Antwort auf: Jazz-Glossen

#10551096  | PERMALINK

vorgarten

Registriert seit: 07.10.2007

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friedrichlaufen tatsächlich fast alle Stücke noch dem gleichen Schema ab, Thema-Solo-Solo-…-Thema. An sich ist das nichts Böses, aber wenn dieses Schema nicht mit Leben gefüllt wird, bleibt am Ende nur eine tote Hülle.

gypsy-tail-wind … der zentrale Punkt ist aber, dass ich die Soli generell als den Aspekt des Jazz ansehe, bei dem der persönliche Charakter der Musiker zum Vorschein kommt, der eigene Sound, die Phrasierung, die dramaturgische Gestaltung – oder auch das Scheitern.

ich kann beide standpunkte sehr gut nachvollziehen. mir geht es oft so wie @gypsy-tail-wind, dass ich der einzigartigen stimme von einzelnen nachjage und sie möglichst freigestellt hören möchte, oft aber auch wie @friedrich – das ermüdende nacheinander von soli gibt es ja nicht nur im hardbop, sondern auch im free jazz, wo in jedem stück basisdemokratisch wirklich jede*r unbedingt seine 10 minuten haben muss.

SPEAK LIKE A CHLD ist wohl mein lieblingsalbum von hancock bei blue note, zumindest das, was ich am häufigsten höre. trotzdem war auch ich oft sehr enttäuscht, wenn ich wegen eines bestimmten musikers oder einer musikerin eine aufnahme gekauft hatte und der oder die dann irgendwo im bläsersatz versteckt wurde, oder – noch schlimmer – als klangfarbe eingesetzt, wie alice coltranes harfenspiel, egal, ob bei kirk oder bei laura nyro (was für eine faulheit, sich von ihren soli nicht herausfordern zu lassen!).

was @friedrich sagt, ist genau der punkt: das formalistische der thema/soli-struktur muss mit leben gefüllt sein, mit genau dem, von dem gypsy schwärmt: mit individualismus, mit kontrast, mit eigenen stimmen, mit variationsreichtum. da denke ich auch wenig an den schwanzvergleich der virtuosen (von dem ich leider im hardbop selten abstrahieren kann), eher an die brüchigen, gefährdeten, riskanten stimmen, die sich in diesem umfeld gehör verschaffen: alan shorter, grachan moncur, marion brown, graham haynes. aber auch, wie jemand wie jackie mclean noch das ödeste thema mit biss aufladen kann. coltrane (ist mir gerade wieder anhand der japan-aufnahmen aufgefallen) steigt jedes mal anders ein, völlig abhängig davon, wer vor ihm solo gespielt hat. und bei charles gayle ist die inspiration wirklich zu greifen, wenn er nach einem schlagzeugsolo völlig aufgeladen wieder einsteigt. und bitte nichts gegen bass-soli: da geht es ja nicht nur um egotripps und basisdemokratisches bandverhalten, sondern auch um die möglichkeit, in einem stück nochmal eine neue atmosphäre, einen neuen sound, neue frequenzen zu etablieren, gegen die sich das nächste solo wieder absetzen kann.

insofern: große vorfreude auf den nächsten bft!

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