jugendzimmern im Hamburger Speckgürtel anhörten. Wir kamen uns unglaublich cool vor! Und tatsächlich war die SPEX sowas wie ein Fenster in eine fremde und aufregende Welt und damit lange Zeit wirklich bedeutungs- und identitätsstiftend für uns.

Ich glaube, ich habe die SPEX bis etwa Mitte der 90er gelesen, dann änderte und erweiterte sich mein Musikgeschmack in andere Richtungen und ich verlor nach und nach das Interesse. Ich lebte auch schon längst nicht mehr in dem kleinem Vorort. Vielleicht waren die Themen der SPEX irgendwann auch nicht mehr so exklusiv und subkulturell wie in den Anfangstagen und es gab andere Informationsquellen. Und ich wurde ja auch älter und definierte mich nicht mehr so sehr über Popmusik. Ich habe die alten SPEX-Hefte lange Zeit noch aufbewahrt, dann aber irgendwann entsorgt. Vor einer Weile habe ich noch mal die SPEX gekauft, ich glaube zu ihrem 35. Geburtstag. Da lag ein verkleinertes Faksimile der ersten Ausgabe bei und die SPEX betrieb Rückschau auf ihre Gründungsphase, in der „Gegenöffentlichkeit und Selbstermächtigung“ das Gebot der Stunde waren. Das machte mich etwas nostalgisch. Gelegentlich schaute ich im Zeitschriftenhandel noch mal in die SPEX hinein – jedoch ohne sie zu kaufen.

Tja, und jetzt geht auch die SPEX den Weg alles Sterblichen. Die Begründung dafür scheint mir nachvollziehbar. Die Zeiten haben sich seit früher schon sehr geändert, es gibt keine solche Polarisierungen in der Popmusik mehr wie früher, als es eine Gesinnungsfrage war, ob man Punk und New Wave gehört hat, später Grunge, Hip Hop und House und sich damit gegen den kulturellen und sozialen Mainstream abgrenzte. Heute gibt es unzählige zersplitterte Szenen, eigentlich nur noch einzelne Partikel, die unabhängig voneinander im Netz herumschwirren und die man eigentlich gar nicht mehr unter einen Hut bringen kann. Wenn dann z.B. Nick Cave auf dem Cover der SPEX erschien, dachte ich – naja, dann bezieht man sich ja fast schon auf die gute alte Zeit, als Nick Cave noch eine subkulturelle Figur war und umarmt damit etwas inzwischen schon so gut wie im Konsens angekommenes. Muss man vielleicht auch, wenn man eine wirtschaftliche Auflage mit ebensolchen Anzeigen erzielen will. Aber warum muss man dann noch die SPEX lesen? Und wer liest denn heute noch in Printmedien mehrseitige Texte in denen Worte wie – eben! – „idiosynkratisch“ vorkommen?

Aufregende Musik finde ich heute auch ohne die SPEX. Dafür gibt es reichlich andere Informationskanäle. Aber für lange Zeit war die SPEX nicht nur für mich wirklich wichtig und prägend! Vieles, was ich kenne und liebe, hätte ich ohne die SPEX niemals kennengelernt und meine Wahrnehmung und Beurteilung von Musik – auch auf der „Metaebene“ – ist durch die SPEX geprägt worden. Daher verdrücke auch ich eine Träne für die SPEX.

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„Für mich ist Rock’n’Roll nach wie vor das beste Mittel, um Freundschaften zu schließen.“ (Greil Marcus)