Antwort auf: John Coltrane

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vorgarten

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ich hätte jetzt nie daran geglaubt, wie erhellend dieser vergleich ausfällt. davis und coltrane hatten ja seit ihrer letzten zusammenarbeit (die europatour von 1960 kursiert ja gerade wieder) unvergleichbare wege eingeschlagen – der von coltrane ist ja eigentlich kaum zu fassen, mit den unglaublich freien village-vanguard-experimenten 1961, dann der „softie-trilogie“ für impulse, das schrittweise radikalisieren des quartetts, A LOVE SUPREME und die neue band, die hier ja noch recht am anfang steht (nach dem village-vanguard-auftritt, vor der japan-tournee). miles dagegen mit seiner club-band-stilisierung, den störungen in den beziehungen zur gil-evans-programmmusik und zu cbs, dem suchen nach etwas neuem und den 2 jahren live-erfahrung mit dem neuen quintett, von dem es allerdings bis dato nur ein einziges studioalbum gibt… beide tauchen 1966 in newport auf, als state of the art und überforderung eines gepflegten jazzfestivals. coltrane wird in einem 30-minuten-nachmittags-slot am 2.7. abgestellt, den er auf das doppelte ausreizt. miles (am 4.7.) rockt nach 8 jahren festivalabstinenz ein 40-minütiges programm wie auf fast forward herunter.

was überrascht: wie schlagzeug-dominiert beide sets sind, wie stark auf kante sie angelegt sind, beides für ein publikum, das es (noch) nicht gibt. rashied ali leistet auf 60 minuten übermenschliches, wie leichtauch immer das aus dem handgelenk kommt, es klingt nach 4 drummern und lässt keinen augenblick an intensität nach – während tony williams kein wohlfrisiertes haar an miles-davis-gassenhauern lässt, was er von anfang an klarmacht, mit seiner punkversion von „gingerbread boy“. überhaupt: die miles-davis-band reflektiert die festivalsituation, in dem sie konfrontativ dagegen anspielt, bewusst egozentrisch, das publikum ist völlig unwichtig und darin dann wieder wichtig. coltrane dagegen macht angebote, sich mit ihm auf den trip zu begeben, lässt aber natürlich alle im regen stehen, die dazu nicht bereit sind. 1966 ist offensichtlich kein datum, in dem sich schwarze us-amerikanische musiker irgendjemandem andienen. die schärfe ereignet sich von selbst, ob als show-konzept (miles) oder als trance (coltrane). etwas muss kaputt gehen oder verlassen werden, bevor etwas neues entstehen kann. und wahrscheinlich ist das allen sowieso klar, auch den yachtbesitzern in newport.

coltranes band spielt eine suite, die in sich völlig stimmig ist. hätte impulse das aufgenommen und vernünftig herausgebracht, wäre diese aufnahme heute ein großer klassiker. viel mehr als auf den village-vanguard-aufnahmen sind die drei solisten hier gleichberechtigt und völlig identifizierbar in ihrem stil. sanders stellt „my favourite things“ vor, um gleich darauf ein schwarzes loch zu bauen, in das jede sentimentalität eingesaugt wird, um für immer zu verschwinden – tatsächlich wird sie (john) coltrane wenig später wieder freilegen. ein unfassbares solo, auch für seine verhältnisse. danach kommt alice, mit viel zeit und viel raum, und einem untergründigen funkeln, das langsam zum feuer wird (eins ihrer besten soli, das weit über diese band hinausweist). der ehemann setzt all dem natürlich die krone auf, auf überraschende weise: er interagiert zunächst mit alice, beide repetieren einzelne motive, fordern sich heraus, lassen sich lücken – um dann mit ali ins rasen zu kommen, und wenig später in etwas völlig anderes, als wenn der heilige geist ins sopransax schlüpft, der ton wird immer schöner und immer emotionaler, in der wiedererkennbaren bridge des standards fast kitschig – das ist dann schon die allerletzte phase, wo die intensität des aus-sich-heraus-tretens wieder zur reinen beschwörung von themen und sounds wird. so geht das weiter mit „welcome“, als 11-minütiger tour-de-force, schließlich zerhackt sich das wieder alles mit „leo“, in das sanders sich halsbrecherisch stagedivend hineinwirft und in dem alice zwischendurch für ruhe sorgen muss, um plötzlich mit garrison und ali selbstbewusst piano trio zu spielen.

da gibt es ein paar schreie aus dem publikum am ende, da kann man sich newport nicht mehr vor dem geistigen auge vorstellen. und viel nachmittägliches schweigen.

und dann die lustigen einzelkämpfer aus der miles-band, zwei tage später. jeder macht sein ding, so penetrant wie möglich, die anderen werden schon darauf reagieren und etwas daraus machen. tun sie auch. miles in fantastischer form, anders als im plugged nickel, ein halbes jahr zuvor. wie unverschämt die permanent zeigen, dass sie auch anders könnten, balladen spielen, blues, swing… um sofort zu zeigen, was sie eigentlich spielen wollen. das blitzt manchmal nur ein paar sekunden auf. „all blues“ in quasi unspielbarer geschwindigkeit, dann mal kurz halb so schnell, was immer noch zu heiß ist. richtig subtil wird es nur bei „r.j.“, da wissen sie, dass das publikum das eh nicht kennt. aber ansonsten beschmeißen sie sich mit jazztrümmern, was gegen die erwartungshaltungen und das gepflegte setting gerichtet ist, nicht gegen das, wa sie da zertrümmern.

interessant, shorter zuzuhören. seine intensität ist total 1966, man hätte ihn zwei tage vorher neben coltrane und sanders stellen können, ohne dass ali einen zahn hätte ablegen müssen. man merkt überhaupt: die hätten sich alle was zu erzählen gehabt oder entspannt miteinander schweigen können, so newport backstage. obwohl: bei alice und herbie wäre ich mir nicht so sicher. und bei miles und pharoah auch nicht (alice und wayne dagegen… miles und rashied…) am ehesten stellt man sich noch ron und jimmy vor, wie sie sich abklatschen dafür, die ganzen irrlichter spielerisch daran erinnert zu haben, dass sie auf bühnenbrettern stehen.

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